Mittwoch, 15. August 2018

Geschichte(n) der Stadt Donzdorf - Teil 5: Der Schmelzofen

© Gabriele von Trauchburg



Das Erz, so im Boden, ist nichts nutz.

Die Geschichte vom Donzdorfer Schmelzofen, der ältesten  frühindustriellen Anlage in unserem Landkreis


Der Donzdorfer Sandstein

Der Sandstein vom östlichen Albtrauf war schon im Mittelalter überregional bekannt und wurde zwischen dem 12. und 20. Jahrhundert in einem relativ großen Gebiet in zahlreichen Steinbrüchen rund um Donzdorf, Aalen und auch bei Lauchheim in Baden-Württemberg abgebaut.
Die in Donzdorf gebrochenen Steine dienten als Hauptwerkstoff für das Ulmer Münster, die St. Michaelskirche in Schwäbisch-Hall, die beiden Burgruinen Staufeneck und Hohenrechberg, dem Donzdorfer Schloss mit allen seinen Gebäudeteilen und -  gut sichtbar - seiner Schlossmauer sowie der Gingener Johanneskirche und im 19. Jahrhundert für die Fabrikbauten der SBI (Süddeutsche Baumwollindustrie) zwischen Kuchen und Gingen.
Dieser Donzdorfer Sandstein ist Bestandteil der ‘Eisensandstein-Formation’ des Süddeutschen Juragesteins. Dieses besteht aus mächtigen Sandsteinen, in die z.T. Eisenerzflöze eingelagert sind und früher abgebaut in Wasseralfingen, Kuchen und Geislingen wurden. Die Basis der Formation bildet in unserer Umgebung der Untere Donzdorfer Sandstein. Die Obergrenze ist der Top des Oberen Donzdorfer Sandsteins, wobei der eigentliche Eisensandstein im Unteren Donzdorfer Sandstein eingebettet ist.
Die räumliche und strukturelle Gliederung der Gesteinseinheiten der Eisensandstein-Formation stimmt weitgehend mit dem hier auftretenden Braunen Jura oder der Periode des Mitteljura überein. Deren Zusammensetzung ist in erster Linie von eisenführenden braunen Sandsteinen und Tonen geprägt. Sie hat eine maximale Mächtigkeit von bis zu 60 Metern.
Die Eisensandstein-Formation enthält, wie der Name bereits vermuten lässt, eisenoxidhaltige Sandsteine, daher kommt auch deren rostbrauen Gesteinsfarbe. Das Eisen ist lokal in größeren Mächtigkeiten zusammen geschwemmt worden. In Ostwürttemberg wurden zwei Flöze mit 1,4 und 1,7 m Mächtigkeit von 1365 bis in die 1950er Jahre in Geislingen bergmännisch abgebaut. Die Flöze haben zwischen 21 und 42% Eisengehalt und 26 bis 31% Kieselsäuregehalt. Dieser hohe Kieselsäuregehalt ist für die Verhüttung sehr ungünstig.

Donzdorfer Sandstein - © GvT

Im Mittleren Jura herrschte warmes Klima, das Amoniten günstige Lebensbedingungen bot. Anhand der einzelnen Vertreter dieser Spezies lässt sich die gesamte Epoche weiter untergliedern.
Der Mitteljura entstand vor 161,2 bis 175,6 Mio Jahren. Er wird in folgende vier Stufen unter gliedert: ‘Callovium’ (164,7–161,2 Mio Jahre), ‘Bathonium’ (167,7–164,7 Mio Jahre), ‘Bajocium’ (171,6–167,7 Mio Jahre) und die älteste Stufe ‘Aalenium’ (175,6–171,6 Mio Jahre). Diese letzte Stufe ist nach der ostwürttembergischen Stadt Aalen benannt - und dieses Schicht ist die Grundlage für die Bergwerke in Wasseralfingen, Geislingen und Kuchen sowie für den Schmelzofen in Donzdorf.
Die Schlüsse aus diesen Fakten: In Donzdorf ist auf einem Gestein gebaut, das aufgrund seiner Zusammensetzung einerseits fest genug, aber andererseits für filigrane Bearbeitung geeignet ist. Der Stein sich relativ leicht in welcher Form auch immer bearbeiten lässt. Vor allem die relativ einfache Verarbeitung ist für unser Thema später noch von großer Bedeutung.


