Montag, 18. Februar 2019

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 12 - Grundlegende Erkenntnisse aus der Kulturgeschichte der Donzdorfer Kapellen

© Gabriele von Trauchburg


Die vorangegangene Studie zur Kulturgeschichte der Kapellen entlang des Donzdorfer Kapellenwegs entwickelte sich im Laufe der einzelnen Untersuchungen zu einem spannenden Projekt voll unvorhersehbarer, neu zu entdeckender Aspekte. 
Die kulturgeschichtliche Untersuchung einer Gruppe von Kapellen ist bisher einzigartig. Dies ist kein Wunder, denn der Großteil der schriftlichen Unterlagen wurde in der Vergangenheit als nutzlos erachtet und deshalb entsorgt. Es ist schon ein großer Glücksfall, dass die Heiligenrechnungen der alten Kapellen Hürbelsbach, Unterweckerstell und Grünbach als serielle schriftliche Quellen noch immer im Gräflich Rechbergschen Familienarchiv Donzdorf  gelagert werden. Nur deshalb war es möglich, die finanziellen Grundlagen der Kapellenverwaltung aufzugliedern und völlig überraschende Erkenntnisse daraus zu ziehen.
Die kunsthistorische Entwicklung der Kapellengebäude ist von ständigem Wandel geprägt, denkmalschützerische Gedanken gab es in vergangenen Jahrhunderten nicht. Aus diesem Grunde achtete man in den unterschiedlichsten Kunstepochen weniger auf den Erhalt alter Ausstattung. Statt dessen wurde die Gestaltung der einzelnen Kapellen eher als eine ständige Weiterentwicklung empfunden.
Gerade die erstmalige gemeinsame Aufarbeitung von Geschichte und Kunstgeschichte eröffnete völlig neue Erkenntnisse: die lokale mittelalterliche Herrschafts- und Patronatsgeschichte wurde erweitert und zum Teil korrigiert (s. Hürbelsbach, Unterweckerstell und die zweigeteilte Residenz Donzdorf). Die Auswirkungen des 30jährigen Krieges konnten am Beispiel von einem Malter Hafer regional greifbar gemacht werden. Erstmals in größerem Umfang gelang der Nachweis, dass Kapellenverwaltungen als Kreditinstitute für die ländliche Bevölkerung bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts fungierten. Zugleich waren Kapellen auch Kreditinstitute für benachbarte kirchliche Gebäude. Auf diese Weise wurde eine erstaunlich hochwertige Ausstattung der Pfarreien mit barocken Pfarrhöfen oder Ausstattungen von Kirchen beispielsweise mit Orgeln finanziert.
Zudem konnte eine Reihe von Neuentdeckungen im Bereich der Kunstgeschichte gemacht werden. Im Zentrum steht dabei der Hürbelsbacher Altar, dessen Aufbau und seine Bedeutung sowie sein Stifter. Zudem war es möglich, zwei Altarflügel der Unterweckersteller Kapelle zuzuordnen. Außerdem wurde ein Rekonstruktionsversuch der Chormalereien von Unterweckerstell vorgenommen.
Ein Schwerpunkt der Untersuchungen war, die Offenlegung der Verbindung zwischen Stiftern und ihren Stiftungen, ein Untersuchungsfeld, das im regionalen Umfeld noch nie vorgenommen wurde. Gleiches gilt für die  Offenlegung der Verbindungen zwischen groß- und kleinräumigen historischen Ereignissen und deren Auswirkungen auf die Kapellen im allgemeinen.
Gleichzeitig hat sich ein neues Arbeitsfeld aufgetan: In den vergangenen fünf Jahren konnte ich immer wieder Hinweise auf die Existenz einer bayerischen Kunstexklave im Umfang der ehemaligen Rechbergischen Herrschaften entdecken. Diese entstand spätestens mit dem Bau der Wallfahrtkirche Hohenrechberg. Sie entwickelte sich in der Folgezeit weiter: mit der Bernhardus-Wallfahrtskirche, der Mariensäule vor der Stadtpfarrkirche Weißenstein, mit dem Gemälde im Hochaltar der Stadtpfarrkirche, der Nenninger Pietà, mit den Nazarener-Gemälden und -Wandmalereien in Donzdorf und Unterweckerstell sowie den neogotischen Skulpturen von Anselm Sickinger.  Finanziert werden konnte sie nur durch die Stiftungen der gräflichen Familie Rechberg und durch die Finanzen der Kapellen am Donzdorfer Kapellenweg. Man darf gespannt sein, welche Ergebnisse diese ersten Erkenntnisse noch nach sich ziehen werden.

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 9.5: Lauterstein-Nenningen - Weltkunst am Fuße der Alb - Die Nenninger Pietà

© Gabriele von Trauchburg



Die Nenninger Pietà entstand direkt nach der Überwindung einer großen Hungersnot und in deren Folge mit vielen Toten. Diese Figurengruppe, die großes Leid widerspiegelt und gleichzeitig aufzeigt, dass selbst die zentralen christlichen Figuren schweres Leid ertragen und überwinden konnten, spendet dem Betrachter Trost und Hoffnung. 

Pieta oder Vesperbild

Der italienische Fachbegriff ‚Pietà’ bedeutet übersetzt ‚Mitleid,  Frömmigkeit’. In der bildenden Kunst versteht man darunter die Darstellung Mariens als Mater Dolorosa (Schmerzensmutter) mit dem Leichnam des gerade vom Kreuz abgenommenen Jesus Christus.
Neben dem aus der italienischen Sprache abgeleiteten Fachbegriff wird auch oft die deutsche Bezeichnung Vesperbild verwendet. Bei der Zuordnung der Horen (Stunden im Stundengebet) des Breviers zu bestimmten Stationen der Passion Christi wurde die Kreuzesabnahme der abendlichen Vesper zugeordnet. So kam es für die Darstellung des Moments nach der Kreuzesabnahme zur Bezeichnung ‚Vesperbild’.


Pietà-Darstellungen im Laufe der Geschichte

Seit dem 14. Jahrhundert setzten sich zahlreiche berühmte Künstler mit diesem Thema auseinander. Das 14. Jahrhundert war in seinem gesamten Verlauf von sehr viel Leid geprägt: Zwischen 1315 und 1317 litt das nördliche Europa unter der ‘Großen Hungersnot’.
Eybacher Pietà, um 1320 - © GvT
Ab den 1330er Jahren bis 1347 wurde wegen der Auseinandersetzungen zwischen dem Papst und Kaiser Ludwig dem Bayern der Gottesdienst in den Regionen seiner Anhänger verboten. Die frühen Pietà-Skulpturen lassen sich somit als Beleg für die politische Zugehörigkeit zum kaiserlichen Lager in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts anführen.
Kaum war der umstrittene Kaiser Ludwig d. Bayer 1347 verstorben, wurde Europa zwei Jahre später von der ersten Pestepidemie heimgesucht. Wenige Jahre später kam es zu einem erneuten Ausbruch dieser Seuche. Wieder wurden die Kirchen geschlossen. Damit die Bevölkerung dennoch ihren Glauben leben konnte, wurden besondere Schwerpunkt für die tägliche Verehrung geschaffen: die Pietà-Gruppe oder die Nothelfer (vgl. Teil 6.3.).  
Gerade das Bild von der Muttergottes, die ihren sterbenden Sohn im Arm hält, spricht Menschen in allen Schichten und jeden Alters an. Man kann sich damit identifizieren und am Ende Trost aus dem Wissen schöpfen, dass selbst Maria nicht vor schmerzhaften Lebenslagen gefeit gewesen war.
Es ist daher kein Wunder, dass sich selbst die wichtigsten Künstler in der Vergangenheit bis in die Gegenwart mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben, darunter Michelangelo Buonarroti, Giovanni Bellini und Vincent van Gogh. 

