Donnerstag, 14. März 2019

Geschichte(n) von Gingen/Fils - Teil 1.3: Die erste bekannte Gingener Dorfherrschaft: Königin Kunigunde


© Gabriele von Trauchburg



Als zweite Frau möchte ich Ihnen die deutsche Königin Kunigunde vorstellen. Sie ist diejenige Königin, die ihren Ort Gingen im Jahre 915 an das Reichskloster Lorsch geschenkte und damit den Lauf der Gingener Geschichte bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts entscheidend beeinflusste. Was weiß man allgemein über sie? Greifen wir also auf die zuerst genannten 3 Kriterien (vgl. Teil 1.1) zurück:

Erste biographische Daten zu Königin Kunigunde
    - Info 1: Kunigunde war die erste deutsche Königin der Zeit nach den Karolingern, also nach 911
    - Info 2: Die einzige sie betreffende Urkunde ist die Schenkung Gingens von 915
Das Paradoxe an der Sache: Nicht einmal die Schenkungsurkunde von 915 stammt aus ihrer Hand, sondern in der Form wie sie überliefert ist, ist es die Bestätigung ihrer Schenkung durch ihren Ehemann König Konrad.
In der Forschung ist die Königin praktisch unbekannt, weil es kaum schriftlichen Informationen über sie gibt, zudem spielt sie im Machtgefüge ihrer Zeit kaum eine Rolle. Dennoch gibt es gute Chancen, weiteres Material über diese Frau zu sammeln, denn - im Gegensatz zu Claudia Messorina - lebte Königin Kunigunde im 9. und 10. Jahrhundert. Das bedeutet nun, dass man aufgrund der Auseinandersetzungen um die Führung im süddeutschen Raum nach der Karolingerzeit viele Akteure auf der politischen Bühne erlebt, zu denen die Königin ihre eigenen Beziehungen besaß.

Kunigundes Jugend
Ihre Geburtsjahr ist unbekannt, aber aufgrund der Tatsache, dass ihr Sohn 907 zum bayerischen Herzog und dann zum bayerischen König aufstieg, lässt doch Rückschlüsse zu. Man weiß, dass der Sohn - Arnulf der Böse - noch sehr jung bei der Übernahme seiner Ämter war, höchstens 20, eher 18 Jahre alt. Das lässt auf seine Geburt um 889 schließen. Bei seiner Geburt scheint Kunigunde noch sehr jung gewesen zu sein, vielleicht 16 oder 17 Jahre. Man kann also bei ihr auf ein Geburtsjahr um 872 schließen.
Über die Familie der Kunigunde gibt es einige gesichterte Informationen. Im Zusammenhang mit ihrer 2. Ehe erfährt man, dass sie zwei Brüder namens Erchanger und Berchtold hatte. Sie waren Pfalzgrafen, d.h. königliche Vertreter in dem von den Karolingern beherrschten Raum des ehemaligen Herzogtums Alamannien (zu dessen Umfang siehe http://www.s-line.de/homepages/m-ebener/KarteIII-2(Schwaben).html). 
Das Amt hatten die beiden Brüder von ihrem Vater Berchthold/Berthold I. geerbt, der der schwäbischen Hochadelsfamilie der Alaholfinger/Bertholde entstammte. Der Vorname der Mutter ist nicht bekannt, wohl aber ihr familiärer Hintergrund: Kunigundes Großvater war der aus den Quellen durchaus bekannte Elsässer Graf Erchanger. Die Schwester der Mutter war mit dem Karolinger Karl III. der Dicke, der für kurze Zeit das große Karolingerreich noch einmal vereinigen konnte. 
Das Zentrum von Kunigundes Familienbesitzes war die (Bertholds)Baar, d.h. vor allem im Bereich der Westalb bis etwa auf die Höhe von Münsingen, aber es gab auch noch Besitzungen rund um Kirchheim/Teck - diese letzte Anmerkung müssen wir im Auge behalten.