Obervogt Johann Benedikt Jehlin und seine Entdeckung

Historische Karten oder der Donzdorfer Urkataster aus den 1820er Jahren enthalten meistens auch auch die alten Flurnamen. Diese mögen heute ihre Bedeutung verloren haben, aber für einen Historiker oder Volkskundler enthalten sie höchst interessante Aufschlüsse, so auch in unserem Zusammenhang.
Offenbar muss den Menschen vor rund 300 Jahren bewusst gewesen sein, dass in ihrer Umgebung Bodenschätze zu finden waren. Warum sonst bezeichneten sie den Aufstieg auf die Alb beim Messelstein als Kupfersteige und der oben anschließende Wald als Kupfersteighölzle? Ob gezielt gesucht oder nur durch Zufall entdeckt - im Jahre 1715 fand der Rechbergsche Obervogt Johann Benedikt Jehlin, der seit 1712 die Position des rechbergischen Obervogtes einnahm, während eines Rittes über die Kupfersteige Steine, die er als stark metallhaltig einstufte. Woher Jehlin stammte, was für eine Ausbildung er erhalten hatte, das weiß man nicht. Jedoch aufgrund seiner anschließenden Aktivitäten muss man davon ausgehen, dass er Kenntnisse über Erze und ihre Verarbeitung bereits besessen hatte.
Mit herrschaftlicher Billigung schickte er seine Steinfunde 1715 an Gutachter nach Stuttgart, Augsburg, Ulm, Wasseralfingen und München. Jeder der befragten Experten untersuchte die Proben auf Gold-, Silber-, Kupfer- und Eisengehalt. Ihre Ergebnisse stimmten alle überein. Vom erhofften Gold wurde zwar überhaupt nichts gefunden, von dem ebenfalls erwünschten Silber höchstens ganz geringe Mengen, Kupfer konnte gar nicht nachgewiesen werden, dafür aber Eisen in gewinnbringendem Maße. Die Funde von Donzdorf wurden als höherwertig, denn die aus Wasseralfingen, wo ja bereits Erz abgebaut wurde, eingestuft. Die übereinstimmenden Ergebnisse führten dazu, dass Jehlin unter Billigung der Herrschaft mit dem Entwurf für einen Schmelzofen begann.

Armut als Antriebsfeder

Nicht nur Jehlin, sondern auch die Donzdorfer Herrschaft hatte größtes Interesse daran, dieses vielversprechende Projekt zu verfolgen. Der Hintergrund liegt in den Folgen des Spanischen Erbfolgekrieges (1701 - 1713/14).
Die wirtschaftliche Situation in Donzdorf war nach dessen Ende alles andere als rosig. Die Rechberg hatten sich dem bayerischen Kurfürsten Maximilian Emanuel angeschlossen und an seiner Seite vernichtende militärische Niederlagen erlitten. Ihre kleine Herrschaft Blindheim bei Höchstädt war das Zentrum der Kampfhandlungen an der Donau und völlig zerstört. Der damalige Triumphator - John Churchill, der 1. englische Herzog von Marlborough - konnte aufgrund der Siegesgelder sich ein neues Schloss erbauen, und er nannte es nach dem Ort seines größten Trimphes - Blindheim bzw. auf englisch Blenheim Castle. Es ist dasjenige Schloss, in dem der englische Premier Winston Churchill seine Jugend verbrachte. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Blenheim_Palace)

