Sonntag, 30. Dezember 2018

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 10.2: Grünbach - St. Peter: Eine Kapelle für Badende?

© Gabriele von Trauchburg


In Teil 1 zur Geschichte der Grünbacher Kapelle wurde bereits die Möglichkeit angesprochen, dass das 1481 genehmigte ‘Wildbad’ der Ausgangspunkt für den Um- und/oder Neubau der 1492 vollendeten Grünbacher Kapelle war. Eine dem Heiligen Petrus geweihte Kapelle gab es hier schon vor 1492. Erstmals urkundlich fassbar ist diese Grünbacher Petrus-Kapelle bereits 1401. 

St. Peter - der Kapellenpatron

Es gibt nur ein kirchliches, dem Heiligen Petrus geweihtes Gebäude im Lautertal - eben die Kapelle in Grünbach, außerdem befindet sich die Pfarrkirche St. Peter im Seitental von Reichenbach unter Rechberg. Der katholische Gedenktag für diesen Heiligen ist der 29. Juni. Sein Name bedeutet ‘der Fels’. Die Rolle des Petrus als einer der wichtigsten Jünger und Apostel Jesu lässt sich anhand der Bibel nachvollziehen.
Im Laufe der Zeit erhielt Petrus seine eigene Verehrung. Menschen wählten den ehemaligen Fischer zum Patron der Brückenbauer, wodurch die Grundlage für den Titel der Päpste - Pontifex Maximus = größter Brückenbauer - geschaffen wurde. In vielen mittelalterlichen Darstellungen erkennen wir Petrus anhand eines großen Schlüssels in seiner Hand. Nach gängigen Vorstellungen schloss er das Himmelstor, die Paradiespforte, auf - ein bis heute geläufiges Bild. 


St. Petrus - Patron der Grünbacher Kapelle - © GvT

Diese Rolle am Eingang des Himmel, auch als Himmelsschleuse angesehen, schrieb Petrus zudem die Funktion eines Wettermachers zu, wobei er entschied, ob die Himmelsschleuse zum Regnen geöffnet wurde oder nicht. 
Aufgrund seines ehemaligen Berufes als Fischer und seiner engen Beziehung zum Wasser entwickelte er sich auch zum Patron zahlreicher Berufe, z.B. Fischer, Fischhändler, Schiffer und Schiffbrüchigen, aber auch Walker, Netzweber, Tuchweber. Seine Bedeutung als Öffner und Schließer der Himmelspforte wurde verallgemeinert, wodurch ihn weitere Berufe als Patron in Anspruch nehmen konnten, beispielsweise Glaser, Schreiner, Schlosser, Schmiede. Weiter stand er Reuigen, Büßenden, Beichtenden und bei den Krankheiten Besessenheit, Fallsucht, Tollwut, Fieber, Schlangenbiss und Fußleiden bei.
Gerade die letztgenannten Krankheiten sind vielleicht ein Hinweis auf diejenigen Krankheit(en), die in Grünbach geheilt wurden oder bei denen zumindest Linderung eintrat.