1. Ehe
Sie heiratete in 1. Ehe den bayerischen Markgrafen Luitpold († 4. Juli 907) aus der nach ihm benannten Adelssippe der Luitpoldinger. Dies geschah wohl um 888. Ihr Ehemann begann seinen Aufstieg im Umfeld von Kaiser Arnulf, dem uneheliche Sohn von König Karlmann von Bayern und Enkel von Ludwig d. Deutschen, dem König von Ostfranken. Kaiser Arnulfs Mutter war eine hochedle Frau namens Liutwind. Auffällig ist die Tatsache, dass sowohl die Mutter von Kaiser Arnulf von Kärnten und der Markgraf Luitpold denselben Namensbestandteil - Luit/Liut - tragen.

Exkurs: Mitteralterliche Namensgebung
Die früh- und hochmittelalterliche Namensgebung weist ganz bestimmte Merkmale auf. Zuerst einmal gab es keine Nachnamen. Die Familienzusammengehörigkeit lässt sich dennoch anhand der Vornamen rekonstruieren. Wenn man auf Namen wie beispielsweise Luit-pold, Luit-gard, Luit-bert stösst, dann darf man davon ausgehen, dass alle Namensträger zu einer Familie oder gar Großfamilie gehören. Gleiches gilt für ähnliche Namensgruppen. Wenn nun ein Mitglied der einen Namensgruppe mit einem aus einer anderen verheiratet war und Kinder bekam, dann wurden entweder gerne die Silben der einzelnen Namensgruppen zu neuen Kombinationen gemischt oder der Vorname eines wichtigen, bedeutenden Mitgliedes dem Nachwuchs gegeben.
In die erste Kategorie der Namensgattung gehörte Markgrafen Luitpold und die Mutter des Kaisers Arnulf, Liutwind. Als Luitpold vor der Frage nach der Namensgebung für seinen Sohn stand, entschied er sich für die zweite Kategorie - er benannte seinen Sohn nach seinem berühmten Verwandten, dem Kaiser Arnulf. Und eine enge Verwandtschaft würde auch den schnellen Aufstieg von Markgraf Luitpold und dessen Sohn Arnulf erklären. Die gleiche Entscheidung tragen Kunigundes Eltern, als sie ihren Sohn Erchanger nach dessen Großvater benannten.
Mit Hilfe dieses Modells und dem Vergleich von zahllosen Urkunden konnten die einzelnen Familien herausgefiltert und ihre Verbindungen hergestellt werden.       

Schlussfolgerungen aus dem mitteralterlichen Namenmodell
Markgraf Luitpold, der vermutlich aus dem Raum Freising stammt, wurde 893 von Kaiser Arnulf als Markgraf in Karantanien (Gebiet d. heutigen Kärnten und Teile Sloweniens) und Oberpannonien (nordwestl. Ungarn bis Wien) eingesetzt. 895 erhielt Luitpold die Grafschaft Donaugau und den Nordgau um Regensburg. Zudem übertrug ihm der Kasier Aufgaben in Mähren und wurde von ihm bei der Ungarnbekämpfung eingesetzt, wo er 907 während der Schlacht von Pressburg zu Tode kam.
Wohl spätestens seit der Erhebung von Luitpold zum Grafen des Nordgaus mit Zentrum Regensburg, hatte sich der Lebensmittelpunkt von Kunigunde in diese Stadt verlegt. Regensburg war gleichzeitig Machtzentrum des ostfränkischen Reichs, das seit 900 von König Arnulfs einzigem legitimen Sohn mit der Konradinerin Oda, Ludwig d. Kind (* 893), und seinen Beratern - Bischof Salomon von Konstanz und Erzbischof Hatto von Mainz regiert wurde. Oda war die Tante des späteren Königs Konrad I. Zuletzt begegnet der Markgraf im Jahre 907. Er hatte einen Offensivangriff gegen die Ungarn gewagt, in der Schlacht von Preßburg verloren und sein Leben gelassen.

Die Kinder der Kunigunde 
Aus der Ehe von Kunigunde und ihrem ersten Ehemann Luitpold gingen zumindest zwei Söhne hervor:
- der älteste Sohn und Erbe: Arnulf, * um 889 - wohl benannt nach Kaiser Arnulf († 899). Wird Herzog und König von Bayern und schließt mit den Ungarn Verträge ab.
- der zweite Sohn: Berthold, * um 900 - wohl benannte nach seinem Großvater, dem alamannischen Pfalzgrafen. Wird später zeitweise Herzog von Bayern.