Selbst nach dem Ende der Kriegshandlungen waren noch immer Einquartierungen von Husaren an der Tagesordnung, zudem bluteten Zahlungen für deren Ausrüstung und Verpflegung das Land aus. Obervogt Jehlin berichtete regelmäßig über die schwierigen Bedingungen im Lautertal an seine Herrschaft nach München. Graf Franz Albrecht von Rechberg machte sich ernsthafte Gedanken über den Zustand seiner Herrschaft: Daß die Dunzdorffischen Underthanen nit reich sein, will ich woll glauben; warumben sie aber so gar arm sein, wie ihr schreibt, das wais ich nit; ihr solt aber die Ursach, durch welche sie in so grosse Armueth khommen, berichten. Ist dan kein Mitl, wie diese Armuth zu steuren? 
Graf Franz Albrecht war der damalige Inhaber von Donzdorf. Er hatte wichtige Positionen am kurfürstlichen Hofe in München inne, besaß mehrere Herrschaften in Schwaben und in Bayern, dennoch war er auf die Einnahmen auch aus Donzdorf angewiesen. Deshalb zog der Graf aus der schlechten wirtschaftlichen Situation schon bald Konsequenzen. Er verfolgte den Gedanken, sich vom Kaiser einen genehmigten Viehmarkt einrichten zu lassen. Und trotz großer Skepsis erteilte der Graf einem Schatzsucher die Erlaubnis, nach einem Schatz beim Schloß Scharfenberg zu suchen - von dem gerüchteweise dort vergrabenen 10.000 Gulden wurde nichts gefunden, die Rechnung des Schatzsuchers war allerdings gewaltig.
Konkrete Hoffnungen auf eine schnelle Veränderung der Lage konnte hingegen der damalige Donzdorfer und Hohenrechberger Obervogt Johann Benedikt Jehlin mit seinem Projekt von einem Schmelzofen wecken.


Investitionen und Kalkulationen

Obervogt Jehlin war kein Träumer, sondern durch seinen Beruf bedingt ein sorgfältiger Planer und Rechner. Dies bewies er wiederum bei der Planung des Schmelzofens. Alles in allem rechnete Jehlin in Bezug auf einen Schmelzhof mit Investitionskosten in Höhe von 23.600 Gulden. Darin enthalten waren die Baukosten für mehrere Gebäude, eine erste Fuhre Kohlen, Betriebsmittel, Löhne usw.
In einem nächsten Schritt erstellte Obervogt Jehlin eine Gewinnprognose für das Vorhaben. Dazu errechnete er zuerst einen Durchschnittswert für das geförderte Eisen. Nach seiner Rechnung konnten innerhalb von 24 Stunden 20 Zentner Eisen gewonnen werden. Weiter ging Jehlin davon aus, daß man an sieben Tagen in der Woche im Schmelzofen arbeiten würde, also in einer Woche 140 Zentner gewinnen könnte. Innerhalb von elf Monaten, so errechnete er weiter, könnte man also 6720 Zentner Eisen fördern, für Instandsetzungsarbeiten an den einzelnen Werkselemente setzte Jehlin einen Monat pro Jahr an.
Diesen günstigen Prognosen standen die erforderlichen Energiekosten gegenüber. Jehlin war der Meinung, daß pro Woche 18 Wagen mit Kohle gebraucht würden. Für das Brennmaterial und dessen Transport veranschlagte er wöchentliche Kosten von 126 Gulden.
Für die von ihm errechneten 6720 Zentner Eisen veranschlagte Jehlin einen Verkaufswert von 2 Gulden pro Zentner. Somit kam er zu dem Schluß, daß im günstigsten Fall mit Einnahmen von 13.440 Gulden in einem Jahr zu rechnen war.
Dennoch war Jehlin kein grenzenloser Optimist. Aufgrund der Konstruktionsvoraussetzungen erkannte Jehlin die Problematik, dass die Wasserversorgung für den zweiten Ofen, den Läuterofen, im Winter gefrieren konnte. Für die Wasserzufuhr zum Schmelzofen hingegen bestand diese Gefahr nicht, denn angeblich konnte das Wasser in der Leitung aus Deicheln nicht gefrieren.

Arbeitsplätze

Die gesamte Anlage konnte nur mit Hilfe von Spezialisten betrieben werden. Jehlin ging davon aus, daß man einen Schmelzer, 6 Schmelzknechte, einen Pocherknecht, zwei Kohleträger, 7 Erzknappen, 3 Kalksteinbrecher, 14 Führer für die Kalksteine, 42 Führer für das Erzgestein, dann Schlackenführer, Schlackenwäscher und schließlich noch täglich 5 Tagelöhner als Arbeitskräfte benötigte. Das bedeutete, daß in diesem Werk mehr als 80 Personen Arbeit finden sollten. Nicht wenige dieser Aufgaben konnten von Tagelöhnern aus der direkten Umgebung erledigt werden. Falls also das Werk gebaut werden würde, bedeutete dies eine Verbesserung der Lebenssituation für mehr als 80 Familien.

