Mittwoch, 28. Juni 2017

Reformation im Mittleren Filstal, Teil 2 - Ulms Weg in die Reformation

© Gabriele von Trauchburg, Juni 2017


Der Ulmer Bürgermeister der Reformationszeit, Bernhard Besserer, versuchte zwischen 1521 und 1530 einen Mittelweg zwischen modernen Reformideen sowie Loyalität zum Reich und dem Stadtherren Kaiser Karl. V. zu finden. Die städtische Obrigkeit wollte in diesem Zeitraum keine Reformation einführen, weil diese nach Meinung des Rates nicht mit den ökonomischen und politischen Zielen der Stadt zu vereinbaren war. Deshalb wurden reformatorische Prediger zwischen 1521 und 1524 dann, wenn sie zuviel Aufmerksamkeit erregten, der Stadt verwiesen.

1524 - Ulms erster evangelischer Prediger

Im Jahre 1524 konnten Ulmer Bürger erstmals beim Rat einen eigenen Prediger durchsetzen. Die Wahl fiel auf Konrad Sam. Er war eifriger Anhänger des Schweizers Ulrich Zwingli und stand mit ihm ab 1526 in engem Briefkontakt. Auf diese Weise fanden Zwinglis Lehren Eingang nach Ulm.
In den folgenden drei Jahren wurde - nach dem Vorbild von Zwinglis Vorgehen in Zürich - schrittweise eine partielle Reformation eingeführt: 1526 wurde die Taufe in deutscher Sprache eingeführt und die Priesterehe erlaubt, dann ab 1527 die Fronleichsnams- und Palmprozession sowie das Himmelfahrtsfest aufgehoben.

Meinungsumfrage in Ulm zur Einführung einer Reformation 

Nach dem Reichstag von 1530 in Augsburg sahen sich die Ulmer gezwungen, sich offen zur Reformation nach dem Vorbild von Straßburg und Memmingen zu bekennen. Auf der Basis des Großen Ulmer Schwörbriefs von 1397 wurde eine Befragung der Bürgerschaft zur Einführung der Reformation durchgeführt. Im November 1530 stimmten die 17 Zünfte der Stadt, die Patrizier, Pfahlbürger, Beiwohner und einzelne Bruderschaften ab. 1621 der 1865 stimmberechtigten Personen entschieden sich zugunsten der evangelischen Lehre nach dem Zwinglischen Vorbild! Bei dieser Bürgerbefragung - das zeigen die Namenslisten - war die Landbevölkerung nicht in dieses Verfahren einbezogen worden.
Nach Abschluss dieses eindeutig ausgefallenen Votums veranlasste der Rat die nächsten Schritte: Die Stadt trat im Frühjahr 1531 dem neu gegründeten, evangelischen Schmalkaldener Bund bei. Damit war die Stadt militärisch nach außen abgesichert und konnte sich ihrer inneren Entwicklung widmen. Die Legitimation zur Durchführung der Reformation lieferte ein Rechtsgutachten des Ulmer Stadtsyndikus Hieronymus Roth.
Mitte April forderte Ulm Prediger von Straßburg, Konstanz und Basel an, um in der Stadt eine umfassende Reformation einzuführen. Unterstützt werden sollten sie vom neuen 9er-Ausschuss. Am 20. Mai 1531 trafen die drei Prediger Ambrosius Blarer aus Konstanz, Martin Butzer aus Straßburg und Johann Ökolampadius aus Basel ein.

Meinungsumfrage unter den Geistlichen im Ulmer Territorium

Zwischen dem 20. Mai und dem 2. Juni 1531 wurde ein aus 18 Artikeln bestehender Fragenkatalog für Geistliche verfasst und vom Rat der Stadt gebilligt. Auf dieser Grundlage wurden die städtischen Geistlichen examiniert. Die als tauglich erachteten Pfarrer und Ordensleute verblieben auf ihren Stellen, nicht geeignete Personen wurden aus ihren Stellen entfernt.
Am 16. Juni wurde die Messe abgeschafft. In der zweiten Juni-Hälfte wurde das Münster geschlossen und alle religiösen Bilder daraus entfernt. Am 16. Juli feierte Ambrosius Blarer das 1. Abendmahl nach dem neuen Glauben. Am 6. August wurde die neue, von Martin Butzer ausgearbeitete Kirchenordnung verkündet. Im Herbst schließlich wurden alle Klöster der Stadt aufgelöst.

Praktische Überlegungen und Planungen zur Einführung der Reformation in Ulm

Nach der Ankunft von Butzer, Blarer und Ökolampad am 20. Mai 1531 in Ulm begannen die Überlegungen um das praktische Vorgehen bei der Einführung der Reformation in Ulm und in dessen Territorium.  Bürgermeister Besser bestimmte, dass zuerst die Stadt und dann das Ulmer Land reformiert werden sollte. Ab dem Pfingstsonntag würden die Reformatoren in zentralen Orten predigen und mit diesen Predigten die Menschen zugunsten der Reformation überzeugen. Das Ulmer Territorium wurde hierfür aufgegliedert.
  • - Ambrosius Blarer sollte in der Reichsstadt selbst predigen
  • - Martin Butzer predigte in Geislingen 
  • - Johann Ökolampad und Konrad Sam wirkten südlich von Ulm

Widerstand in Geislingen
Über die Vorgänge an Pfingsten in der Stadtkirche ist man wohl unterrichtet, denn Martin Butzer berichtete über sein Geislinger Fiasko an den Ulmer Bürgermeister Besserer. Butzer hatte in der neuen Form von der Geislinger Stadtkanzel gepredigt und - nachdem er die Kanzel verlassen hatte, war Dr. Georg Oswald postwendend hinaufgestiegen und hatte Butzer und seine Thesen angegriffen. Martin Butzer musste also damit rechnen, dass auch bei jeder künftigen Predigt Pfarrer Dr. Oswald aufstehen und seine Sicht der Dinge darlegen würde. Eine vollständige Überzeugung der Gläubigen war auf diese Weise nicht zu erreichen. Eine heikle Situation war entstanden, zu deren Lösung Gingen beitragen sollte, wie noch im 4. Teil dieser Reihe erläutert wird. Und in Ulm verfolgte man weiterhin mit Hochdruck die anvisierten Ziele.