Suche nach dem Stifter des Gemäldezyklus

Die neue Kapelle Grünbach erhielt beim Um- oder Neubau der Kapelle 1492 einen Gemäldezyklus, der heute noch weitgehend erhalten geblieben ist. Wer dieses Gemälde in Auftrag gegeben hat, ist nicht bekannt. Da man jedoch immer wieder einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen dem Initiator des Grünbacher Wildbades von 1481 und dem Um-/Neubau der St. Peter-Kapelle von 1492 herstellt, darf man auch im Initiator des Wildbades den Auftraggeber vermuten: Heinrich von Rechberg-Weißenstein. Bereits 1481 muss er seine herrschaftliche Position in Grünbach soweit ausgebaut gehabt haben, dass er als Dorfherr den Antrag zur Genehmigung des Grünbacher Wildbades bei Kaiser Friedrich III. hatte stellen können.
Heinrich von Rechberg war der Kirche sehr zugetan: Am 28. August 1456 stiftete er ein Salve Regina, das von den beiden Weißensteiner Kaplänen jeden Samstag gesungen werden sollte. Drei Jahre später schuf Heinrich von Rechberg eine Frucht-Almosen-Stiftung für die Armen in seiner Stadt Weißenstein. Als nächstes stiftete Heinrich am 25. Januar 1478 die Pfarrei in Weißenstein. Zuvor hatte der Ort, obwohl rechtlich seit dem 14. Jahrhundert eine Stadt, zur Pfarrei Treffelhausen gehört. Im Zusammenhang mit der Gründung der Pfarrei entstand die im gotischen Stil erbaute Stadtpfarrkirche, wie sie noch auf dem bekannten Merian-Stich zu sehen ist. Zur Entschädigung verloren gegangener Zehnteinnahmen erhielt die Treffelhauser Kirche 1482 eine Frühmess-Pfründe und Schnittlingen eine wöchentliche Messe.
Betrachtet man dieses Engagement von Heinrich von Rechberg im kirchlichen und sozialen Bereich, so käme er als Initiator für die Umgestaltung der St. Peters-Kapelle tatsächlich in Frage. Diese Überlegungen erhalten jedoch dadurch einen Dämpfer, dass Heinrich von Rechberg-Weißenstein bereits 1489 verstarb. Falls er dennoch der Initiator der Um- bzw. Neubauten war, so wurden seine Ideen von seinem Sohn und Nachfolger Wilhelm III. nach seinem Tode weiterverfolgt und 1492 schließlich abgeschlossen. Die finanziellen Voraussetzungen in der Familie waren auf alle Fälle gegeben. Aus mehreren Urkunden geht hervor, dass Heinrich von Rechberg die finanziellen Strategien seines Vaters fortsetzt und sich als Kreditgeber von Bischöfen, Herzögen und Markgrafen erweist.
Dass das Gemälde von einem Vertreter der Familie Rechberg gestiftet wurde, darauf weist die Farbgebung hin. Zwei Farben treten im Gemäldezyklus besonders hervor: goldgelb und rot, die Wappenfarben der Rechberg. Tatsächlich benutzten die Herren und Grafen von Rechberg immer wieder ihre Wappenfarben bei der Gestaltung ihrer Gebäude und Kirchen, besonders eindrucksvoll in der Kapelle von Markt Altenstadt-Filzingen.    

Der Gemäldezyklus  

Das mehrteilige Wandgemälde befindet sich an der Nordwand im Langhaus. Aufgrund seiner Position innerhalb des Gebäudes wird deutlich, dass das Wandgemälde für die Kapellenbesucher im besonderen angefertigt worden war. Diese These ergibt sich aus folgender Beobachtung: In vielen Kirchen oder Kapellen wurden teure Wandgemälde nur im Chor - dem Platz der Geistlichkeit - ausgeführt. Diese Gemälde dienten der Betrachtung durch die Geistlichkeit. Besonders eindrucksvolle Beispiele hierfür sind die Wandgemälde in den Chören von Göppingen-Oberwälden, Eislingen-Krummwälden und Geislingen-Stötten.
Hingegen dienten diejenigen Gemälde, die im Langhaus angebracht waren, den  Gottesdienstbesuchern zur Belehrung. Dies wird besonders deutlich anhand des großen Wandgemäldes in der Gingener Johannes-Kirche.    

Das Thema des mehrteiligen Wandgemäldes ist die Passion Christi. Der Grünbacher Zyklus ist dabei in guter Gesellschaft, denn auch in anderen Kirchen in unserem Landkreis findet man dieses Motiv. 

Bisher konnte der Künstler des Grünbacher Wandgemäldes nicht identifiziert werden. Zieht man jedoch die engen politischen Verbindungen des Heinrich von Rechberg-Weißenstein mit der Reichsstadt Ulm in Betracht und berücksichtigt die wohl ulmischen Bildwerke in der von ihm gestifteten Stadtpfarrkirche von Weißenstein, so liegt durchaus die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Grünbacher Künstler um einen Ulmer Maler handeln könnte.