Gewinnprognose

Jehlin zog von den erwarteten Jahreseinnahmen die entsprechenden Ausgaben ab und errechnete zuerst eine Summe von 1.718 Gulden Gewinn. Später korrigierte er seine Prognose noch um 976 Gulden nach oben - ohne hier allerdings den Grund dafür anzugeben - und kam so schließlich in seinem ungefehrlichen Überschlag, was das Eisenschmelzwerk zu Donzdorff jehrlich ertragen mechte, nämlich einen Gewinn von 2654 Gulden.
Vergleicht man diese Prognose mit dem Ertrag der aus den Orten Donzdorf und Wißgoldingen bestehenden Herrschaft Donzdorf, dann erkennt man, daß die Einnahmen aus diesen beiden Orten ziemlich genau der für den Schmelzofen vorhergesagten Gewinnsumme entsprach. Die Einnahmen des Amtes Donzdorf betrugen im Jahr 1722 ohne die Erträge aus dem Schmelzwerk 2622 Gulden. Graf Franz Albert hätte Geld in die Hände bekommen, das in seinem Umfang dem Besitz einer weiteren großen Herrschaft entsprochen hätte.

Zustimmung der Herrschaft

Der Herrschaftsbesitzer genehmigte die Investitionspläne. Da die Rechberg die Inhaber des sogenannten Bergregals waren, lag es an ihnen, als Besitzer möglicher Bodenschätze das Privileg zu ihrem Abbau erteilen.
Graf Franz Albert hatte nicht mehr die Gelegenheit, die Durchführung des Projektes Schmelzofen zu erleben. Zwar hatte er noch einen Vertragsentwurf ausfertigen lassen, in dem  alle Zuständigkeiten von Herrschaft und Obervogt Jehlin geregelt wurden, doch verstarb Graf Franz Albrecht, bevor der Vertrag unterzeichnet werden konnte.
Doch auch Graf Franz Albrechts ältester Sohn, Ferdinand Joseph, war an diesem Projekt höchst interessiert. Auf der Basis des Vertragsentwurfs entwickelte er einen eigenen Vertrag, den er am 16. März 1716 mit Jehlin abschloß. Dieser Vertrag sah folgende Punkte vor:
  • 1. Jehlin erhielt die Erlaubnis zum Bau sämtlicher notwendigen Gebäude auf Unterweckersteller Markung
  • 2. Da die geplanten Bauten Auswirkungen auf die Abgabenzahlungen der Untertanen hatten, mußte sich Jehlin verpflichten, in Verhandlungen mit den betroffenen Hofstelleninhabern zu treten, und die entstandenen Schäden durch Geldzahlungen oder Grundstückstausch auszugleichen. Deutlich stellt Graf Ferdinand Joseph jedoch klar, daß die Arbeiten am Schmelzwerk nicht durch die Weigerung eines Unterthanen in Verzug geraten durften. Falls einer mit der gebotenen Entschädigung nicht zufrieden sein sollte, sollte ein unabhängiges Schiedgericht endgültig über die angemessene Summe entscheiden.
  • 3. Graf Ferdinand Joseph verkaufte Jehling das notwendige Bauholz ohne Preisreduktion aus seinen Wäldern und unterstützte ihn bei dessen Abtransport.
  • 4. Benötigte Rohstoffe wie z.B. Kohle, die unmittelbar für die Inbetriebnahme des Schmelzofens notwendig waren, mußte Jehlin wieder auf eigene Kosten herbeischaffen lassen.
  • 5. Das Eisenerz durfte Jehlin an allen Fundstellen abgraben, wenn er sich zuvor mit den Besitzern der jeweiligen Grundstücke friedlich über eine Abfindung geeinigt hatte.
  • 6. Sämtliche künftigen Kosten mußten allein von Jehlin getragen werden.
  • 7. Jehlin musste jährlich ein Bestandsgeld in Höhe von 400 Gulden in den ersten drei Jahren bis 1719, danach in den folgenden 17 Jahren jeweils 1000 Gulden in bar an die herrschaftliche Kasse entrichten. 
  • 8. Das Unternehmen war zunächst auf einen Zeitraum von 20 Jahren angelegt. Sollte die Eisenhütte nach dieser Zeit noch immer Bestand haben, dann würde sie der Herrschaft anheim fallen. Bei dieser Gelegenheit wollte man eine Bilanz ziehen. Der Wert aller zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Rohstoffe und hergestellten Produkte sollten Jehlin erstatten werden. Anschließend stand es der Herrschaft frei, die Eisenhütte an einen Lehensträger ihrer Wahl verleihen zu können.
  • 9. Sollte Jehlin innerhalb der nächsten 20 Jahre frühzeitig scheitern und mit seinen Bestandszahlungen in Verzug geraten, so viel die Schmelzofenanlage an die Herrschaft.
  • 10. Auch sollte das Unternehmen ein Ende haben, wenn das Erz in Unterweckerstell erschöpft sein sollte. Die im Jahre 1716 erteilte Lizenz für die Schmelzhütte erstreckte sich allein auf den Abbau von Eisenerz.