Die Nenninger Pietà

Unwillkürlich fragt man sich, weshalb ausgerechnet ein bayerischer Künstler den Auftrag erhalten hatte, für ein kleines schwäbisches Dorf eine derartig monumentale Gruppe anzufertigen - gab es etwa keinen schwäbischen Bildhauer, der ein ähnliches Werk hätte schaffen können?
Bozzetto, vermutlich von der Nenninger Pietà, Bayerisches Nationalmuseum München - © GvT
Ganz offensichtlich wollte Maximilian Emanuel von Rechberg einen ihm bekannten Künstler, aus welchen Gründen auch immer. Die Pietà sollte die ansonsten schmucklose neue Kapelle ausfüllen und den Betrachter entsprechend beeindrucken. Es ist nicht bekannt, ab welchem Zeitpunkt der Kontakt zwischen Auftraggeber und Künstler begann - wahrscheinlich schon 1773, als die alte Kapelle abgerissen wurde.
Es scheint einen längeren Entscheidungsprozess bis zur endgültigen Ausführung gegeben zu haben, denn zwei Bozzetti, die zur Nenninger Pietà gehören dürften, sind überliefert - einer in Stuttgart und einer in München.
Franz Ignatz Günther schuf mit der Nenninger Pietà eine aus Lindenholz geformte Figurengruppe, deren Größe von den Aus-maßen des Chores der Kapelle bestimmt wurde. Aus diesem Grunde sind beide Figuren über-lebensgroß. Der Fass-maler, mit dem Günther hier zusammengearbeitet hat, ist nicht überliefert. Das Ergebnis der Zusammenarbeit beider Künstler ist jedoch berührend, beeindruckend, ausdrucksstark.  
Man sieht die imaginäre, nicht in der Bibel überlieferte Szene  direkt nach der Kreuzabnahme von Jesus. Man stellte sich vor, dass Christus - bevor er zu seinem Grabmal gebracht wurde - noch einmal seiner anwesenden Mutter in den Schoß gelegt worden war. In der von Günther gestalteten Szene lässt er die Muttergottes den Kopf und die linke Hand ihres Sohnes stützen. Dabei gleitet er seiner Mutter langsam aus dem Schoß, sein linkes Bein schwebt in der Luft.
Franz Ignatz Günther, Nenninger Pietà, 1774 -  © GvT
Die untröstliche Maria weint. Ihr Blick ist auf ihren gerade verstorbenen Sohn gerichtet. Ein lebengider Hauch von rosa liegt auf ihrem Gesichts. Bei Jesus Christus ist diese lebendige Hautfarbe bereits in ein für Tote typisches blau unterlaufenes weiß übergegangen. Diese besondere Farbwahl nimmt die sichtbare Gestaltung des Herabgleitens aus dem Schoß der Mutter nun im übertragenen Sinne für das Hinweggleiten vom Leben in Tod auf.
Franz Ignaz Günther hat in diese Figur all die schrecklichen Erfahrungen seiner Familie während der vorangegangenen Hungerkatastrophe in dieses Bildwerk eingebracht - mehrere seiner Kinder verstarben in dieser Zeit. Seine Frau starb, als die Nenninger Pietà an ihrem Bestimmungsort angekommen war. Kein Wunder also, dass diese Figurengruppe derart ausdrucksstark gelungen ist.
Der Künstler selbst war ebenfalls zu diesem Zeitpunkt bereits krank. Die Nenninger Pietà war sein letztes Werk, er starb nur wenige Monate nach deren Vollendung am 27. Juni 1775.

Der Weg der Pieta nach Lauterstein-Nenningen

Für das Zeitalter des Rokoko war die Feldkapelle kurz nach der Bebauung noch äußerst sparsam dekoriert. Deshalb sorgte der tiefgläubige Patronatsherr Maximilian Emanuel von Rechberg  für eine ausreichende Ausstattung, als er bei Franz Ignaz Günther in München die Pieta anfertigen ließ. Der Bildhauer erhielt 125 Gulden für seine Arbeit.
Ein Blick in die Rechnungsbücher der rechbergischen Herrschaften zeigt, dass im entsprechenden Zeitraum an keiner Stelle eine entsprechende Ausgabe vermerkt ist, ebenso gibt es keinen Brief oder eine Rechnung von Franz Ignaz Günther. Diese Beobachtung läßt nur einen einzigen Schluß zu: Maximilian Emanuel von Rechberg bezahlte die durchaus beachtliche Summe von 125 Gulden für Günther nicht aus den laufenden Betriebskosten seiner Herrschaften, sondern aus seinem Privatvermögen - von dem es keine Rechnungsbücher oder Kostenbelege gibt. 
Am 8. Dezember 1774 kam der Transport mit der Figurengruppe im Dorf an. In der Festschrift von 1871 heißt es dazu: Graf Maximilian Emanuel von Rechberg ließ auch das herrliche Vesperbild (Maria den Leichnam des Sohnes im Schoße haltend) in München fertigen. Am 8. Dezember 1774 kam das Bild hier an und wurde Herrn Ignaz Günther 125 fl dafür bezahlt.

Die kunsthistorische Bedeutung der Nenninger Pietà

Kunsthistoriker bezeichnen die Figurengruppe nicht nur als technisch, sondern auch in ihrer ausdrucksstarken Form und künstlerischen Potenz als vollendet. Sie ist die letzte der drei Pietà-Gruppen von Günther.
Dieses eindrucksvolle, überlebensgroße Kunstwerk markiert in der Bildhauerei den Endpunkt des süddeutschen Rokokos. Die Nenninger Pietà ist also nicht nur Günthers größtes Meisterwerk, sondern es markiert eine Epochengrenze in der Kunstgeschichte!!!
Der Umstand, dass es von einem bayerischen Künstler erschaffen und von einem schwäbischen Mäzen erworben wurde sowie bis heute an seinem Originalstandort verblieb, statt in einem bedeutenden Museum aufgestellt zu werden, bewirkte, dass es in der Forschung zwar bekannt, bisher aber kaum thematisiert wurde.
Bis heute wird der Wunsch des Stifters und der Erbauer der Kapelle respektiert. Zuerst eine Wegkapelle wurde sie am Beginn des 20. Jahrhunderts in eine Friedhofskapelle umgewandelt. Heute liegt die Kapelle in der Nähe einer stark befahrenen Bundesstraße - dennoch bietet sie seit rund 230 Jahren täglich den an ihr vorbeikommenden Menschen einen Ort der Besinnung und der Hoffnung für Trostsuchende sowie Raum für die Bewunderung einer einzigartigen Skulptur.

Quellen und Literatur

- GRFAD - Einschlägige Archivalien zur Pietà-Kapelle in Lauterstein- Nenninger
- Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg (Hrsg.), Dokumentation zur Untersuchung und Restaurierung der Pieta von Ignaz Günther in der Friedhofskapelle zu Nenningen, bearb. v. Anne-Kathrin Läßig, Stuttgart 2005

Mittwoch, 13. Februar 2019

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 9.4: Franz Ignaz Günther, Bildhauer der Nenninger Pietà

© Gabriele von Trauchburg


Franz Ignaz Günther (1725-1775) entstammt einer Familie, die schon mindestens zwei Generationen vorher sich kunsthandwerklich betätigte. Seine ersten Erfahrungen in der Bildhauerei sammelte Günther in der väterlichen Schreinerei im Markt Altmannstein (Lkr. Eichstätt) in der bayerischen Hofmark Hexenagger.

München
Im Alter von 19 Jahren erhielt er die große Chance, bei dem renommierten und hochangesehenen Münchner Bildhauer, Johann Baptist Straub, seine Ausbildung fortzusetzen.
Johann Baptist Straub ist für unsere Region kein Unbekannter. Straub kommt aus bayerischen Herrschaft Wiesensteig. Er selbst, seine Brüder und Vettern beeinflussten die Entwicklung der Barockbildhauerei im gesamten südöstlichen Raum des Kurfürstentums Bayern und der Habsburger Monarchie. Von 1743 bis 1750 war Günther Schüler von Johann Baptist Straub in München. 

Wanderschaft
Nach Abschluss der Ausbildung bei Straub begab sich Günther ab 1750 auf die von der Berufsausbildung erwarteten Wanderschaft. Sie führte ihn zunächst nach Salzburg (1750), anschließend zum Hofbildhauer Paul Egell in Mannheim (1751/52). In Mannheim gab es damals die große Baustelle des Schlosses von Pfalzgraf und Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz sowie Herzog von Jülich-Berg. Hier begegnete er den besten Künstlern und Kunsthandwerkern seiner Zeit. Und er bekam die Gelegenheit zur Mitarbeit unter Egell. 
1752 findet man dann Günther in Olmütz in Mähren. Er arbeitete dort in der Werkstatt eines lokalen Bildhauers. Als dieser verstarb beendete Günther den Auftrag für einen Altar, der dann in das nahegelegene Geppersdorf (Kopřivnà, Tschechien) ausgeliefert wurde.

Wien, Akademie
Im folgenden Jahr begab sich Günther zur weiteren theoretischen Ausbildung in die Bildhauerklasse der Akademie in Wien (1753), die er mit 'Premium' abschloss. Bereits dort zeigte sich das umfassende Talent von Franz Ignaz Günther. Obwohl er seinen Abschluss in der Bildhauerklasse machte, zeigte er ebenso große Fähigkeiten beim Zeichnen. Er war also in der Lage, ein Werk vom Zeichenentwurf bis zum Abschluss der
Bildhauerarbeiten zu gestalten. Doch mit dem Abschluss der Arbeiten am Holz war für Günther die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen. Bereits anhand seiner Entwürfe lässt sich erkennen, in welcher Form die farbige Fassung die Aussagekraft der Figur unterstützen sollte. Günther arbeitete später eng mit sogenannten Fassmalern - Maler, die die farbige Fassung eines Kunstwerkes vornahmen - zusammen und verdeutlichte dabei genau, welche Effekte er bei jedem einzelnen Werk wünschte. Deshalb spricht die Fachwelt in diesem Zusammenhang auch von der ‘Günther-Fassung’

München
Nach München kehrte Franz Ignaz Günther im Jahre 1754 zurück. Nachdem sich Bayern langsam von den Folgen des Österreichischen Erbfolgekrieges erholte, konnte er es wagen, sich selbstständig zu machen. Dazu ließ er sich vom Zunftzwang befreien und gründete seine eigene Werkstatt. Ab dieser Zeit war er hauptsächlich für kirchliche Auftraggeber tätig, schmückte mit seinen lebensgroßen Figuren aber auch die Münchner Adelspalais aus.