Ausschnitt aus dem Passionszyklus in der Grünbacher St.-Peter-Kapelle, 1492 - © GvT
Der gotische Gemäldezyklus erstreckt sich über zwei Reihen. Die ausführlichste Form der gemalten Passionsgeschichte findet sich in Eislingen-Krummwälden. Dort umfasst das gesamte Wandgemälde 15 vollständige Einzelbilder, mit deren Hilfe sich auch die Bilder in Grünbach identifizieren lassen.
In der oberen Reihe erkennt man:
  • 1. Fußwaschung (?), Fragment
  • 2. Abendmahl
  • 3. Jesus am Ölberg
  • 4. Die schlafenden Jünger am Ölberg
  • 5. Verrat Jesu / Judaskuss
  • 6. - zerstört -
  • 7. Jesus bei Kaiphas (?), Fragment
  • 8. Jesus vor Herodes
In der unteren Reihe erkennt man:
  • 9. - zerstört - 
  • 10. Geißelung 
  • 11. Dornenkrönung 
  • 12. Ecce Homo (Seht, welch ein Mensch)
  • 13. Händewaschung des Pilatus (?)
  • 14. - zerstört -
  • 15. Kreuznagelung, Fragment
  • 16. Kreuzigung (vgl. H. Hummel, S. 112).
Ausschnitt aus dem Passionszyklus der Grünbacher St.-Peter-Kapelle, 1492 - © GvT
Von den ehemals wohl 16 Bildern lassen sich heute noch 10 Einzelbilder eindeutig identifizieren, drei von ihnen sind nur noch fragmentarisch erhalten und drei Bilder sind vollständig zerstört. Wie es zu diesen Verlusten kam, darüber berichte ich in Kapitel 10.5.   

Für die Ausführung des Gemäldes benutzte der Künstler wohl Vorlagen. Eine Besonderheit bildet dabei die aufwendige Architekturkulisse. Der Künstler projizierte das biblische Geschehen in eine zeitgenössische, städtische Gegenwart. Ein derartiges Vorgehen war damals durchaus häufiger zu finden, beispielsweise beim bekannten Altar des Ulmer Wengen-Klosters. Deshalb lautete denn auch der Titel zur Ausstellung anlässlich seiner Rekonstruktion ‘Jerusalem in Ulm’. Gleichzeitig bediente der Maler mit seinen drastischen Darstellungen der Szenen die Schaulust seiner Zeitgenossen.  
  

Quellen und Literatur

- Joseph Rink, Familiengeschichte der Grafen und Herren von Rechberg und Rothenlöwen, Teil 2
- Heribert Hummel, Wandmalereien im Kreis Göppingen (Veröffentlichungen des Kreisarchivs Göppingen Bd. 6), Weißenhorn 1978
- Gabriele von Trauchburg, Lauterstein - Weißenstein - Nenningen. Kirchenführer, Lauterstein 2015
- Jerusalem in Ulm. Der Flügelaltar aus St. Michael zu den Wengen, Katalog, Ulm 2015

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 10.4: Grünbach - Die Kapelle als Kreditgeber

© Gabriele von Trauchburg


Im Post über die Grünbacher Kapelle und den 30jährigen Krieg zog ich die Heiligenrechnungen - die Bilanzen der Kapellenverwaltung - als Grundlage für eine Beschreibung der Ereignisse zwischen 1618 und 1648 heran, eine erstmalige Vorgehensweise mit erstaunlichen Ergebnissen (Teil 10.3).
Diese regelmäßig erstellten Abrechnungen enthalten auf der Einnahmenseite unter anderem Eintragungen, die man an dieser Stelle nicht erwarten würde: Es handelt sich um von der Kapellenverwaltung gewährte Kredite und die für sie daraus resultierenden Zinseinnahmen. Doch wie kam es dazu?

Geldwirtschaft und Zins im Reich

Im Laufe des Mittelalters vollzog sich in den großen Handelsmetropolen ein unaufhaltsamer Wandel. Hatte man zunächst einfach nur Ware gegen Ware getauscht, so entwickelte sich der Handel dahin, dass Waren gegen Geld verkauft und gekauft wurde. Im 16. Jahrhundert entstanden in den Städten große Handelsgesellschaften mit Bankgeschäften, die die aufblühende Geldwirtschaft noch schneller vorantrieben. 
Das Verleihen von Geld gegen Zins wurde im 12. und 13. Jahrhundert von der Kirche offiziell verboten. Doch schon von Beginn an umging man dieses kirchliche Verbot. Statt des Zinses verlangten der Templerorden und Bankiers nun einen Zuschlag auf die geliehene Summe. Ab 1500 erlaubten mehrere Reichsabschiede (Gesetzesvereinbarungen für das Deutsche Reich) den  auf 5 % festgesetzten Zins - zunächst für den Rentenkauf und dann stillschweigend auch für Darlehen. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde schließlich die Verzinsung eines Kredites mit 5 % offiziell erlaubt. 