Suche nach Investoren

Weil Jehlin gezwungen war, das Schmelzwerk auf eigene Kosten einzurichten, benötigte er eine große Kreditsumme. Von Graf Ferdinand Joseph konnte er keine Gelder erwarten. Jehlin warb daher um möglichst große Summen von wenigen, finanzkräftigen Geldgebern. Seine Frau half ihm bei deren Beschaffung und setzte dabei anscheinend ihre weyblichen Freyheiten bewusst ein, wie ihr später vorgeworfen wurde. . 
Zu den Kreditgeber gehörten u.a.
    die württembergische Landhofmeisterin Gräfin von Würben
    das Kloster Kaisheim bei Donauwörth
    ein Kurpfalzbayerischer Hofkammerrat aus der Nähe von Donauwörth
    die Hohenrechbergische Kapelle und
    die Unterweckersteller Kapelle.
Beide Kapellen waren Wallfahrtskapellen, die durch Geldanlage ihr Vermögen weiter vergrößerten und dann Kleinkredite an bedürftige Menschen aus der Umgebung vergaben.

Kapelle St. Georg in Donzdorf-Unterweckerstell - © GvT


Fundstätten

Das Erz konnte teilweise unmittelbar unter der Erdoberfläche gewonnen werden. Diesen Rückschluss kann man aus der Tatsache ziehen, dass offenbar immer wieder der Notwendigkeit bestand, neue Grundstücke für den Schmelzhüttenbetrieb zu erwerben. Das bedeutet, daß zunächst keine Stollen in den Berg geschlagen werden mußten, sondern das erzhaltige Gestein kurz unter der Oberfläche zu finden war.
Erst später bestand die Norwendigkeit, Gruben anlegen lassen. Für diesen Zwecke benötigte Jehlin 1722 zum Abstützen der Gänge 52 Holzstämme aus dem Marren.

Aufkauf von Gelände

Zuerst brauchte Johann Benedikt Jehlin den Bauplatz, wo er seine Anlage errichten wollte. Zu diesem Zweck hatte er einen Platz etwa halbwegs zwischen Donzdorf und Unterweckerstell ausgesucht. Von verschiedenen Bauern beider Orte kaufte Grund.
   

Energie-Effizienz: Der erste Donzdorfer Stausee

Für den Betrieb des Schmelzofens wollte Jehlin die im Tal vorhandene Wasserkraft nutzen. Es gibt zwar reichlich Wasserläufe, die aber - jeder für sich allein genommen - einen zu geringen Wirkungsgrad besaßen. Daher war die Anlage eines kleinen Stausees unumgänglich. Durch das Sammeln des Wassers und die anschließend kontrollierte Abgabe über Holzwasserleitungen (Deicheln) auf mindestens ein Wasserrad konnte dieses Problem überwunden werden. Diese Arbeiten wurden mit dem Begriff ‘Wassergebäu’ umschrieben.


