Mittwoch, 6. März 2019

Geschichte(n) von Gingen/Fils - Teil 1.2: Die erste namentlich benannte Frau auf Gingener Gemarkung: Claudia Messorina

© Gabriele von Trauchburg





Die erste namentlich benannte Frau auf Gingener Gemarkung: Claudia Messorina
Gingen darf sich mit einem ganz besonderen Titel schmücken. Auf unserer Gemarkung lebte die erste namentlich genannte Frau im Landkreis Göppingen und weit darüber hinaus. Ihr Name lautete: Claudia Messorina.
Schon in meiner Grundschulzeit lernte ich im Heimatkundeunterricht erste Fakten über diese geheimnisvolle Unbekannte. Mit meinem heutigen Wissen, sollte es dann doch möglich sein, noch weit mehr Informationen über diese Frau zusammenzutragen.

Die Entdeckung ihres Namens
Woher kennt man den Namen dieser Frau? 1912 fand man auf der damals noch unbebauten Flur 'Ob der schmalen Gasse' beim Kiesabbau in zwei Meter Tiefe 2 Votivaltäre aus Sandstein. Ein 52 cm hoher Altar ist dem Gott des Handels und Gewerbes - Merkur - geweiht. Und dort steht auf lateinisch: Claudia Messorina hat dem Merkur aufgrund eines Gelübdes den Altar aufstellen lassen. Sie hat es froh und freudig nach Gebühr eingelöst.
Weihestein der Claudia Mesorina. Oberste Reihe: Mercuri..  3. Reihe: ...sorina, 4. Reihe: Ex voto - © GvT

Ebenfalls auf Claudia Messorina geht der 2. Votivaltar zurück. Dieser ist dem Kriegsgott Mars und der Siegesgöttin Viktoria geweiht: Claudia Messorina hat dem Mars und der Viktoria gemäß ihrem Gelübde einen Altar aufstellen lassen. Sie hat es froh und freudig nach Gebühr eingelöst. Schon zwei Jahre zuvor hatte man im gleichen Areal eine Merkurstatue gefunden und 1927 in unmittelbarer Nähe ein Relief, das vermutlich eine Gottheit dargestellt hatte.
Aus der Forschung weiß man, dass derartige Votivsteine ursprünglich alle einmal im Heiligtum einer römischen Villa rustica (ländliche Gutshof) standen ( vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mischer_Gutshof_von_B%C3%BC%C3%9Flingen). Damit haben wir zumindest schon einmal die ersten biographischen Daten.

Erste bekannte biographische Daten 
  • Der Name unserer Unbekannten ist in einem Weihestein mit lateinischer Inschrift eingraviert.
  • Sie war also jemand, der herrschaftlich zum römischen Reich gehörte. Wir müssen uns also mit der römischen Geschichte in unserer Region befassen.
  • Leider fehlen Geburts- und Sterbejahr, nicht einmal ihr Alter kennen wir. 
  • Sie hat auch nicht aufgeschrieben, aus welcher Region sie stammte.
Jetzt heißt es sämtliche Methoden der Archäologie und der Alten Geschichte anzuwenden, um noch mehr über diese Frau herauszufinden.

Römerzeit in Gingen und Umgebung
Zuerst einmal sollte es uns gelingen, den groben Zeitrahmen in dem wir uns bewegen, abzustecken. Im Jahre 15 v. Chr. hatten die Römer das Alpenvorland bis an die Donau erobert. Strategische Gründe führten dazu, dass die Römer ab 74 n. Christus mit der Eroberung der Alb in Richtung Norden begannen und 100 n. Chr. den Odenwald-Neckar-Limes (der jetzt zum Weltkultur-Erbe gehört) ausgebaut hatten.
Mit dem Niedergang des Odenwald-Neckar-Limes ab 260 n. Chr. zogen sich die Römer wieder auf das südliche Ufer der Donau zurück, wo der  Rhein-Iller-Donau-Limes ab ca. 290 n. Chr. Bestand hatten. In unsere Region drangen damals die Alamannen vor. Das heißt nun für Claudia Messorina, dass sie irgendwann im Zeitraum zwischen 74 und 290 nach Christus in unserer Umgebung lebte. 