Hochaltar in St. Joseph, Starnberg - © GvT
Ab 1757 machte er eine gute Partie, als der Maria Magdalena Hollmayr, Tochter eines Silberhändlers aus Huglfing heiratete. Unter den Fachleuten geht man davon aus, dass ihm seine Frau bei weiblichen Figuren Modell stand, dann deren Gesichter ähneln sich stark. 
Das Paar hatte insgesamt neun Kinder hervor. 1761 erwarb die Familie ein Anwesen am Oberen Anger in München, das nur wenige hundert Meter vom Palais des Maximilian Emanuel von Rechberg entfernt lag.
Franz Ignaz Günther war schon bald nach seiner Rückkehr ein gefragter Künstler. Dies liegt daran, dass seine Figuren einen lebendigen und ausdrucksstarken Eindruck beim Betrachter hinterlassen. Diese Bildwerke gelten deshalb zurecht als Höhepunkt der Rokoko-Bildhauerei. Die Nenninger Pietà ist das letzte Werk von Franz Ignatz Günther. Sie wird deshalb in der Fachwelt als Höhe- und Endpunkt der Rokoko-Bildhauerei angesehen. Sie ist damit ein Kunstwerk, das eine Epochengrenze darstellt.

Quellen und Literatur

- Gerhard P. Woeckel, Ignaz Günther - Die Handzeichnungen des kurfürstlich bayerischen Hofbildhauers, Weißenhorn 1975
- Roger Diederen u.a. (Hrsg.), Mit Leib und Seele - Münchner Rokoko von Asam bis Günther, München 2014
- https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_G%C3%BCnther
- http://www.pieta-nenningen.de/

Dienstag, 12. Februar 2019

Donzdorfer Kapellenweg - Teil 9.6: Die Nenninger Pietà - auf Ausstellungen und bei Restaurierungen

© Gabriele von Trauchburg


Wegen ihrer außerordentlichen Ausdrucksstärke fasziniert die Nenninger Pietà ihre Betrachter. Um diese Wirkung einem breiten Publikum erfahrbar zu machen, wurde sie seit den 1950er Jahren bei großen nationalen und internationalen Ausstellungen der Öffentlichkeit vorgestellt:


Nenninger Pietà mit Fassung im Stil des Historismus, Foto 1874 - © GvT
Nenninger Pietà mit purpurroter Farbprobe - © GvT
1951 - München
Für dieses Jahr hatte man in München die große Ausstellung ‘Franz Ignaz Günther’ geplant. Auch die Nenninger Pietà sollte Bestandteil dieser Ausstellung sein. Vor der Eröffnung wurde sie deshalb in München umfassend restauriert. Dabei nahm man ihre Fassung von 1855 ab.
Wie man auf dem Foto von 1874 erkennen kann, hatte der Schwäbisch Gmünder Maler Klein den Mantel der Muttergottes auf der Innenseite mit Ornamenten im Stil des Historismus dekoriert. Das Kleid der Maria war in leuchtendem Kardinalpurpurrot gestaltet (s. Foto rechts) und der Mantel in Ultramarinblau. 
Titelblatt des Katalogs von 1958
Nach der Farbabnahme kam die von Franz Ignaz Günther vorgeschriebene Originalfassung in zarten pastellartigen Farben wieder zum Vorschein. Diese Günther-Fassung konnte bis heute erhalten werden.

1951 - Stuttgart
Nach der Münchner Ausstellung zeigte das Württembergische Landesmuseum in Stuttgart ebenfalls die frisch restaurierte Pietà.

1954 - London und Paris
Dieses Jahr markiert die erste große Auslandsreise der Nenninger Pietà. Zuerst wurde sie in der National Gallery in London vorgestellt. Anschließend gastierte die Figurengruppe im Louvre in Paris.

1958 - Brüssel
Während der Weltausstellung wurde die Pietà im päpstlichen Pavillon zwischen anderen international bekannten christlichen Kunstobjekten gezeigt. Ihre Anwesenheit dort belegt der dazu erschienene Katalog.    

1960 - Anfrage aus New York
Im Jahre 1960 erreichte die Kirchengemeinde eine Ausleihanfrage aus New York. Doch der Kirchengemeinderat erteilte diesem Ansinnen einen abschlägigen Bescheid, weil das Gremium Angst um den Zustand der Figur bei einer derartig weiten Reise befürchtete. 

1981 - Bruchsal
Vom 27. Juni bis zum 25. Okt. 1981 fand im Schloss Bruchsal die Ausstellung ‘Barock in Baden-Württemberg. Vom Ende des 30jährigen Krieges bis zur französischen Revolution’ statt. Das Badische Landesmuseum Karlsruhe hatte diese Ausstellung unter der Schirmherrschaft des damaligen Ministerpräsidenten Lothar Spät organisiert.

2003-2004 - Stuttgart
In der Zeit zwischen 2003 und 2005 wurde die Pietà-Kapelle und zugleich die Nenninger Pietà einer gründlichen Renovierung bzw. Restaurierung unterzogen. Dazu kam die Nenninger Pietà in die Räume des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Im Verlauf der Arbeiten wurde die Figurengruppe intensiv untersucht. Und dabei kam erstaunliches zutage.
Erstmals wurde dabei untersucht, mit welchem Verfahren Franz Ignaz Günther die überlebensgroßen Figuren zu einem einzigen Bildwerk zusammengesetzt hatten. Mit Hilfe eines farbigen Schemas erläuterten die Restauratoren ihre Ergebnisse. Die Figurengruppe ist aus Lindenholz geschnitzt. Für das Gesamtergebnis verwendete Franz Ignaz Günther 18 verschiedene, kunstvoll miteinander verdübelte Holzblöcke (s. Schema, Landesamt f. Denkmalpflege Baden-Württemberg).
Schema - © Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg


2004-2005 - Stuttgart
Nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten wurde die Nenninger Pietà von Oktober 2004 bis Mai 2005 im Alten Schloss in Stuttgart in der Ausstellung ‘Große Kunst im Kleinformat’ gezeigt.

2014 - Nenningen
Im Zuge der Vorbereitungen für die Ausstellung ‘Leid - Trost - Hoffnung. Marienklagen im Wandel der Zeit’ anlässlich des 240. Jubiläums der Nenninger Pietà in der Pietà-Kapelle beurteilte das Landesamt für Denkmalpflege deren Zustand. Aufgrund der Erkenntnisse von 2004 wurde beschlossen, dass die Nenninger Pietà zu wertvoll ist, um irgendwelchen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt zu werden. Sie darf daher nicht mehr bewegt werden, keine Reise zu irgendeiner Ausstellung mehr antreten und nur noch im Kapellenraum selbst von Schmutz gereinigt und restauriert werden. 
Aus diesem Grund musste die Kirchengemeinde Nenningen schweren Herzens der Anfrage zur großen Ausstellung ‘Mit Leib und Seele - Münchner Rokoko von Asam bis Günther’ (Dez. 2014 - April 2015) ablehnen.

Quellen und Literatur

- Imago Christi, Katalog des päpstlichen Pavillions bei der Weltausstellung in Brüssel, Antwerpen 1958
- Adolf Feulner, Ignatz Günther - Der große Bildhauer des bayerischen Rokoko, Katalog, München 1951
- Gabriele von Trauchburg, Leid - Trost - Hoffnung. Marienklagen im Wandel der Zeit, Katalog, Donzdorf/Lauterstein 2014
- Gabriele von Trauchburg, Lauterstein. Weißenstein-Nenningen, Kirchenführer, Lauterstein 2015
- www.pieta-nenningen.de








Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 9.3: Der Stifter der Nenninger Pietà

© Gabriele von Trauchburg


Den Auftrag für die heute weltberühmte Pietà des bayerischen Hofbildhauers Franz Ignaz Günther hatte der damalige Nenninger Dorf- und Patronatsherr, Freiherr Maximilian Emanuel von Rechberg erteilt, der in München der bayerischen Kurfürstin Anna Maria Sophie als Oberhofmeister diente.