Geldwirtschaft auf dem Land

Die Infrastruktur der Banken blieb jedoch zunächst auf die Städte beschränkt, obwohl auch in den ländlichen Regionen der Geldbedarf merklich anstieg. Doch wie sollte diese Nachfrage befriedigt werden? Man benötigte dazu eine Institution, die über die notwendigen Geldmittel und  einen Verwaltungsapparat verfügte.
Mit der Zeit entwickelten sich zwei Kreditgeber: die katholische Kirche und deren Bruderschaften. Die Mitgliedsbeiträge zu Bruderschaften dienten zunächst dazu, nur die eigenen Mitglieder im Bedarfsfall mit Darlehen zu versorgen, um ihre wirtschaftliche Not zu lindern. Doch im Laufe der Zeit dehnten die Bruderschaftsverwaltungen die Kreditvergabe auch auf Nicht-Mitglieder aus.
Eine ähnliche Beobachtung lässt sich auch für die Kredite aus kirchlicher Hand machen, wie sich am Beispiel von Grünbach, aber auch von Unterweckerstell wunderbar aufzeigen lässt. Im Lautertal sind es gerade die Verwaltungen der Kapellen, die die Möglichkeit der Kreditvergabe nutzten. Auf diese Weise entstanden hier Zentren, die kleine und große Kredite vergaben und damit letztlich die Ökonomie auf dem Land sicherten und dann ankurbelten.
Nach der Welle der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der das Kirchenvermögen von staatlicher Seite eingezogen wurde, brach das System der Kreditvergabe auf dem Lande zusammen. Erst mit Hilfe der Genossenschaftsidee des Kommunalbeamten und Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) konnten erneut Strukturen zur Wirtschaftsbelebung auf dem Land aufgebaut werden.
Wie bedeutend diese von kleinen Gruppen organisierten Kleinkredite sich auf arme Regionen auswirken können, zeigt die Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaft an Muhammad Yunus für seine Idee von Mikrokrediten im Jahre 2006.

Die Kapelle St. Peter in Grünbach als Bank

Die ursprüngliche Vermögensbasis einer Kirche oder Kapelle bestand aus Stiftungen in Form von Äckern oder Wiesen. Die daraus erwirtschafteten Erträge sollten den Unterhalt des Gebäudes und der darin gehaltenen Gottesdienste decken.
Betrachtet man die aus den landwirtschaftlichen Flächen erwirtschafteten Erträge, so erkennt man ziemlich schnell die Problematik der daraus resultierenden Einnahmen. Der Wert der Naturaleinnahmen waren auf Generationen hinweg festgelegt, blieben also ständig gleich. Doch seit dem Mittelalter breitete sich die Geldwirtschaft immer stärker aus und erreichte auch die überwiegend ländlichen Gebiete. Das bedeutete, dass in Zeiten von Inflation sogar der Wert der Naturaleinnahmen schrumpfte.  
Eine neue Möglichkeit von Einnahmen eröffnete das Recht des Geldverleihs. Die Zinsen waren zwar festgeschrieben, so dass die Verantwortlichen kein Risiko eingingen. Die Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Geldmenge und die geforderten Zinszahlungen sorgten dafür, dass die Einnahmen schnell und stetig anstiegen. Die Geldwirtschaft konnte sich nun auch auf dem Land ausbreiten.
Den ersten Hinweis auf eine Kreditvergabe findet sich bereits in der ersten erhaltenen Grünbacher Heiligenrechnung aus dem Jahre 1564. Fortgeführt wurde diese neue Einnahmequelle bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
Die Höhe der Kredite variierten, wie man in der Heiligenrechnung von 1599 erkennen kann: Dort waren die einzelnen Kreditnehmer verzeichnet  - u.a. Michael Aubelin mit 30 Gulden, der junge Hans Demer aus Donzdorf mit 40 Gulden, Hanns Menrath mit 10 Gulden und Jerg Plessing ohne Angabe der Kredithöhe.
Im 17. und 18. Jahrhundert konnte mehrfach in den Heiligenrechnungen ein Überschuss von 100 Gulden erreicht werden. Die Überschüsse wurden oftmals zur Renovierung, Restaurierung oder Neugestaltung der Grünbacher Kapelle verwendet.  