Die Witwe Kunigunde von 907-913/14
Kunigundes Sohn Arnulf I., von Kirchenvertretern „der Böse“ genannt († 14. Juli 937 in Regensburg) war direkt nach dem Tod des Vaters 907 zum Herzog und König von Bayern ernannt worden. Der Königstitel rührte von dem Karolinger Ludwig d. Kind her. Über Kunigunde selbst erfährt man für die Zeit nach dem Tod ihres Mannes 907 und der 2. Heirat um 913/14  nichts. Da es keine Auto- oder Biographie der Königin gab, kann man jetzt nur nach den Rahmenbedingungen suchen, in denen sich die Witwe Kunigunde bewegen konnte.

Rechtliche Rahmenbedingungen der Kunigunde
Den rechtlichen Rahmen, in dem sich Kunigunde bewegte, erfährt man aus einer Gesetzessammlung der Alamannen - die Lex Alamannorum.  Die schriftliche Fixierung der Stammesgesetze entstand im 7. und 8. Jahrhundert. Diese Gesetzessammlungen wurden dazu angelegt, die Verfolgung von Straftaten in Form von Fehden einzudämmen und durch allgemein anerkannte Regelungen mit Strafen und Strafzahlungen zu ersetzen. Auf diese Weise sollten ein besseres Zusammenleben und v.a. viele Verstümmelungen nach dem Motto ‘Auge um Auge’, die schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Nachteile nach sich zogen, vermieden und auch gleichzeitig der Schutz von schwächeren Gliedern in der Gesellschaft - die Kirche, Frauen, Kinder etc. -  gewährleistet werden.
Stammesgesetze gab es für die Sachsen, die Bayern und für die Alamannen - die sogenannte Lex Alamannorum. Ihr Geltungsbereich erstreckte sich auf das Stammesmitglied, d.h. auf die Person, egal wo sie sich befand. Ein Stammesmitglied wurde immer nach seiner Herkunft verurteilt. Das bedeutet nun für Königin Kunigunde: Sie war eine gebürtige Alamannin und wurde daher nach diesem Recht beschützt und - hätte sie ein Verbrechen begangen - verurteilt.
Was sagt uns nun dieses Recht über Frauen??
    - es befasst sich mit Frauen, die rechtlich ‘frei’ sind, d.h. rechtlich unabhängig (Adel), dann von Frauen, die im Dienst eines Herzogs stehen, bis hin zur einfachen Türmagd.
    - es befasst sich mit unverheirateten und verheirateten Frauen
    - es befasst sich mit reisenden Frauen
    - es befasst sich mit Gewalt gegen Frauen
    - es befasst sich mit dem Erbrecht der Frauen.
Aus diesen Bestimmungen und dem mündlich tradierten Gewohnheitsrecht heraus, die im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert werden, ergibt sich folgendes Bild: Frauen standen zunächst unter dem Schutz ihrer eigenen Familie, d.h. Vater und Brüdern. Diese Männer übergaben sie bei ihrer Heirat aus dem Schutz der Familie in den Schutz der Familie ihres Mannes. Die Ehe wurde als geschäftliche, legale Verbindung betrachtet - meistens zur Zusammenführung von Geld, Grund und Boden, beim Adel vor allem Herrschaftsgebiete und politische Beziehungen. Zu ihrer Versorgung erhält eine Frau bei der Eheschließung eine Ausstattung durch ihre väterliche Familie, die mit dem gleichen Wert von der Familie des Ehemanns ergänzt wurde. Auf diese Weise wollte man die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau erreichen, wobei der Ehemann die Finanzen seiner Frau kontrollierte.
Eine Frau war bis etwa ins 12. /13. Jahrhundert genauso erbberechtigt, wie ihre Brüder. Dies hatte jedoch den Nachteil, dass eine ursprünglich beträchtliche Erbmasse innerhalb weniger Generationen zerstückelt wurde, in Adelsfamilien führte dies zu massivem Machtverlust einer einzigen Familie - man könnte dies jedoch auch positiv als ständigen Wandel in Besitzstrukturen auffassen. Dennoch überwog im Laufe der Zeit ie negative Sichtweise. Dies führte dazu, dass Frauen aus dem väterlichen Erbe ausgeschlossen wurden und statt dessen die eheliche Versorgung stärker anstieg.
Während der Ehe wurde das Erbe der Frau vom Ehemann und dessen Familie verwaltet. Die neue Familie musste jedoch dabei das Ziel des Erhalts oder im Idealfall sogar der Vermehrung verfolgen - unter den strengen Augen der Familie der Frau.
Falls der Ehemann einer Frau verstarb, sie also Witwe wurde, fiel sie aus dem Schutz der Familie des Ehemanns. Sie stand aber auch nicht mehr unter dem Schutz ihrer väterlichen Familie. Sie war also schutzlos (negativ gesehen), d.h. aber auch gleichzeitig eigenständig (positiv gesehen)! Solange sie eigenständig war, konnte sie nun ihr eigenes Vermögen - väterliches Erbe und Erbe ihres Mannes - eigenständig verwalten, mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Hatte sie Kinder, v.a. Söhne, so verwaltete sie zusätzlich deren väterliches Erbe bis zu deren Volljährigkeit. Sollte sie sich jedoch für eine neue Ehe entscheiden, begab sie sich wieder unter dem Schutz - und die Entscheidungen eines Mannes - wie zuvor. 
Was am meisten verblüfft, ist die Tatsache, dass viele Gesetze, die das Leben von Frauen in Deutschland bis in die 1960er Jahre bestimmten, sich aus diesen alten Stammesgesetzen ableiteten.