Franz Ignaz Günther, Nenninger Pietà, 1774 - © GvT

Maximilian Emanuel von Rechberg als Mäzen und Auftraggeber

Maximilian Emanuel von Rechberg, geboren 1736 in München ist der Auftraggeber und Stifter der Nenninger Pietà des Franz Ignaz Günther. Maximilian Emanuel war der Sohn von Johann Bero von Rechberg-Kellmünz-Osterberg und dessen Ehefrau Maria Theresia von Lösch-Hilgertshausen. Sein Vater war Oberst bei der bayerischen Kavallerie, seine Mutter war Obersthofmeisterin in München. Schon allein diese beiden Hinweise genügen, um zu erkennen, dass Maximilian Emanuel wohl mehr Bindungen nach Bayern hatte, als man das hier im Lautertal zunächst vermuten würde.
Die Familie lebte während des Winters in München und im Sommer in Weißenstein. Die Erklärung dafür ist einfach. Politik wurde nur von Oktober bis März oder April gemacht, im Sommer reisten die Hofmitglieder auf ihre Güter und überwachten die Arbeiten auf den Feldern - der daraus erwirtschaftete Ertrag war die notwendige Basis für das Leben im Winter am Hof.
Das Jahr 1745 war ein Schicksalsjahr für den damals 9jährigen Maximilian Emanuel. Er  verlor im gleichen Jahr seinen Vater und seinen älteren Bruder Bernhard.
Entsprechend den Familiengesetzen war nicht Maximilian Emanuel der Erbe seines Vaters, sondern sein Onkel Franz Xaver Leo, der jüngere Bruder seines Vaters. Dieser wurde nun Oberhaupt der Familie Rechberg und übernahm die Herrschaften Hohenrechberg und Weißenstein am Fuße der Schwäbischen Alb sowie Kellmünz, und Osterberg im Bereich des Illertals zwischen Ulm und Memmingen. Maximilian Emanuels Mutter, Theresia, und ihre Kinder wurden deshalb nur mit Geld abgefunden.
Doch Theresia scheint eine energische, weitsichtige und tatkräftige Frau gewesen sein. Mit der Abfindung und ihrem eigenen Vermögen erwarb sie die damals württembergische Hälfte von Donzdorf und sorgte auf diese Weise dafür, dass Maximilian Emanuel seine väterliche Heimat nicht vergaß und statt dessen sich langsam darauf vorbereiten konnte, hier als Erwachsener einmal die Herrschaft zu übernehmen.

Schloss Donzdorf - © GvT
Maximilian Emanuel wuchs überwiegend in München auf, wo er auch seine erste Ausbildung erhielt, dann studierte er Rechtswissenschaften in Ingolstadt, wo er mit Auszeichnung abschloss. Anschließend reiste er mit einem Erzieher durch Europa, studierte in Straßburg ein Semester lang Diplomatie und lernte Kunst und Kultur an den führenden Höfen in den Niederlande, Belgien und in Paris kennen. Danach bewarb er sich am Münchner Hof und auch dort bestand er die geforderte Aufnahmeprüfung.
Maximilian Emanuel war ein gutaussehender junger Mann, der auch noch über ein beträchtliches Vermögen verfügen konnte. Nach dem Tod seiner Großtante Maria Adelheid von Törring-Seefeld 1747 erhielt er das Erbe seines Großonkels Gaudenz von Rechberg. Er war also das, was man eine gute Partie nannte. Am 17. Oktober 1764 heiratete er Walburga Freifrau von Sandizell. Sie stammte aus einer ebenfalls eng mit dem Münchner Hof verbundenen Adelsfamilie.  
Der Alltag von Maximilian Emanuel von Rechberg, seiner Ehefrau Walburga und seiner Familie läßt sich gut verfolgen. Im Laufe der Jahre erblickten 15 Kinder das Licht der Welt, von denen 11 das Erwachsenenalter erreichten. Die Wintermonate verbrachte man in München. Dort arbeitete Maximilian Emanuel in verschiedenen Positionen innerhalb der Hofverwaltung. Schließlich wurde er oberster Verwalter der Kurfürstin Anna Sophie.

Herrschaftsübernahme in Weißenstein und Nenningen

Seine juristischen Kenntnisse wandte Maximilian Emanuel schon bald in seinen Herrschaften an - zuerst in der Herrschaft Donzdorf, die er seit 1764 regierte. Nach dem Tod seines Onkels Franz Xaver Leo von Rechberg im Dezember 1768 übernahm Maximilian Emanuel die Regierung der übrigen rechbergischen Herrschaften.
Ihm gehörten nun die Stammburg Hohenrechberg mit dem zugehörigen Besitz, die Weißensteiner Herrschaften, die nach dem Tod seines Vaters an den Onkel gefallen waren - also Kellmünz und Osterberg im Illertal und Weißenstein mit Nenningen, Degenfeld und Böhmenkirch im Lautertal und schließlich der 1745 zurückgekaufte halbe Teil von Donzdorf - die andere Hälfte gehörte der damals in Winzingen ansässigen Familie Bubenhofen.
Maximilian Emanuel ging seine neuen Aufgaben mit Elan an. Er organisierte die Verwaltung nach den neuesten Erkenntnissen und schuf für seine Untertanen die Möglichkeit, alte Lehen - eine Art Pacht - durch Kauf in privates Eigentum umzuwandeln. Ebenso brachte er die Handwerkerordnungen auf den neuesten Stand. Bildung war ein ganz wichtiges Thema für ihn. Zusammen mit seinem Vertrauten, dem Pfarrer und späteren Dekan Joseph Rink machte er sich daran, das Schulwesen neu zu organisieren.

Maximilian Emanuel und sein Verhältnis zur katholischen Kirche

Aufgrund der bisherigen Beschreibung der Person Maximilian Emanuel von Rechberg erkennt man keinen hinreichenden Grund, eine Pietà zu stiften. Der ergibt sich erst aus der Tatsache, dass Maximilian Emanuel von Rechberg als Herrschaftsinhaber auch die Rechte und Pflichten eines Patronatsherrn innehatte. Dabei beschäftigte sich Maximilian Emanuel mit Fragen der katholischen Kirche im allgemeinen ebenso, wie mit den Sorgen und Problemen der ihm zugehörigen Pfarreien im besonderen.
Die notwendigen Fähigkeiten besaß er als ausgebildeter Jurist beider Rechte, d.h. er hat weltliches Recht ebenso studiert, wie kirchliches. Durch seine Kenntnisse im kirchlichen Recht wurde er beispielsweise vom bayerischen Hof mehrfach beauftragt, die Wahl des Freisinger und Regensburger Bischofs zu beobachten und für den vom Hof favorisierten Kandidaten Werbung zu machen.
Privat unterhielt Maximilian Emanuel zahlreiche Kontakte zu Geistlichen - in München und in verschiedenen bayerischen Klöstern. In seiner Eigenschaft als Obersthofmeister der Kurfürstin-Witwe, d.h. er war deren oberster Verwalter, reiste er häufig mit ihr zum Augsburger Bischof Clemens Wenzeslaus von Sachsen, ihrem Bruder.

Maximilian Emanuel und seine Patronatspfarreien

Er beschäftigte sich intensiv mit den Bewerbungsschreiben der Kandidaten in seinen Pfarreien und pflegte einen engen Briefkontakt mit seinen Pfarrern. In seinen Sommerurlauben lud er sie häufig ins Donzdorfer Schloß ein oder besuchte sie in ihren Pfarrhöfen und brachte bei dieser Gelegenheit meistens eine Spende mit.
Zusammen mit seinen Pfarrern verbesserte er bzw. richtete er die Volksschulen in seinen Herrschaften ein. Er informierte sich über die neuesten Lehrmethoden und gab entsprechende Informationen an seine Pfarrer weiter. Für die besten Schüler gab es am Schuljahresende Preise.  Und die fleißigsten Schüler konnten auf Stipendien hoffen. So finanzierte er einem jungen Mann aus Weißenstein ein Medizin-Studium und die Einrichtung einer Praxis. Weiter ließ er Hebammen ausbilden. Weiterbildung in Tiermedizin wurde ebenfalls von ihm bezahlt, so dass seine Herrschaften mit fähigen Männern und Frauen ausgestattet waren.
Diejenigen Männer, die sich für eine Karriere als Priester entschieden hatten, unterstützte er ebenfalls mit Stipendien. Mehrere studierten an der bayerischen Universität Ingolstadt und berichteten regelmäßig über ihre Lernerfolge. Alles in allem war Maximilian Emanuel immer am Puls der Zeit und versuchte, die besten Voraussetzungen für seine Herrschaften zu schaffen.
Zu seinen Aufgaben als Patronatsherr gehörte auch die Baupflicht - d.h. er leistete damals seinen Beitrag zum Unterhalt derjenigen Kirchen und Pfarrhöfe, die unter seinem Patronat standen. Aus diesem Grunde finden sich zahlreiche Belege für Renovierungen von Pfarrhöfen und Kirchen im Gräflich Rechbergschen Archiv - beispielsweise für den Nenninger Pfarrhofe und die Donzdorfer Martinskirche.