Quellen und Literatur

- GRFAD - Heiligenrechnungen von St. Peter, Grünbach
- https://de.wikipedia.org/wiki/Zinsverbot
- https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Raiffeisen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Muhammad_Yunus

Freitag, 14. Dezember 2018

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 10.3: Grünbach - St. Peter und das Dorf im 30jährigen Krieg

© Gabriele von Trauchburg


Der Pfad zu den Informationen
Es gibt unterschiedliche schriftlichen Gattungen, mit deren Hilfe historische Ereignisse erklärt werden können. Eher ungewöhnlich ist, dabei auf Heiligenrechnungen - die historischen Bilanzen einer Kirche oder einer Kapelle zurückzugreifen. Weil jedoch diese Rechnungen nahezu lückenlos für die Zeit des 30jährigen Krieges überliefert sind und sonst kaum verwertbares anderes Material zur Verfügung steht, soll der Versuch einer Beschreibung der Ereignisse während des 30jährigen Krieges von 1618-1648 gewagt werden. Die Grünbacher Heiligenrechnungen umfassen ganz traditionell die innerhalb eines Jahres entstandenen Einnahmen und Ausgaben.

Getreide als Hinweis für die Lage im Lautertal während des Krieges
Nach eingehender Suche kristallisiert sich ein einziger Posten auf der Einnahmenseite heraus, anhand dessen sich die Entwicklung der Lage im Lautertal während des Krieges deutlich ablesen lässt. Erstmals tritt dieser Einnahmeposten in der ersten überlieferten Bilanz von 1569 auf. Daraus geht hervor, dass jährlich die fest fixierte Abgabe von einem Malter Hafer - das entspricht rund 130 Liter Hafer - immer innerhalb der Region öffentlich zugunsten der Kapelle St. Peter verkauft wurde. Der erzielte Betrag aus diesem Geschäft wird auf der Einnehmenseite der Bilanz immer einzeln vermerkt. Während des 30jährigen Krieges fiel die Aufgabe, die festgelegte Hafermenge zu liefern, dem Grünbacher Bauern Peter Nagel zu.

Inflation und Deflation als Indikatoren
Wenn wir heute den Fernseher einschalten, dann erklärt uns in regelmäßigen Abständen das Statistische Bundesamt, ob im Lande gerade Inflation - ein Anstieg der Verbraucherpreise -  oder Deflation - ein Abstieg der Verbraucherpreise - herrscht. Ein Abstieg der Preise wird von denjenigen, die die wirtschaftliche Lage beurteilen, überhaupt nicht geschätzt, bedeutet er doch, dass die Wirtschaftsleistung sinkt.
Eine leichte Inflation wird heutzutage nahezu als ideal beurteilt, zeigt sie doch eine regelmäßige Steigerung der Wirtschaftsmacht an. Ein stark ansteigender, vielleicht sogar galoppierender Preisanstieg ist hingegen ein eindeutiger Hinweis auf eine gefährliche Krise, welcher Art auch immer. Diese Erkenntnis machen wir uns nun für die Zeit des 30jährigen Krieges zunutze.