Im Vorfeld von Kunigundes 2. Ehe
Nachdem wir nun den allgemeinen rechtlichen Rahmen zusammengestellt haben, gilt es nun, diesen Rahmen in Beziehung zum persönlichen Umfeld der Königin Kunigunde zu setzen.
Seit der Mitte des 8. Jahrhundert beherrschten die Karolinger Mitteleuropa. Das bekannteste Mitglied dieser Familie war der im Jahre 800 zum Kaiser gekrönte Karl d. Große. Seine Nachfahren traten sein Erbe an. Sie teilten unter sich das Reich ihres Vaters auf. Im Vertrag von Verdun im Jahre 843 erhielt Karls Enkel Ludwig der Deutsche das Ostreich, das Kerngebiet des späteren Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen.
Die Nachfolger von Ludwig dem Deutschen waren Ludwig III., Karl III. - genannt der Dicke, Arnulf von Kärnten und schließlich Ludwig das Kind. Ludwig verstarb im September 911 im Alter von 18 Jahren. Mit seinem Tod im September 911 endete das karolingische Zeitalter in Deutschland. Damit entstand ein Machtvakuum, das gefüllt werden musste.

Zwischen der Mitte des 8. Jahrhunderts und zu Beginn des 10. Jahrhunderts hatten die Karolinger die alten Stammesherzogtümer Alamannien und Bayern zertrümmert und dort selbst die Macht übernommen. Die ursprünglich Herrschaftsträger im Herzogtum Alamannien waren der Herzog und seine Verwalter, die Grafen, gewesen. Im Verlauf der Karolingerepoche gab es immer wieder Epochen, in denen in diesem Herzogtum kein eigener Herzog amtierte, sondern die Herzogswürde von den Königen selbst wahrgenommen wurde. Sie vereinten damit Königs- und Herzogsgut in einer Hand und erhielten auf diese Weise eine hohe Machtkonzentration. Doch waren die karolingischen Herrscher nicht ständig im Herzogtum Alamannien anwesend. Daher überließen sie in einem solchen Zeitraum die Verwaltung ihren loyalen Pfalzgrafen. Diese Erkenntnis führt nun dazu, dass man den Vater der Kunigunde als den Karolingern loyal ergebenen Verwaltungsbeamten einschätzen darf.
Für diejenigen Politiker, die nun eine Zersplitterung des ostfränkischen Reiches vermeiden wollten, erhob sich die Frage, wer - d.h. welche Familie in die Fußstapfen der Karolinger treten sollte. Für diejenigen Adelsfamilien hingegen, die selbst Ambitionen zur Macht hatten, stand die Frage nach der Sicherung eines Teils der karolingischen Macht im Vordergrund.
Die um die Erhaltung des karolingischen Ostreiches bedachten Männer wählten den Herzog von Franken, Konrad I., zum Nachfolger von Ludwig d. Kind. Konrad war ein Cousin von Ludwig d. Kind gewesen, dessen Mutter Oda die Schwester von Konrads Vaters gewesen war. Seine wichtigste Stütze waren Erzbischof Hatto von Mainz - seine Diözese lag im Herzogtum von Konrad - und der Konstanzer Bischof Salomon.