Maximilian Emanuel und sein Verhältnis zur Nenninger Pfarrei

In einem Zeitraum von 90 Jahren war die Pfarrei Nenningen unbesetzt geblieben. Im Jahre 1768 traten dann die Vertreter der Bürgerschaft im Ort an Maximilian Emanuel mit der Bitte heran, erneut eine Pfarrei in Nenningen einzurichten. Maximilian Emanuel griff den Antrag auf, man begann mit dem Neubau des Pfarrhofes im Herbst 1768, und Maximilian Emanuel verabschiedete am 30. Januar 1769 in Absprache mit dem Bistum Konstanz einen Stiftungsvertrag über die Einrichtung der Pfarrei Nenningen. Anschließend präsentierte er Sebastian Kübler als neuen Pfarrer.
Nenningen ist nicht die einzige Pfarrei, die von Maximilian Emanuel gegründet wurde. Die nächste war die Pfarrei Hohenrechberg. Die Verhandlungen zu deren Gründung hatten noch unter seinem Onkel Franz Xaver Leo begonnen, doch Maximilian Emanuel brachte sie 1772 zum Abschluss. 

Maximilian Emanuel, der Kunstkenner und Mäzen

Doch wie war es dem Stifter gelungen, an den schon zu Lebzeiten renommierte Künstler Ignaz Günther heranzutreten und diesen für die Schaffung einer überlebensgroßen Pietà-Gruppe zu gewinnen? Von Maximilian Emanuel weiß man, daß er ein Kenner der damaligen - modern gesprochen - Münchner Kulturszene gewesen war. Kultur in sämtlichen Varianten und kulturelles Engagement gehörte so selbstverständlich wie Essen und Trinken zum alltäglichen Leben von Männern und Frauen, die in gehobenen gesellschaftlichen Positionen standen. Dazu zählten nicht nur Adelige, sondern auch Bürgerliche.
Für Maximilian Emanuel war die Kenntnis der Kulturszene von besonderer Bedeutung. Als Obersthofmeister der bayerischen Kurfürstin gehörte es zu seinen Aufgaben, die Kurfürstin über neue Strömungen in der Kunst und über neue Talente, die sich bei Hofe vorstellten, zu informieren.
Maximilian Emanuel profitierte von diesem Wissen auch in privater Hinsicht. Er selbst war weniger den bildenden Künsten als der Musik zugetan. Er war ein profunder Kenner der Rokokomusik und kannte namhafte Künstler persönlich. Er förderte sie beispielsweise dadurch, daß er Musikkompositionen in Auftrag gab oder sich Abschriften von Musikstücken bei den Künstlern direkt bestellte. Auf diese Weise wissen wir, daß Maximilian Emanuel Leopold Mozart und seinen Wolfgang persönlich gekannt und sein Sohn Aloys später bei Leopold Mozart in Salzburg Klavierunterricht erhalten hatte. Aber er belohnte auch weniger bekannte Musiker - seien es die durch das Lautertal fahrenden Musiker, die im Donzdorfer Schloß auftraten, oder die Musiker vor Ort.
Die beruflich wichtigen Kontakte zu Künstlern aller Kunstgattungen nutzte Maximilian Emanuel auch für seine persönlichen Zwecke, was außerdem bei Hofe gern gesehen wurde. So ließ sich beispielsweise Maximilian Emanuel und seine Frau Walburga wohl anlässlich ihrer Eheschließung von dem großen Porträtmaler am bayerischen Hof, Georges Demarée, porträtieren.
Des weiteren beauftrage Maximilian Emanuel auch für die Ausstattung seines Donzdorfer Schlosses und seines Gartens namhafte auswärtige Künstler und örtliche Kunsthandwerker. Auf diese Weise entstand im Lautertal ein differenziertes Handwerk, das sich bis heute fortsetzt. Kunst wurde damals als ein Bedürfnis betrachtet, das den Menschen zugute kam. Die Kosten dafür erachtete man nicht - wie oftmals heutzutage - als rausgeschmissenes Geld.
Für seinen Donzdorfer Garten ließ Maximilian Emanuel mehrere Entwürfe anfertigen, u.a. von dem Rokoko-Spezialisten in München, François Cuvillier d.Ä. Man vermutet zudem, dass Handwerker von Cuvillier bei der Rokoko-Ausstattung des Donzdorfer Schlosses mitgearbeitet haben. Nebenbei bemerkt: Cuvillier war der Architekt und Ausstatter des gleichnamigen Münchner Theaters, in dem Maximilian Emanuel eine eigene Loge besessen hatte und das vor kurzem nach einer langen Renovierungsphase wiedereröffnet hat.

Der Künstler Franz Ignaz Günther und die Verwandtschaft Maximilian Emanuels

Und jetzt stellen wir uns einmal folgende Situation vor: Maximilian Emanuel steht vor der Entscheidung, eine Skulptur für seine Nenninger Kapelle kaufen zu wollen. Für welchen Künstler sollte er sich entscheiden? Was würden Sie in einer derartigen Situation machen? Sie würden sich im Verwandten- und Freudeskreis umhören!
Maximilian Emanuel von Rechberg muss schon früh auf den noch sehr jungen Franz Ignaz Günther aufmerksam geworden sein. Günther war in dem Ort Altmannstein im Altmühltal aufgewachsen. Dieser Ort war der Fürstin Portia, eine Tante von Maximilian Emanuels Ehefrau Walburga, im Jahre 1731 vom damaligen Kurfürsten Karl Albrecht geschenkt worden. Als sich die herausragenden Talente des jungen Mann zeigten, vermittelte sie oder ihr Mann, Fürst Portia, die Kontakte zum damals führenden Münchner Bildhauer, Johann Baptist Straub. Dieser stammte aus der bayerischen Exklave Wiesensteig, die von der Familie Rechberg verwaltet wurde. Sowohl Straub, als auch Günther erledigten während ihrer künstlerischen Karrieren zahlreiche Aufträge für die eng miteinander verwandten Adelsfamilien Rechberg, Portia, Preysing, Törring-Seefeld und Törring-Jettenbach. Auffallend ist jedenfalls: Maximilian Emanuel hatte einen Schwager - August Joseph von Törring-Jettenbach (1728-1802), der mit einer Schwester von seiner Ehefrau Walburga verheiratet war. Dieser Schwager ließ seit 1768 die Pfarrkirche in München-Bogenhausen von zwei Künstlern - Franz Ignaz Günther und Joh. Baptist Straub - mit Skulpturen ausstatten - und war offenbar hoch zufrieden.
Wenn wir uns noch weiter umblicken, dann erfahren wir, dass einer der engsten Freunde von Maximilian Emanuel, ein Graf LaRosée, schon 1772 ein Werk bei Franz Ignaz Günther bestellt hatte. Und schließlich weiß man, daß Franz Ignaz Günther 1771-1772 zwei Grabmäler für den Reichsgrafen Johann Carl von Preysing in Ingolstadt geschaffen hatte. Und welch ein Zufall: dieser Graf Preysing war mit Maria Josepha von Rechberg, einer Cousine von Maximilian Emanuel verheiratet. Und dann ist noch etwas anderes bekannt: François Cuvillier d.Ä. hatte einen starken Einfluß auf das Schaffen und auf die Aufträge von Franz Ignaz Günther.
Es gab also genügend Fürsprecher für Franz Ignaz Günther bei Maximilian Emanuel. Zudem lag die Werkstatt von Günther nur wenige hundert Meter von Maximilian Emanuels Münchner Wohnhaus entfernt.
Aus all diesen kleinen Puzzle-Teilen ergibt sich also das Bild, dass durch die vielen direkten oder indirekten Empfehlungen und Beziehungen Maximilian Emanuel in Ignaz Günther den besten Künstler vor sein Vorhaben gefunden hat.


Montag, 11. Februar 2019

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 9.2 - Neubau der Pietà-Kapelle

© Gabriele von Trauchburg


Die Grundsteinlegung zur Kapelle 1774

Den Grundstein zur neuen Kapelle legte 1774 der damalige Dekan des Kapitels Geislingen und Donzdorf, der Pfarrer Agnes G. Schroz. Da die Kirchengemeinde Nenningen nach der gerade überstandenen Hungersnot über kein nennenswertes Vermögen verfügte, sorgte der Patronatsherr, Maximilian Emanuel von Rechberg, dafür, dass die Baukosten sich in einem engen Rahmen hielten. In einer Festschrift zur Kapelle von 1871 wurde vermerkt: Da zum Bau ein eigener Fond, aus welchem die Ausgaben hätten geschöpft werden können, nicht vorhanden war, so hat der erwähnte besonders Erlauchte Herr Maximilian Emanuel von Rechberg in seiner bekannten Freigebigkeit und Frömmigkeit alles Holz, die gebrannten Dachziegel und den Kalk umsonst geliefert. Die Kirchenfabrik (= Kirchenverwaltung) bezahlte die Handwerksleute, die Gemeinde aber leistete Hand- und Spanndienste. Das Gebäude hat aufgebaut der Architekt I. Mich. Keller aus Schwäbisch Gmünd. Die Kirchenpflege verwaltete der Müller Melchior Waibel und Konrad Geiger. Und nun möge der allgütige große Gott die Kapelle zu größerem Ruhme seines Namens und zu Ehren der Schmerzhaften Jungfrau seiner Mutter erhalten.
Deutlich geht aus dem Text folgendes hervor: Nur die gemeinsame Anstrengung und Zusammenarbeit von Patronatsherr und der Gemeinde Nenningen erlaubte es, kurz nach einer schweren klimatischen und damit verbundenen wirtschaftlichen Krise dieses Werk in Angriff und zu einem guten Abschluß zu führen.

