Der Schlussstein über dem Eingangsportal verrät eindeutig, dass die Kapelle am westlichen Ortseingang von Lauterstein-Nenningen im Jahre 1774 erbaut worden war. Sie ist der Neubau einer kleineren Kapelle, die zuvor an dieser Stelle gestanden hatte.
Die Lage der Kapelle
Wegen der heutigen Bebauung erkennt man nur noch schwer den Zusammenhang zwischen der Lage der Kapelle und ihrer Bedeutung. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es keine Gebäude rund um die Kapelle. Statt dessen lag sie deutlich vor dem Dorf am Ufer der Lauter auf dem Weg zu den Nenninger Feldern und Wiesen.Nenningen liegt wie ein Riegel vor dem östlichen Eingang zum engen Taltrichter der Lauter, der hier aufgrund der steilen Hänge des Albtraufs und des Kreuzbergs sehr schmal wird. Schaut man in westliche Richtung, dann eröffnet sich dem Betrachter ein ganz anderes Bild: Das Tal weitet sich nun zu einem flachen Talgrund, auf dem Landwirtschaft möglich war. Ein Blick in die alten Abgabenbücher der Herrschaft Weißenstein verrät, dass hier auch tatsächlich Ackerbau betrieben wurde. Hier wuchs nicht nur Getreide, sondern zeitweise auch Hopfen für die ehemalige Brauerei im benachbarten Ortsteil Lauterstein-Weißenstein.
Die Vorgeschichte der Kapelle von 1774
Überlieferte Einzelheiten zur alten Kapelle am Weg zu den Feldern und Wiesen des Dorfes Nenningen gibt es nicht. Man weiß nur, dass sie erstmals 1582 erwähnt wurde. Im Gegensatz zu Grünbach und Unterweckerstell gehörte ihre Verwaltung nicht zu denjenigen, die Kredite vergaben.Die Kapelle war zu Ehren der allerheiligsten Dreifaltigkeit und der schmerzhaften Jungfrau Maria und zu Ehren des Heiligen Florian und Wendelin geweiht. Aufgrund der Lage der Kapelle - am Weg zu den Feldern und Wiesen - muss man ein besonderes Augenmerk auf die beiden Heiligen Florian und Wendelin werfen. Allein die Verehrung dieser beiden Heiligen weist deutlich darauf hin, vor welchen Schicksalsschlägen die Bewohner Nenningens sich am meisten fürchteten und wofür sie beteten.
Der Heilige Florian ist uns allen bekannt als Beschützer vor Feuer. Daneben hilft er aber auch bei Unwetter, unfruchtbarem Boden und Trockenheit - Phänomene, die man Rande der Schwäbischen Alb sehr wohl kennt. Der Heilige Wendelin ergänzt auf ideale Weise den Wirkungskreis von Florian. Wendelin ist der Patron der Hirten, Bauern und Schäfer, zudem des Viehs. Er hilft gegen Viehseuchen und sorgt für gutes Wetter und gute Ernte. Reliquien der beiden Heiligen befanden sich bereits im alten Kapellenaltar. Wie sehr die Zeitgenossen den Beistand der beiden Heiligen benötigen konnten, zeigen die Jahre von 1770 bis 1772.
Ein vulkanischer Winter und seine Folgen
Zwischen 1770 und 1772 veränderte sich schlagartig das Klima. In ganz Mitteleuropa fiel bis in die Sommermonate Juni und Juli Schnee. In der Folge wurden die Ernten von drei Jahren nahezu vollständig vernichtet. Ein heftiger Vulkan-Ausbruch ist wohl die wahrscheinlichste Erklärung für diese plötzliche und zeitlich begrenzte Klimaveränderung. In der Folge wurden damals die Lebensmittelvorräte knapp, die Menschen litten Hunger.
Noch heute können wir die Auswirkungen dieser Zeit in den Totenbüchern der Kirchengemeinden ablesen. Die Zahl der Verstorbenen schnellte sprunghaft in die Höhe - vor allem Kinder und alte Menschen waren davon betroffen. Sie starben - so notierten die Pfarrer - an Auszehrung, also am Hungertod.
Ab 1773 änderte sich die Lage dann wieder zum guten: Die erste Ernte konnte wieder eingefahren werden und die gesamte wirtschaftliche Situation verbesserte sich allmählich. Wohl aus Dankbarkeit, dieser Katastrophe entronnen zu sein, beschlossen der Herrschaftsinhaber und die Einwohner von Nenningen, die alte, außerhalb des Ortes gelegene Kapelle abzureißen und neu zu erbauen. Vor dem Abriss brachte man die kleine Pietà, die bis dahin in der Kapelle gestanden hatte, in die Pfarrkirche St. Martinus.
Pietà - um 1440, St. Martinus Nenningen, - © GvT |
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