Da gab es aber auch noch andere Verwandte, die eine ähnlich enge verwandtschaftliche Verbindung zu den Karolingern nachweisen konnten. Schließlich war der bayerische Markgraf Luitpold ebenfalls über seine Mutter mit den Karolingern verwandt und im Gegensatz zu Konrad vom Karolinger-Kaiser herausragend gefördert worden. Nach dem Tod des Markgrafen im Jahre 907 bei Pressburg wurde sein Sohn Arnulf sofort von den bayerischen Adeligen zu deren Herzog ausgerufen. Er sicherte die Kontinuität im Kampf gegen die Ungarn. Arnulf konnte problemlos die gesamte Machtfülle seinen Vaters - Markgraf in Karantanien, Graf im bayerischen Nord- und Donaugau - übernehmen und an seine Arbeit anknüpfen. Der eigentliche Machtwechsel in Bayern und Karantanien hatte sich also bereits im Jahre 907 vollzogen und gefestigt, Herzog Arnulf war beim Tod des letzten Karolingers bereits eine feste politische Größe. Nach dem Tod von Ludwig dem Kind wird er sogar als bayerischer König bezeichnet.
Warum also sollte ausgerechnet nur die Familie von König Konrad den großen Kuchen der Macht für sich allein erhalten, und die anderen nicht? Wie Herzog Konrad von Franken war wahrscheinlich auch die Familie der Königin Kunigunde wiederum über die Mutter mit dem alten Kaisergeschlecht verbunden und eine feste Größe in der Verwaltung des Herzogtums Alamannien. Es verwundert daher kaum, dass Kunigundes Brüder den Versuch zur Wiederherstellung des alten Stammesherzogtums wagten.
Starke Herzogtümer im Süden und Südosten des Ostfrankenreiches waren aufgrund der regelmäßig wiederkehrenden Ungarneinfälle dringend nötig. Die Ungarn fielen nicht nur in Bayern ein, sie rückten auch in den alamannischen Raum auf ihren verheerenden Beutezügen vor. Diese Gefahr wurde erst 955 bei der Schlacht auf dem Lechfeld südlich von Augsburg für das alamannische Herzogtum gebannt.

Die Entwicklung im Herzogtum Alamannien
In Alamannien vollzog sich die Entwicklung auf andere Art und Weise als in Bayern. Hier gab es zwar dieselben Versuche, das Stammesherzogtum gegen das Interesse der Zentralmacht wieder einzurichten, jedoch gab es keine Einigkeit unter den Adeligen. Der 1. Versuch einer Familie mit den Leitnamen Burchard scheiterte, dann traten die Brüder von Kunigunde in den Ring.
Die Auseinandersetzungen zwischen Kunigundes Bruder Erchanger und König Konrad führten dann tatsächlich im Herbst 913 zu einem Friedensschluss  - Teil des Friedensschlusses war die Heirat zwischen Konrad und Kunigunde. Zeitgenössische Quellen bezeichnen sie eindeutig als ‘Friedenspfand’. 
Dann verkalkulierte sich Erchanger. Er nahm den Konstanzer Bischof Salomon, einen Vertreter der königlichen Interessen fest. König Konrad verhaftete darauf hin seinen Schwager Erchanger und schickte ihn in die Verbannung. In den Wirren der einsetzenden Kriege ab 914 - der junge Burkhard gegen den König, dann der Sachsenherzog in Franken gegen den König, Rückkehr von Erchanger und Zweckbündnis mit Burkhard gegen den König. Ende der Auseinandersetzungen 916 bei der Synode von Hohenaltheim, wo sich der König zunächst durchsetzte.