Der Wohnort der Claudia Messorina - eine Villa rustica

Votivaltäre in der Form der beiden von Claudia Messorina (s.o.) wurden bevorzugt in den Heiligtümern einer Villa rustica - eines Gutshofes - aufgestellt (vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mischer_Gutshof_von_B%C3%BC%C3%9Flingen).
Einen solchen römischen Gutshof scheint es im Bereich der heutigen Schillerstraße gegeben zu haben, wo es ja auch noch die Stichstraße ‘Grube’ - Hinweis auf die ehemalige Kiesgrube - gibt. Doch was ist eine ‘Villa rustica’?
Die Entstehung der römischen Gutshöfe geht auf das römische Militärwesen zurück. Die Heerführer erkannten schnell, dass man verdienten Soldaten eine Perspektive geben musste. Nach jahrelangen Diensten im Heer sollten sie einen Gutshof zu ihrer Versorgung erhalten. Die ältesten dieser Gutshöfe entstanden in der Umgebung von Rom.
Später nutzte man die Politik der Gutshöfe zur gezielten Ansiedlung verdienter Soldaten in neu eroberten Gebieten. Die meisten Hofareale waren von einer Mauer umgeben. Kleine Badeanlagen mit Warm- und Kaltwasserbecken sowie Fuß- und Wandheizungen gehörten zum Standard. In der Region gefundene Bruchstücke von Wein- und Ölamphoren zeigen auf regen Austausch mit dem Mutterland hin und belegen, dass die Eroberer durchaus luxuriös lebten. 
Auf den Höfen bauten oftmals Slaven Getreide an und hielten Vieh. Die daraus hergestellten Produkte dienten als Waren für römische Kastelle - z.B. in Salach - oder direkt am Limes. Zu deren Transport wurde Geschirr benötigt, hergestellt in Kalkbrennöfen, Töpfereien und Ziegeleien.
Die Gingener Villa Rustica hatte vielleicht noch ein weiteres Standbein. Wir erinnern uns, dass  im letzten Jahr der Kreisarchäologe Dr. Rademacher am Ufer des Binsenbachs Überreste von Metallverarbeitung aus keltischer Zeit gefunden hat. Ich kenne zwar noch nicht die Datierung der gemachten Funde, aber aus der Römischen Geschichte ist mir durchaus bekannt, dass die Römer größtes Interesse an der Metallverarbeitung besaßen. Lag darin auch das Interesse eines römischen Gutsbesitzers?

Stellung der Claudia Messorina innerhalb der Villa Rustica
Haben Sie es gemerkt? Bisher ist nur vom Gutsbesitzer und seinen Sklaven die Rede. Aber wo waren die Frauen? Ich habe gerade erwähnt, dass diese Art von Votivsteine überwiegend im Heiligtum eines Guthofes aufgestellt wurden. Die Herstellung derartiger Steine war nicht ganz billig. Man darf deshalb davon ausgehen, dass die Stifterin die Ehefrau des Gutshofsbesitzers gewesen war. 
Sie war offenbar eine gläubige Frau, sonst hätte sie nicht gegenüber drei verschiedenen Gottheiten Gelübde abgelegt: Merkur = Schutzgott der Händler. Die zweite Stiftung bezog sich auf den Kriegsgott Mars und die Siegesgöttin Viktoria. Man darf darin die Hoffnung um Beistand im Krieg und die Freude über einen militärischen Sieg lesen. Möglicherweise deuten beide Votivsteine darauf hin, dass Claudia Messorina in einer Zeit militärischer Auseinandersetzungen und Störungen im Handel gelebt hat. Dies könnte auf die Endzeit des römischen Anwesenheit im Filstal im 3. Jahrhundert mit den Überfällen und Plünderungen der Alamannen hindeuten. 
Dann ist da noch eine Auffälligkeit: Forscher haben durch schlichte Beobachtung der vorhandenen schriftlichen Quellen herausgefunden, dass der Nachname der Claudia - Messorina - besonders häufig im pannonischen bzw. ungarischen Raum und in Dalmatien (Mittlere Adriaküste von Kroatien) vorkommt. Sie scheint ihre familiären Wurzeln in Südosteuropa gehabt zu haben.

Die neuen biographischen Daten und Zusammenhänge bezüglich der Claudia Messorina 
Fassen wir also nun alle gewonnenen Daten zu Claudia Messorina zusammen:
  • Die erste namentlich bekannte Persönlichkeit im Landkreisoder sogar noch weit darüber hinaus heißt Claudia Messorina
  • Ursprünglich kam sie wohl aus dem ungarischen oder dalmatinischen Raum
  • Sie lebte irgendwann zwischen 74 und 290 nach Christus in Gingen, wobei die Wahrscheinlichkeit eher auf das 3. Jahrhundert hindeutet.
  • Sie war die Herrin auf einem römischen Gutshof. Bevor ihr Mann diesen Gutshof nach einer langen Karriere im römischen Heer erhalten hatte, muss sie mit ihm kreuz und quer durch das römische Reich gezogen sein, ehe sie im Filstal heimisch geworden war.
  • Am Anfang haben wir nur den Namen unserer ersten bedeutenden Frau in Gingen gekannt. Die Methode - biographische und allgemeine Kenntnisse zu verbinden, hat also im Fall der Claudia Messorina zu weiteren Details über ihr bisher unbekanntes Leben geführt. 

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