Einführung der Reformation in Ulm

Gleich nach den Pfingst-Feiertagen begann die eigentliche Einführung der Reformation im Territorium der Reichsstadt Ulm mit der Befragung ihrer Geistlichen in Stadt und Land. Am 7. Juni wurden die Pfarrer, Kapläne und Frühmesser einzeln vor die Ulmer Kommission geholt. Man stellte ihnen 18 Fragen - zur Berufung und Überprüfung der Prediger und Pfarrer, - zum Synodal- und Visitationswesen, - zur Neuordnung des Schulwesens, - zur Neuordnung der Kirchengebräuche, - zur Neuordnung der Zeremonien - und zur Kirchenzucht. Jeder einzelne Pfarrer musste seine persönliche Meinung zu jeder Frage abgeben. Seine Antworten wurden sorgfältig notiert.
Deutlich merkt man dem überlieferten Protokoll an, dass sich die Geistlichen möglichst unverbindlich ausdrückten, um keinerlei Angriffsflächen für eine mögliche Entlassung aus ihren Stellen zu bieten.

Das Patronatsrecht entscheidet über die Einführung  

Interessant für unsere Region ist auch die Tatsache, welche Geistlichen sich in Ulm der Befragung gestellt hatten bzw. hatten stellen müssen. Aus unserer Region erschienen in Ulm die Pfarrer von Böhringen und Kuchen, der Pfarrverweser von Süßen sowie die Kapläne von Böhringen und Hausen. Es fehlt der Gingener Pfarrer. Am Ende der Pfarrerbefragung hatte der Ulmer Rat und die drei Reformatoren einen genauen Überblick über die religiöse Situation im Ulmer Territorium erhalten. Und dieses zeigte noch lange kein einheitliches Bild. Von einer durchwegs begeisterten Annahme des neuen Glaubens konnte zumindest in der sogenannten Unteren Helfensteinischen Herrschaft keine Rede sein.  


Die neue Kirchenorganisation 

Dennoch trieb der Rat das Projekt Reformation weiter gezielt voran. Am 6. August 1531 wurde die neue Kirchenzuchtordnung, verabschiedet. Sie regelte das gesamte Alltagsleben neu, weil vom Rat nicht länger die päpstliche und bischöfliche Hoheit anerkannt wurde. Zu den neu geordneten Bereichen zählten die Kirchenorganisation (Bedienstete, Feiertage, Zeremonien, Tanzen und andere Vergnügungen), die Kirchenzucht (mit Taufe, Abendmahl, Konfirmation, Kirchengesang, Bilder-Verbot, Gebetspflicht), Kleidung, Eheschließung u. -scheidung, Umgang der Geschlechter miteinander, Kampf gegen Aberglauben, die Schulorganisation u. vieles mehr.  

Aus diesen Artikeln lassen sich in allen Punkten deutlich die Einflüsse Ulrich Zwinglis und damit das Bekenntnis der 4 Städte Memmingen, Konstanz, Lindau und Straßburg deutlich ablesen, der Einfluss Luthers auf diese erste Ulmer Kirchenordnung ist minimal, um - nicht zu sagen - nicht vorhanden.

Die Ulmer Kirchenordnung von 1531 bildete sozusagen das ‘Grundgesetz’ für Kirche und Ulmer Territorium, das in den folgenden Jahren bis 1540 mit immer neuen Ordnungen (= Gesetzen) ergänzt wurde. Mit all diesen neuen Gesetzen wurde das neue evangelische Verständnis vom Zusammenleben der Menschen allmählich mit Substanz ausgefüllt.
Die Umsetzung der Kirchenordnung in die Praxis begann am 11. Aug. 1531 mit dem Verbot der Messe. Der Gesang, die Beichte sowie sämtliche weiteren ‘päpstlichen’ Zeremonien wurden gleichfalls aus der Kirche verbannt. Ab dem 21. August 1531 wurden die Altäre, Bilder und Tafeln aus den Kirchen entfernt.
Das Mittelschiff des Ulmer Münsters - © GvT

Im Herbst 1531 wurden die Geistlichen ein weiteres Mal von Vertretern des Ulmer Rates und den Reformatoren befragt. Bei diesem Durchgang entschied sich nun endgültig, wer von den Pfarrern auf seiner Stelle verbleiben und wer gehen musste.

Quellen und Literatur

Stadtarchiv Ulm - einschlägige Archivalien zur Reformation in der Reichsstadt
Gabriele von Trauchburg, 915-2015. 1100 Jahre Gingen an der Fils, Gingen 2015, S. 102-106

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Geschichte(n) von Gingen/Fils - Teil 1.3: Die erste bekannte Gingener Dorfherrschaft: Königin Kunigunde

© Gabriele von Trauchburg Als zweite Frau möchte ich Ihnen die deutsche Königin Kunigunde vorstellen. Sie ist diejenige Königin, die ih...