Die Altarweihe in der neuen Kapelle

Die Kapelle war nun gebaut, aber noch nicht ausgestattet. Gleich danach wurde darin ein Altar errichtet und geweiht. Auch dazu gibt uns die Festschrift von 1871 einige Informationen: Am 12. Juni 1774 weihten der Donzdorfer Pfarrer und Dekan Schroz sowie der Nenninger Pfarrer Kübler die Kapelle. Es war eine beeindruckende Feier, zu der auch die hochwürdigen Herren Jakob Hirschmüller - Pfarrer in Reichenbach (unter Rechberg), Jakob Dangelmayer - Pfarrer in Wißgoldingen, und Baltasar Brauer - Pfarrer in Waldstetten gekommen waren. Jakob Hirschmüller hielt eine ausgezeichnete Predigt zu Ehren des Heiligen Herzens Jesu (der 12. Juni ist diesem gewidmet).  In den Altar wurden gelegt die Heiligen Reliquien aus den Gebeinen der Heiligen Martyrer Auxilius, Theophilus, Modestus, Clemens, Columbus, Severinus et Vigilantius - sodann ein Bild der seligen Jungfrau und ein Heiliges Kreuz von Wiblingen. Münzen aber mit Rücksicht auf die Armuth der Fabrik (= Kirchenverwaltung) ein Groschen und ein Denar von Konstanz. 
Trotz dieses Altares war die Ausstattung noch immer recht bescheiden, besonders für das Zeitalter des Rokoko. Diesem Zustand half wiederum Maximilian Emanuel ab, wie das nächste Kapitel zeigen wird.

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 9.1 - Lage und Vorgeschichte der Pietà-Kapelle

© Gabriele von Trauchburg


Der Schlussstein über dem Eingangsportal verrät eindeutig, dass die Kapelle am westlichen Ortseingang von Lauterstein-Nenningen im Jahre 1774 erbaut worden war. Sie ist der Neubau einer kleineren Kapelle, die zuvor an dieser Stelle gestanden hatte.

Die Lage der Kapelle

Wegen der heutigen Bebauung erkennt man nur noch schwer den Zusammenhang zwischen der Lage der Kapelle und ihrer Bedeutung. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es keine Gebäude rund um die Kapelle. Statt dessen lag sie deutlich vor dem Dorf am Ufer der Lauter auf dem Weg zu den Nenninger Feldern und Wiesen. 
Nenningen liegt wie ein Riegel vor dem östlichen Eingang zum engen Taltrichter der Lauter, der hier aufgrund der steilen Hänge des Albtraufs und des Kreuzbergs sehr schmal wird. Schaut man in westliche Richtung, dann eröffnet sich dem Betrachter ein ganz anderes Bild: Das Tal weitet sich nun zu einem flachen Talgrund, auf dem Landwirtschaft möglich war. Ein Blick in die alten Abgabenbücher der Herrschaft Weißenstein verrät, dass hier auch tatsächlich Ackerbau betrieben wurde. Hier wuchs nicht nur Getreide, sondern zeitweise auch Hopfen für die ehemalige Brauerei im benachbarten Ortsteil Lauterstein-Weißenstein.

Die Vorgeschichte der Kapelle von 1774

Überlieferte Einzelheiten zur alten Kapelle am Weg zu den Feldern und Wiesen des Dorfes Nenningen gibt es nicht. Man weiß nur, dass sie erstmals 1582 erwähnt wurde. Im Gegensatz zu Grünbach und Unterweckerstell gehörte ihre Verwaltung nicht zu denjenigen, die Kredite vergaben.
Die Kapelle war zu Ehren der allerheiligsten Dreifaltigkeit und der schmerzhaften Jungfrau Maria und zu Ehren des Heiligen Florian und Wendelin geweiht. Aufgrund der Lage der Kapelle - am Weg zu den Feldern und Wiesen - muss man ein besonderes Augenmerk auf die beiden Heiligen Florian und Wendelin werfen. Allein die Verehrung dieser beiden Heiligen weist deutlich darauf hin, vor welchen Schicksalsschlägen die Bewohner Nenningens sich am meisten fürchteten und wofür sie beteten.
Der Heilige Florian ist uns allen bekannt als Beschützer vor Feuer. Daneben hilft er aber auch bei Unwetter, unfruchtbarem Boden und Trockenheit - Phänomene, die man Rande der Schwäbischen Alb sehr wohl kennt. Der Heilige Wendelin ergänzt auf ideale Weise den Wirkungskreis von Florian. Wendelin ist der Patron der Hirten, Bauern und Schäfer, zudem des Viehs. Er hilft gegen Viehseuchen und sorgt für gutes Wetter und gute Ernte. Reliquien der beiden Heiligen befanden sich bereits im alten Kapellenaltar. Wie sehr die Zeitgenossen den Beistand der beiden Heiligen benötigen konnten, zeigen die Jahre von 1770 bis 1772.

Ein vulkanischer Winter und seine Folgen

Zwischen 1770 und 1772 veränderte sich schlagartig das Klima. In ganz Mitteleuropa fiel bis in die Sommermonate Juni und Juli Schnee. In der Folge wurden die Ernten von drei Jahren nahezu vollständig vernichtet. Ein heftiger Vulkan-Ausbruch ist wohl die wahrscheinlichste Erklärung für diese plötzliche und zeitlich begrenzte Klimaveränderung. In der Folge wurden damals die Lebensmittelvorräte knapp, die Menschen litten Hunger.
Noch heute können wir die Auswirkungen dieser Zeit in den Totenbüchern der Kirchengemeinden ablesen. Die Zahl der Verstorbenen schnellte sprunghaft in die Höhe - vor allem Kinder und alte Menschen waren davon betroffen. Sie starben - so notierten die Pfarrer - an Auszehrung, also am Hungertod.
Ab 1773 änderte sich die Lage dann wieder zum guten: Die erste Ernte konnte wieder eingefahren werden und die gesamte wirtschaftliche Situation verbesserte sich allmählich. Wohl aus Dankbarkeit, dieser Katastrophe entronnen zu sein, beschlossen der Herrschaftsinhaber und die Einwohner von Nenningen, die alte, außerhalb des Ortes gelegene Kapelle abzureißen und neu zu erbauen. Vor dem Abriss brachte man die kleine Pietà, die bis dahin in der Kapelle gestanden hatte, in die Pfarrkirche St. Martinus.

Pietà - um 1440,  St. Martinus Nenningen, - © GvT

         









 



 

Montag, 4. Februar 2019

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 4.6 - Hürbelsbach als Filiale von St. Martinus Donzdorf

© Gabriele von Trauchburg


Hürbelsbach als Filialkirche   

Spätestens seit 1569 ist die Kapelle Hürbelsbach eine Filialkirche der Pfarrei St. Martinus in Donzdorf. Diese Veränderung steht wohl im Zusammenhang mit der Einführung der Reformation im Kloster Anhausen im Jahre 1535 und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, gesicherte Quellen darüber gibt es jedoch nicht.
Während des 30jährigen Krieges hatte man die Kapelle ausgeräumt, um sie vor Plünderungen zu schützen. Anfang der 1650er Jahre berichtet die Heiligenrechnung dann von einem Rücktransport eines Altars nach Hürbelsbach. Einige Jahre später, 1688/89, wurde ein erster Seitenaltar aufgestellt. Man weiß nicht, wer diesen Altar hergestellt hatte, noch wie er gestaltet gewesen war.
Während des 18. Jahrhunderts sind mehrere größere Renovierungen vorgenommen worden. Ab dem Jahre 1725 sind verstärkt Andachten in der Kapelle in der Kreuzwoche - also zwischen dem 13. und 20. September - anhand der Ausgaben zu beobachten. Offenbar versuchte man, eine Wallfahrt in Hürbelsbach einzurichten. Aus diesem Grunde wurde die Kapelle in den folgenden drei Jahren schrittweise verschönert. Als 1728 in St. Martinus das alte Pflaster in der Kirche ersetzt wurde, erwarb die Kapellenverwaltung 400 Stück davon und verlegte sie in St. Laurentius. Zudem wurde das Gebäude frisch gekalkt und schadhafte Ziegel ersetzt. Und in der Kreuzwoche schmückte der Mesner den Altar in besonderer Weise.
Die Rechnung im darauf folgenden Jahr hält eine Überraschung bereit. Sie erwähnt erstmals das Hürbelsbacher Vesperbild. Doch während wir heute diese Figurengruppe in ihrer schlichten Schönheit bewundern, verlangte die Zeit des Barocks mehr. Die Rechnung besagt, dass dem geklaidten Vesperbild ein Schlair (Schleier) gekaufft worden war, der eine Länge von 4 Ehlen  (Ellen) aufwies und aus Seideldaffet (= Seidentaft) gearbeitet gewesen war.
Pietà im Schrein der Hürbelsbacher Kapelle - © GvT