Die Schenkung der Königin Kunigunde im Jahre 915 - Der Fronhof Gingen/Fils
Vor dem Hintergrund dieses Bürgerkrieges muss man nun die Schenkung der Kunigunde an das Kloster Lorsch betrachten. Als wieder verheiratete Frau stand sie unter dem Schutz und der Vormundschaft ihres Mannes. Es ist nicht bekannt, ob sie sich ständig in seiner Nähe aufhielt, also auch mit ihm in die einzelnen Schlachten des Bürgerkrieges zwischen 913 und 917 zog, oder ob sie im Familiensitz ihres Mannes, der Weilburg über der Lahn, Kreis Limburg a.d. Lahn in Mittelhessen, verblieb, der zeitweise vom Überfall des Herzogs von Sachsen bedroht war.
Die politische Situation hatte sich im Jahre 914 jedenfalls so weit zugespitzt, dass Kunigunde sich mit der Möglichkeit eines nahen Todes beschäftigte. Dies gehörte durchaus zur Mentalität jener Zeit und zeigte sich in Stiftungen für Kirchen und Klöstern.
Kunigunde wollte sich mit ihrer Schenkung das Versprechen der Fürbitte für ihr Seelenheil durch Mönche sichern. Die Nutznießer ihrer Stiftung sollten die Mönche der Klosters Lorsch an der Bergstraße sein, das im Herrschaftsgebiet ihres Mannes und seines Förderers Erzbischof Hatto von Mainz gelegen war.
Ihre Stiftung umfasste den Fronhof Gingen, eine sich selbst versorgende Verwaltungseinheit. Gingen war deren Hauptort, hinzu kamen sechs weitere Siedlungen. Warum Kunigunde sich gerade für Gingen entschied und woher dieser Besitz stammt, lässt sich nicht mehr feststellen. Vielleicht lässt es sich auf folgende Weise erklären: Gingen könnte der östlichste Besitz der Familie der Kunigunde gewesen sein. Weil er an der Periphärie des familiären Herrschaftsbereichs lag, war er als Schenkung geeignet.
Kunigunde war aufgrund des Stammesgesetzes und des Gewohnheitsrechtes nicht in der Lage, diese Stiftung rechtlich selbstständig abzuschließen. Dafür benötigte sie die Zustimmung ihres Mannes, die sie auch erhielt - wie man aus der Abschrift der ursprünglichen Urkunde im Codex Laureshamensis ersehen kann. Theoretisch wäre es König Konrad aber durchaus möglich gewesen, die Stiftung zu verhindern.