Die Bestandteile des Schmelzhofes

Die Köhlerei

Zwar hatte Jehlin bei seiner Betriebskalkulation ursprünglich geplant, den Schmelzofen mit Kohle zu befeuern. Doch die Hinweise auf Holzkäufe im Marren und Albbuch in den Donzdorfer Amtsrechnungen sowie auch aus weiter entfernt gelegenen Wäldern um Straßdorf und Schwäbisch Gmünd lassen darauf schließen, dass er dieses Holz in Holzkohle umwandeln ließ und diese dann als Brennstoff verwendete. Die so gewonnene Holzkohle wurde im Kohlhaus gelagert. Das Simonsbachtal muss damals völlig verqualmt gewesen sein!

Das Pochwerk

Bevor das Erz aus dem Gestein geschmolzen werden konnte, mußten die Gesteinsbrocken zerkleinert werden - was aufgrund des Donzdorfer Sandsteins relativ leicht gelang. Dieser Arbeitsgang erfolgte im sogenannten Pochhaus durch mit Wasserkraft betriebenen Hämmern. Die Existenz eines solchen Pochwerks belegt die Amtsrechung von 1722. Das Wasser wurde dann auf ein Wasserrad geleitet, mit dessen Hilfe die Hämmer des Pochwerkes bewegt wurden. Diese zerkleinerten das erzhaltige Gestein, aus dem im anschließenden Schmelzwerk das Erz herausgeschmolzen wurde.
Das Werk wurde nicht direkt am vorbeifließenden Simonsbach - auch Schmelzofenbach genannt - errichtet, sondern über eine Wasserleitung versorgt. Jehlin hatte sich für diese Bauvariante entschieden, weil der Simonsbach immer wieder starkes Hochwasser führte.

Der Schmelzofen

Am 1. Oktober 1715 war Grundsteinlegung für den Schmelzofen - also vor 295 Jahren. Er war ein würfelförmiger Bau aus Stein mit einer Höhe, Breite und Länge von 24 Schuh (= ca. 8 Meter).
Jehlin war erleichtert, als er vor dem Bau feststellen konnte, daß am Schmelzhaus sich ein Steinbruch gezeigt, aus dem das Baumaterial entnommen werden konnte. Er wertete diesen Umstand als glückliche Fügung Gottes. Doch war sich Jehlin nicht sicher, ob der Bau noch in jenem Jahr 1715 abgeschlossen werden konnte. Auf alle Fälle hatte er bereits das herrschaftliche Wappen von einem Maler anfertigen lassen. Nach dieser Vorlage sollte ein Bildhauer die entsprechenden Formen herstellen, damit man später die Wappen gießen konnte.
Damit bei diesem Verfahren eine ausreichende Temperatur erreicht wurde, wurde über große, vom Wasser gleichmäßig bewegte Blasebalge Luft in das Feuer geblasen. Also auch hier wurde wiederum die Wasserkraft des Schmelzofenbachs benötigt und genutzt.  

Der Läuterofen

Zusächlich zum Schmelzofen hatte Jehlin einen Leuterofen geplant. Dort sollte das Roheisen noch einmal erhitzt werden. Bei diesem Arbeitsgang war eine noch höhere als beim ersten notwendig, denn nur so gelang es, die noch im Eisen enthaltenen Verunreinigungen entfernen zu können. Anschließend wurde das reine Eisen in Gewichte gegossen.
An dieser Stelle darf man durchaus die Vermutung äußern, dass die in den 1790er Jahren in Weißenstein unbrauchbar gewordenen Eisenkanonen vielleicht aus Donzdorfer Eisen hergestellt worden waren.  

Schlackestein vom Schmelzhof in Donzdorf - © GvT


Die Produktpalette

Das im Schmelzofen gewonnene Eisen fand bereits in Donzdorf seine Abnehmer. So erwarb 1722 die Herrschaft unterschiedliche Gewichte im Gesamtvolumen von 34 Pfund. Weiter wurden für das Schloss 4 eiserne Öfen, 1 Herd und 1 Ofenplatten erkhaufft. Das herrschaftliche Jägerhaus erhielt 1724 einen Höllofen und die neue Amtsküche zwei Herdplatten.   
Die Herrschaft scheint das Eisen als Spekulationsobjekt entdeckt zu haben, denn sie kaufte immer wieder Eisenbarren in größerer Stückzahl auf. 