Dieser kurze Vermerk über einen Stoffkauf ist gleichzeitig die erste schriftliche Nachricht über die Hürbelsbacher Pietà. Für uns heute kaum vorstellbar wurde die Figurengruppe im Zeitalter des Barocks mit Stoffkleidern versehen, ähnlich wie beim Gnadenbild in der oberbayerischen Klosterkirche Ettal oder in Maria Einsiedeln in der Schweiz. 
Auch in den Folgejahren wurde die Ausstattung der Hürbelsbacher Kapelle weiter vorangetrieben. So schuf ein nicht näher genannter Schwäbisch Gmünder Meister 1730/31 vier Blumenkrüge. 1735 stellte der Eybacher Maler Johann Jakob Kummer ein Antependium her, auf dem eine Darstellung des Heiligen Laurentius mit den Armenseelen zu sehen war. Kummer erhielt dafür 3 Gulden und 12 Kreuzer. Fünf Jahre später lieferte derselbe Künstler vier Blumenkörbe für 2 Gulden 40 Kreuzer, die ebenfalls farbig gestaltet waren. Anfang der 1740er Jahren wurde der Choraltar um ein Kreuz ergänzt und die in der Kapelle vorhandene, aus sechs Stücken zusammengesetzte Holztafel mit der Darstellung des heiligen Laurentius zusammengeleimt und der vorhandene Rahmen repariert. Am Ende dieses Jahrzehnts war die kleine Glocke im Turm zersprungen. Sie wurde eingeschmolzen und von den beiden renommierten Ulmer Glockengießern Kron und Frauenlob neu gemacht.

Die Barockisierung der Hürbelsbacher Kapelle

In den beiden Jahren 1750 und 1751 erhielt die Kapelle einen neuen Altar im Wert von 56 Gulden, den der Donzdorfer Schreiner Johann Staudenmayer anfertigte. Es handelt sich hierbei vermutlich um denjenigen Altar, der auch heute noch in Hürbelsbach steht. Dieser besitzt eindeutig barocke Elemente.

Der Hürbelsbacher Altar in seiner gegenwärtigen Form bei geschlossenen Flügeln. Der Altartisch und die Predella weisen barocke Elemente auf - © GvT

Im Altarschrein befand sich damals noch nicht die Pietà, sondern ein von dem Schwäbisch Gmünder Maler Johann Jakob Urbon (in der Literatur auch ‘Urban’), einem Mitglied der bekannten Gmünder Malerfamilie, für 40 Gulden gefertigtes Altarblatt. Urbon hatte zunächst einen Entwurf angefertigt, der die Zustimmung der Kapellenverwaltung gefunden hatte. Als die einzelnen Elemente angefertigt gewesen waren, wurde der Altar in der Donzdorfer Zehntscheuer von sieben Männern aufgebaut.
Doch damit stellt sich nun die entscheidende Frage: Wenn Staudenmayer einen neuen Altar geschaffen hatte, was war dann mit dem Zeitblom-Altar passiert? Man gewinnt den Eindruck, dass der alte Altar in Einzelteile zerlegt und Teile davon noch in der Kapelle präsentiert wurden.
Gleichzeitig mit dem neuen Choraltar entstand auch noch die Statue der Heiligen Ottilia. Diese fertigte ein nicht namentlich genannter Schwäbisch Gmünder Bildhauer für 4 Gulden und 30 Kreuzer an. Anschließend trug der Sohn des Malers für 10 Kreuzer die Heiligenfigur nach Weißenstein, wo der dortige Maler ihr für den Preis von 1 Gulden und 45 Kreuzern eine farbige Fassung verlieh.
Die Heiligenrechnung belegt damit eindeutig ihren Entstehungsprozess im Jahr 1751. Damit ist die bislang gültige Annahme, sie sei bereits Ende des 15. Jahrhunderts entstanden, widerlegt.
Die Heilige Ottilia wird bei Augenleiden angerufen. Weil es im 18. Jahrhundert noch keine moderne Augendiagnostik gab, suchten die Gläubigen bei der Heiligen Hilfe. So wuchs Hürbelsbach zu einem Wallfahrtsort für ein Leiden, um dessen Linderung sonst nirgends in der Region gebetet werden konnte.
Die Figur der Heiligen Ottilia, die mit ihren Attributen Buch und zwei Augen dargestellt ist, stand bis 1969 in der Hürbelsbacher Kapelle. Sie wurde gemeinsam mit der Heiligen Appolonia gestohlen und ist seither verschollen.
Heilige Ottilia, 1751, gestohlen 1969 und seither verschollen

Die Heiligenrechnung von 1758 offenbart, dass es außer der Heiligen Ottilia noch eine weitere  Statue in der Hürbelsbacher Kapelle gegeben hatte. In der Liste der Ausgaben taucht die Eintragung auf, dass der Waldstetter Maler Anton Sebastian Bez, der viele Jahre später auch für die Kapelle Grünbach arbeitete (s. dort), für die Fassung Von das Frauenbild und die Cron bezahlt worden ist. 


1770-1773 - Ein vulkanischer Winter und seine Auswirkungen

In der Zeit zwischen 1770 und 1773 kam es zu einem vulkanischen Winter. Ein derartiges Phänomen bedeutet, dass innerhalb kürzester Zeit die jährliche Durchschnittstemperatur um 2 Grad oder noch mehr sinken kann. Außerdem sind außergewöhnlich viele Niederschläge in Form von Schnee und Regen zu verzeichnen. Die große Hungersnot von 1815-1817 mit all ihren Erscheinungsbildern ist bekannt. Genau dieselben Probleme traten zwischen 1770 und 1773 auf.
Daher verwundert es nicht, dass für die Kapelle Hürbelsbach für 1771 eine detaillierte Rechnung des Donzdorfer Glasers Joseph Deibele in Höhe von 16 Gulden und 40 Kreuzer vorliegt. Diese für Glaserarbeiten extrem hohe Summe zeigt, dass es damals zu enormen Unwettern genommen war. Daher verwundert es auch nicht, dass der Donzdorfer Maurer Johannes Höllriegel Reparaturen am Dach hatte vornehmen müssen. Wie groß die Not tatsächlich war, erkennt man auch am Erwerb eines Partikels von den Gebeinen des Heiligen Laurentius durch den Donzdorfer Pfarrer und Dekan Schroz. Die Reliquie kostete 10 Gulden. Anschließend ließ Schroz dafür noch eine Monstranz in Höhe von 5 Gulden anfertigen. 
Im Jahre 1774 war das schlimmste überstanden. Deshalb konnte man im folgenden Jahr an  Reparaturen gehen. Zwischen Mai und November erledigte wieder der Maurermeister Höllriegel die notwendigen Arbeiten am Dach, für die er u.a. 200 Dachziegel aus Schnittlingen benötigte.
Gleichzeitig wurde im Inneren der Altar wieder auf Hochglanz gebracht. Zuerst nahm der Donzdorfer Schreiner Johannes Menrad Reparaturen am Choraltar, den beiden Seitenaltären und schließlich an der Kanzel vor. Anschließend versah der Zimmermann Michael Schuhmacher den Choraltar mit einem Gerüst, damit im folgenden Jahr der uns bereits bekannte Maler Anton Bez aus Waldstetten eine neue Fassung aufbringen konnte.
Zwei Jahre später wurden die beiden neuen Türflügel von Schreiner Menrad gefertigt und mit Zubehör vom Schlosser Johann Michael Schwarz ausgestattet. Zum Schluss erhielt die Kapelle noch einen neuen Opferstock, den ebenfalls der Schlosser Schwarz hergestellt hatte.