Zusammenfassung der neuen Details zur Biographie der Königin Kunigunde
Die ursprünglichen Kenntnisse zur Biographie von Königin Kunigunde beschränkten sich auf zwei Punkte - das Wissen um ihre Schenkung aus dem Jahre 915 an das Kloster Lorsch, die sie als Ehefrau des ersten ostfränkischen Königs nach der Karolingerzeit tätigte.
Durch intensive Recherchen konnten aber jetzt noch eine ganze Reihe neuer Daten gesammelt und zu einer ersten Biographie zusammengefasst werden.
  • Kunigunde wurde wohl um 872 geboren (Methodik: Alters- und Lebensabschnitte von Frauen im Mittelalter)
  • Ihr Vater war vermutlich der Pfalzgraf Berthold I., ihre Mutter möglicherweise eine Tochter des elsässischen Herzogs Erchanger und damit Schwägerin des Karolingerkönigs Karl III. dem Dicken (Methodik: Namensgebung im Mittelalter)
  • Kunigunde heiratete um 888 den aufsteigenden Markgrafen Luitpold im Herzogtum Bayern, möglicherweise der Cousin von Kaiser Arnulf aus der Karolingerfamilie. Luitpold war also möglicherweise der Onkel des Königs Ludwig d. Kind (899-911) (Methodik: Namensgebung im Mittelalter). Das Ehepaar gehörte zu den führenden und mächtigsten Adeligen im Machtzentrum Regensburg.
  • Kunigunde hatte mindestens 2 Söhne - Arnulf (geb. um 889) und Berthold.
  • im Auftrag Kaiser Arnulfs und seinem Nachfolger Ludwig d. Kind (bzw. dessen Beratern) kämpfte Markgraf Luitpold gegen die immer wieder ins ostfränkisch Reich einfallenden und plündernden Ungarn und kam 907 bei Pressburg im Kampf ums Leben. Sein Sohn Arnulf, obwohl noch recht jung, wurde sofort zum Nachfolger seines Vaters erhoben. 
  • Kunigunde war zwischen 907 und 913 Witwe. 
  • Zwischen 911 und 913 versuchten Kunigundes Brüder Erchanger und Berthold zu Herzögen von Alamannien aufzusteigen. König Konrad hingegen benötigte das Herzogtum Alamannien als weitere Machtbasis seines Königtums. Mit dem Friedensschluss ihrer Brüder Erchanger und Berthold mit dem 911 gewählten König Konrad, der der Cousin des verstorbenen Königs Ludwig d. Kind gewesen war, heiratete sie im Herbst 913 auf Druck ihrer Familie den  (chronikalische Nachrichten). Königin Kunigunde war zu diesem Zeitpunkt sicherlich eine Frau von über 40 Jahren. Der tragische Aspekt dieser Ehe: Kunigunde wurde von ihren Brüdern als Faustpfand für deren Aufstieg vom Pfalzgrafen zum Herzögen von Alamannien benutzt. Dennoch schwelte der Konflikt weiter.
  • 915 - 2. Februar: bestätigt ihr Mann Konrad die von ihr gemachte Schenkung, mit der sie die Bedingung auf regelmäßiges Gebet für ihr Seelenheil durch die Lorscher Mönche verknüpft.
  • 916 griff Kunigundes Sohn Arnulf in den Machtkampf zwischen den Brüdern der Königin und ihrem Ehemann auf der Seite seiner Onkel ein. Es kam daher in jenem Jahr zu einem Waffengang mit tiefgreifenden Folgen: Die beiden Brüder der Kunigunde wurden gefangen gesetzt, in der Synode von Hohenaltheim zur Klosterhaft verurteilt und schließlich 917 auf Betreiben von Bischof Salomon von Konstanz zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ihr verbündetert Neffe Arnulf musste aus seinem Herzogtum zu den Ungarn fliehen, die er in diplomatischen Verhandlungen von weiteren Überfällen hatte abbringen können. Im Kampf wurde König Konrad so schwer verletzt, dass er sich auf seinen hessischen Stammsitz Weilburg zurückzog, wo er an den Folgen der Verletzungen im Jahre 918 verstarb. Nach seinem Tod konnte Arnulf wieder in sein Stammesherzogtum zurückkehren. In der Folge wurde es zu einem Sonderkönigtum erhoben.  
  • Kunigundes Mann Konrad verstarb im Jahre 918 auf seinem Stammsitz, der Weilburg über der Lahn und wurde dann im Benediktinerkloster Fulda beigesetzt. 
  • Königin Kunigunde wurde also zum zweiten Mal Witwe. Wie, wo und unter welchen Umständen sie ihre letzten Jahre verbrachte, ist unbekannt.
  • Kunigundes Sohn Arnulf hatte insgesamt acht Kinder. Mindestens zwei von ihnen wurden noch zu ihren Lebzeiten geboren: Eberhard (* um 912, † um 940), 937–938 Herzog von Bayern sowie Arnulf (* um 913, † 22. Juli 954), Pfalzgraf von Bayern 
  • Ihre letzte Ruhestätte fand sie - von ihr geplant - in der Karolingischen Gruftkapelle in der Lorscher Klosterkirche.
Quellen und Literatur
https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_I._(Ostfrankenreich)#Herkunft_und_Familie
https://de.wikipedia.org/wiki/Luitpold_(Karantanien_und_Oberpannonien)
Clausdieter Schott, Lex Alamannorum. Das Gesetz der Alamannen, Text - Übersetzung - Kommentar, Augsburg 1993
Von Trauchburg, Gabriele, 1100 Jahre Gingen an der Fils - Festschrift, Gingen 2015  
    © GvT

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