Die Geschäftsentwicklung

Zunächst scheint das Unternehmen erfolgreich gewesen zu sein. Zwar sind keinerlei detaillierte Abrechnungen vom Schmelzofen vorhanden, doch anhand der Donzdorfer Amtsrechnungen erhält man Einblick in die Geschäfte der Schmelzhütte. Die erste im Vertrag vereinbarte Zahlung von 400 fl ist in der Rechnung von 1718 enthalten. Danach hat Jehlin seine erste Rate an Jakobi 1717 entrichtet. Ab 1721 stiegen die Raten - wie vertraglich 1716 vereinbart - auf 1000 fl an.

Die Wende

Die einstmals hochgesteckten Hoffnungen auf satte Gewinne begannen sich seit spätestens 1722 zu verflüchtigen. In jenem Jahr richteten mehrere Gläubiger ihren Forderungen an Graf Aloys Clemens, der daraufhin das Vermögen von Jehlin einfror. Der Gmünder Kaufmann Johann Eustach Jaufter und seine Schwäger hatten sich bereits dessen Schäferei übertragen lassen. Für Jehlin wurde es immer schwieriger, neues Kapital zu beschaffen. Im Jahre 1723 konnte der Schmelzofen gerade mal 15 Wochen im Jahr betrieben werden.
Doch es kam noch schlimmer. Nachdem es der württembergischen Landgräfin von Würben und Freudenthal nicht gelungen war, ihre Zinsforderungen gerichtlich einzutreiben, erschien sie persönlich im Januar 1724 in Donzdorf, um dort Fakten zu schaffen. Der damals kranke Jehlin musste ihr auf ihr Drängen 5500 Zentner Eisenbarren, jeder Zentner per 2 Gulden 5 Kreuzer käufflich überlassen, welches einer Summa von 11.458 Gulden 20 Kreuzern ausmachet und wird, weilen man das Eyßen hochnöthig, Freytag oder Samstag mit dem Transport der Anfang gemacht werden, und muessen die Württembergischen Underthanen in denen Ambtern Göppingen und Heydenheim solches in der Frohn auf Königsbronn füehren...
Als Graf Aloys Clemens von diesem Geschäft erfuhr, legte er sein Veto dagegen ein, weil er diesen unerwartet schnellen Abschluss als schalckhafftigen und dem Grafen höchstschädlichen Streich betrachtete. Seine Donzdorfer Beamten mussten nun den Abtransport blockieren, was wiederum den Ruf von Jehlin noch weiter schädigte, hatte dieser doch gehofft, mit den Einnahmen aus diesem Verkauf sämtliche Kreditgeber auszahlen zu können.
Johann Benedikt Jehlin wies den Grafen Aloys Clemens vergeblich darauf hin, dass er mehrfach versucht hatte, sein Eisen zu verkaufen, es in Ulm nicht an den Mann gebracht hatte, man ihm in Ellwagen nur 1 Gulden für den Zentner geboten hatte und so betrachtet die von der Landgräfin gebotenen 2 Gulden und 5 Kreuzer ein äußerst erfreuliches Angebot gewesen waren.
Als Jehlin im württembergischen Amt Göppingen die Vorgänge rund um die Donzdorfische Blockade erklären wollte, wurde er gefangen genommen, ins Gefängnis nach Schorndorf gebracht und dort mehrere Wochen festgehalten. Gleichzeitig wurde in den Wirtshäusern der Umgebung öffentlich verkündigt, dass wenn man Jehlin Geld leiht, man keinen Kreuzer mehr zurückbekommen würde - der Ruf war endgültig ruiniert. Die Versuche seiner Frau, Geld für sich und ihre 10 Kinder durch den Verkauf von Stroh zu erwirtschaften, wurden ihr verboten. Sie konnte auch kein Vieh verkaufen, es war ihr verboten, die Trescher zu bezahlen. Außerdem wurde Jehlin, der sich nie etwas bei der Verwaltung der Rechbergschen Herrschaft Donzdorf hatte zuschulden kommen lassen, seines Amtes enthoben und seine Familie musste schleunigst die Dienstwohnung und den angegliederten Bauernhof verlassen.  
Jehlin sah sich daher gezwungen, die im Vertrag von 1716 eingefügte Klausel, anzuwenden, wonach er sein Werk verkaufen muss, wenn er in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Er bot es weit unter Wert dem Grafen Aloys Clemens als Gesamtpaket für 6.500 Gulden an.
Jehlins Frau Anna Maria versuchte, bei der Gräfin Marie Eleonore Verständnis für die Lage der Familie zu erreichen. Sie schildert ihren Mann als einen rechtschaffenen Beamten, der auch dann, als der Schlosshof vollständig überschwemmt und die Roggenernte vollkommen vernichtet gewesen war, seine Bestandsgelder für den Schlosshof in vollem Umfang, ohne Abzüge an die Herrschaft entrichtet hatte. Doch alle Fürsprachen halfen nichts. Ab 1726 werden die Donzdorfer Amtsrechnungen von einer neue Handschrift ausgeführt, d.h. dass Jehlin den Posten eines Donzdorfischen Obervogtes verloren hatte.
Was ist mit ihm passiert? Es scheint, als ob man Johann Benedikt Jehlin und seiner Familie den Schmelzofen überlassen hat. Dieser ist weiterhin in Betrieb und die Herrschaft wird noch 1727 mit der Lieferung von reinem Eisen und Abschlägen auf das Bestandsgeld befriedigt. 
Nachdem die extrem schwierigen Jahre 1724 und 1725 überstanden waren, scheint der Schmelzofen noch einige Jahre auf kleinem Niveau Bestand gehabt zu haben. Über sein endgültiges Ende gibt es keine Nachrichten. 