Die Folgen der Napoleonischen Ära

Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Eingang zum Lautertal immer wieder Schauplatz von Truppendurchmärschen, sei es durch französische Revolutionstruppen oder kaiserliche Soldaten. Die Napoleonischen Kriege kosteten Unsummen von Geld, die von den einzelnen deutschen Herrschaften aufgebracht werden mussten. Um Plünderungen zu vermeiden, versorgte man die Truppen so gut als möglich, am besten mit Wein und Brandwein.  Dies hatte zur Folge, dass die rechbergischen Herrschaften bis 1808 finanziell vollständig ausgeblutet waren. Zur Rettung der erst 1770 gegründeten Pfarrei Hohenrechberg hatte Maximilian Emanuel von Rechberg bereits die Wallfahrt auf den Bernhardus auf den Hohenrechberg (vgl. dazu in diesem Post) übertragen lassen.
Auch der Donzdorfer Pfarrer Joseph Rink musste, wo immer möglich, Einsparungen vornehmen. Dies gelang am ehesten bei den Kapellen. Es verwundert daher kaum, dass man mit dem Ausverkauf der Kunstgegenstände in den Kapellen begann.
Wie bereits in Teil 4.5 ausgeführt, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Altarflügel des Zeitblom-Altars durch den Donzdorfer Pfarrer Rink verkauft. Einzelne schriftliche Details darüber findet man nicht mehr. Doch nicht nur die Zeitblom-Tafeln wurden aus Hürbelsbach entfernt. 
Im Jahre 1810 erfährt man aus einem Brief von Joseph von Rechberg, Sohn von Maximilian Emanuel, an seinen Bruder und damaligen Verwalter der rechbergischen Herrschaften, Franz Xavier, dass noch immer altdeutsche Elemente sich in der Hürbelsbacher Kapelle befanden. Joseph, der Gemäldesammler innerhalb der Familie, bat seinen Bruder, ihm zwei altdeutsche Bilder aus Hürbelsbach zu schicken. Diese Stelle im Brief legt die Vermutung nahe, daß zwei weitere spätgotische Gemälde, über deren Motive keine Überlieferung existiert, aus dieser Kapelle entnommen und auf dem Münchner Kunstmarkt verkauft wurden.
Im Jahre 1814 sollte die Kapelle Hürbelsbach ganz abgerissen werden. Zum damaligen Zeitpunkt muss sie bereits leergeräumt gewesen sein, d.h. auch das Epitaph von Ulrich II. von Rechberg war aus der Kapelle entfernt und in die Pfarrkirche St. Martinus (s. St. Martinus - Gruftkapelle) gebracht worden. Man hatte, so erzählt die Legende, bereits mit den Abbrucharbeiten am Turm begonnen. Zuerst sollte die kleinere Glocke entfernt werden. Diese war der Heiligen Susanna, der Patronin der Glocken, gewidmet. Die keusche Susanna steht mit ihrer Standhaftigkeit und der gerechtfertigten Rettung vor dem ausgesprochenen Todesurteil für das Hoffnungsbild aller Christen. Glockeninschrift soll gelautet haben: Susanna, sollst ewig da hanga. Als der gerade anwesende Rink diese Nachricht vernommen hatte, soll er die Abbrucharbeiten beendet haben. Die Kapelle Hürbelsbach war ihrem Schicksal entgangen.


Hürbelsbach bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

Im Jahre 1885 wurde die Hürbelsbacher Kapelle erneut völlig umgestaltet. Zuerst erhielt die Kapelle einen bis heute erhaltenen Anbau (Kirchenschiff) aus lokalem Sandstein.
Der barocke Altar verschwand bis auf Predella und Mensa, die auch heute noch als solche genutzt wird (s.o.). Der im Zeitalter von Historismus und Neogotik nach gotischem Vorbild gestaltete Altarschrein ist aus ursprünglich nicht zusammen gehörenden Teilen zusammengesetzt worden. Während die Pietà sich  bereits in der Hürbelsbacher Kapelle befand, dürften die beiden Seitenflügel, Kopien von Originalen vom Ende des 15. Jahrhunderts, ursprünglich aus Unterweckerstell stammen.

Der Hürbelsbacher Altar in seiner heutigen Fassung. Das Schreingehäuse entstand wohl in der Zeit der Neogotik - © GvT

Zusätzlich wurde der Chor mit vier Wandbildern aus der Vita des Heiligen Laurentius von Ludwig Traub ausgestattet. Die im Chor gemalten Szenen sind heute aufgrund des Absperrgitters für den Besucher nicht sichtbar und werden deshalb hier gezeigt:   

© GvT

Das erste Bild zeigt die Gefangennahme von Papst Sixtus II. durch die römische Staatsmacht. Laurentius wollte seinem großen Vorbild in den Tod folgen, doch der Papst erteilte ihm den Auftrag, den Kirchenschatz an Leidende und Arme auszuteilen.

© GvT

Im zweiten Bild präsentiert Laurentius der Staatsmacht (= Männer links im Bild) die von ihm gegen den Willen von Kaiser Valerian beschenkten Armen als ‘die wahren Schätze der Kirche’.

© GvT
Die Staatsmacht sah sich düpiert und reagierte mit der Verhaftung von Laurentius. Er wurde mit Bleiklötzen geschlagen und zwischen glühende Platten gelegt. Man versuchte vergeblich, ihn zum heidnischen Opferdienst zu zwingen. Schließlich befahl der Kaiser, den standhaften Laurentius über stetig unterhaltenem Feuer auf einem Rost langsam zu Tode zu martern - daher also sein Attribut, der Gitterrost. Selbst in diesen Qualen bewahrte er sich seinen Humor und neckte den Henker, er solle ihn auf dem Feuer wenden, der Braten sei auf der einen Seite schon gar (Bild 3).

© GvT

Sein Kerkermeister Hippolytus war von Laurentius Standhaftigkeit so tief beeindruckt, dass er sich zum Christentum bekehrte und ihn begrub (Bild 4)

Signatur von Ludwig Traub im 4. Bild des Zyklus. Ludwig Traub, der auch den Heiligen Georg in Unterweckerstell gemalt hatte, ist einem breiten Publikum durch ein anderes Werk bekannt - er illustrierte mit 24 Strichätzungen und acht Holzstichen insgesamt sieben Marienkalendergeschichten von Karl Mayn

St. Laurentius im 20. Jahrhundert

Das Hürbelsbacher Lied
Auf Wunsch des Donzdorfer Pfarrers Karl Altmann entstand 1937 der Text für das Hürbelsbacher Lied. Der Autor des Textes ist der Donzdorfer Arzt, Dr. Franz Xaver Frey. Am 5. Februar 1937 brachte er den endgültigen Text zu Papier, als Grundlage diente eine bereits bestehende Melodie.
Die Entstehung dieses Liedtextes zu Beginn des Jahres 1937 muss vor dem Hintergrund der damaligen Zeit betrachtet werden. Schon während des gesamten Jahres 1936 wurden Vorbereitungen für den von Hitler geplanten Krieg getroffen. Ab Januar 1937 lief die Rüstungsmaschinerie auf vollen Touren. Ausgestattet mit diesem Wissen eröffnet sich vor allem ein ganz neues Verständnis für die Worte im dritten Vers des Liedes.  
Später vermachte er den Originaltext dem jungen angehenden, gläubigen Arzt Dr. Joseph Deininger. In der Regel wird bei jedem Gottesdienst und bei Andachten in der Kapelle das Hürbelsbacher Wallfahrtslied gesungen.

Umfassende Sanierung in den 1960er und Umgestaltung in den 1990er Jahren
Im Jahre 1964 begann die umfassende Außensanierung, die ein Jahr später durch die Innensanierung fortgesetzt wurde. Damals wurde die neogotische Ausstattung in weiten Teilen beseitigt. Die ornamentalen Malereien wurden übertüncht, übrig blieb nur der Laurentius-Zyklus von Ludwig Traub. Die 1885 aufgestellten Seitenaltäre wurden entfernt und durch  Heiligenfiguren ersetzt. Leider zog die frisch renovierte Kapelle Diebe an. Wie schon oben dargestellt, stahlen Unbekannte 1969 die beiden Heiligenfiguren Ottilie und Appolonia.
Nach dem Diebstahl von 1969 ermöglichte die finanzielle Stiftung von Generalkonsul Dr. Alexander Grupp und seiner Ehefrau Isolde eine Reihe von Änderungen in der Kapelle. 1984 erfolgte die Sicherung der Hürbelsbacher Figuren. 1991 kam ein neues, im gotischen Stil gestaltetes Gestühl hinzu, das bis heute in der Kapelle steht. 1993 konnte das Geläut um eine Marienglocke ergänzt werden. Diese war in der Gießerei A. Bachert in Heilbronn entstanden. Sie klingt in h”, wiegt 50 Kilo, ist 42 cm hoch und besitzt einen Durchmesser von ebenfalls 42 cm. Auf ihr ist ein Bild der Hürbelsbacher Pietà und die 3. Strophe des Hürbelsbacher Wallfahrtsliedes zu sehen. Die Glocke wurde am 29. August 1993 geweiht, 500 Jahre nach der Stiftung der Sidler-Glocke durch Ulrich II. von Rechberg .

Quellen und Literatur

GRFAD - Heiligenrechnungen von Hürbelsbach
- Walter Ziegler, Die Kulturdenkmale des Kreises Göppingen, o.J.
- http://karl-may-wiki.de/index.php/Ludwig_Traub
- https://www.heiligenlexikon.de/BiographienL/Laurentius.htm
- https://archivalia.hypotheses.org/98441 (Geschichte der Malerfamilie Urbon/Urban)

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