Fazit aus den Vorgängen zwischen 1715 und 1725

Johann Benedikt Jehlin war ein für seine Zeit genialer Mann gewesen. Er hatte die Möglichkeiten, die sich im Simonsbachtal geboten hatten, erkannt. Sein größtes Problem war nicht mangelndes technisches Verständnis, sondern das zu geringe Eigenkapital.
Aus diesem Grunde stürzte er, als es zu einer Absatzkrise für Eisen auf den umliegenden regionalen Märkten kam, in eine massive Schuldenkrise. Die einsetzende Teufelsspirale  tat ihr übriges: Die Verweigerung der Herrschaft, dem Verkaufs-Deal mit Württemberg zuzustimmen, verschärfte die Krise. Jehlins Festnahme und die öffentliche Verkündung seiner Zahlungsschwierigkeiten sowie der Entzug des Vertrauens durch die Herrschaft führte zu seinem wirtschaftlichen Niedergang. Jehlin hatte viel riskiert und viel verloren.


Was ist geblieben?

Außer dem Hausnamen ‘Schmelzhof’ und den Archivalien im Gräflich Rechbergschen Familienarchiv in Donzdorf gibt es kaum noch Überreste von der ältesten frühindustriellen Anlage in unserem Landkreis.
Schon im Württembergischen Urkataster finden sich keine Hinweise mehr auf die ehemaligen Anlagen. Das Areal wurde zu einem Bauernhof umgebaut, aus dem sich die Wohnhäuser zweier Familien samt Nebengebäuden entwickelt haben.
In diesen Familien ist die Kenntnis über die Lage der ehemaligen Schachteingänge noch lebendig. Außerdem findet man auf ihrem Gelände hin und wieder schwarz glänzende Schlackesteine, Überreste aus der Zeit des Schmelzofens.
Die Kenntnis über die Existenz von Eisenerz in unserer Heimat ist auch gegenwärtig den großen deutschen (ehemaligen) Montanunternehmen durchaus geläufig. Im Gingener Rathaus gibt es Karte, in der die Schürfrechte für das gesamte Gingener und Donzdorfer Marrengebiet samt dem Simonsbachtal eingetragen sind. Ob und wie lange diese Schürfrechte noch Bestand haben werden, muss ich bei Gelegenheit einmal recherchieren.

Quellen und Literatur

GRFAD - einschlägige Archivalien zum Donzdorfer Schmelzhof



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