Galoppierende Inflation im Krieg
Und hier kommt wieder die jährliche Abgabe von exakt einem Malter Hafer ins Spiel: in den Heiligenrechnungen ist der Wert, der beim Verkauf des Hafers erzielt wurde, verzeichnet. Im Jahr 1618, als der 30jährige Krieg im weit entfernten Prag aufgrund des sogenannten Fenstersturzes ausbrach, betrug die Summe des verkauften Malters Hafer 2 Gulden und 42 Kreuzer. Diese Summe betrachten wir als Basis für die weiteren Berechnungen. Daran änderte sich auch in den darauf folgenden Jahren nichts. Die Preissteigerung ging erst ab 1621 markant und danach extrem steil nach oben:
    1621 -   3 Gulden 36 Kreuzer    = ein Anstieg um  33 % gegenüber 1618
    1622 -   5 Gulden 15 Kreuzer    = ein Anstieg um  94 % gegenüber 1618
    1623 -   6 Gulden                       = ein Anstieg um 122 % gegenüber 1618
    1624 -   9 Gulden                       = ein Anstieg um 233 % gegenüber 1618
    1625 - 57 Gulden                       = ein Anstieg um 1800 % gegenüber 1618
    1626 - Peter Nagel kann keinen Malter Hafer abliefern   
    1627 - Peter Nagel kann keinen Malter Hafer abliefern
    1628 - Peter Nagel kann keinen Malter Hafer abliefern
Die Entwicklung des Haferpreises im Lautertal entspricht den allgemeinen Kenntnissen über den 30jährigen Krieg und den Vorgängen in der Region im Lauter- und Filstal. Der zunächst nur leichte Preisanstieg verstärkte sich um so schneller, je näher der Krieg rückte. Preistreiber waren die Durchmärsche von Heeren der verschiedenen Kriegsmächte, die mit Kontributionen - geforderte Beiträge zum Unterhalt der Soldaten - von den umliegenden Landschaften finanziert werden mussten.
Die Tatsache, dass Peter Nagel ab 1626 nicht mehr in der Lage war, die jährliche Abgabe von einem Malter Hafer zu leisten, deutet darauf hin, dass es entweder drei Jahre hintereinander Missernten gab oder dass seine Ernten geplündert wurden. Leider verraten die Heiligenrechnungen darüber kein Wort. 

Hafer, Mus und Pferdefutter
Die anderen Einnahmenposten in den Heiligenrechnungen zeigen die sich zuspitzende Dramatik jener Zeit nicht an. Ein Schmid erhielt 1623 für die Anfertigung einer neuen Spitze für den kleinen Kirchturm gerade einmal 40 Kreuzer für Material und Lohn. Ähnlich niedrig bleiben auch die übrigen Ausgaben für Handwerker.
Erst wenn man diese Beobachtungen nun in Beziehung zum exorbitanten Anstieg des Getreidepreises setzt, lässt sich das Ausmaß der Katastrophe erahnen: Weil die Löhne für die Handwerker nicht im gleichen Maße anstiegen wie die Getreidepreise, konnten Handwerker, Tagelöhner und Dienstknechte und -mägde sich kaum noch Getreide kaufen. Dabei war das zu Mus gekochte Getreide damals das Hauptnahrungsmittel. Die einseitige Abhängigkeit von Getreide in der Ernährung hatte jedoch gravierende Folgen: Gab es kein Getreide, gab es auch kein Essen.
Neben den Menschen brauchten auch Tiere den Hafer als Futter. Insbesondere Pferde wurden damit gefüttert. Pferde waren im Lautertal ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, denn sie wurden als Zugtiere auf der wichtigen Verkehrsader durch das Tal - heute die Bundesstraße B 466 - eingesetzt, die Verbindung vom Stuttgarter Raum in Richtung Heidenheim mit den historischen Steigen des Lautertales bei Donzdorf-Unterweckerstell, Grünbach und Weißenstein - den niedrigsten Aufstiegen auf die Alb.
Am oberen Ende der alten Weißensteiner Steige - © GvT

Peter Nagel verkaufte seinen Hafer an die (Tavern)Wirte von Weißenstein und Böhmenkirch. Diese Wirte besaßen das Privileg, Wechselpferde für Reisende bereit zu halten und bei Bedarf zur Verfügung zu stellen. Die Tavernen von Weißenstein und Böhmenkirch stellten die jeweiligen Endpunkte des Albaufstiegs dar.
Die Folgen einer galoppierenden Inflation auf der Lautertal-Route im einzelnen und entlang der Verkehrswege lässt sich leicht nachvollziehen. Erhielten die Tiere nicht ausreichend Futtermittel wurde der gesamte Personen- und Warenverkehr zunächst eingeschränkt und kam schließlich völlig zum Erliegen.  

Der Krieg rückt näher
Das Grünbacher Vermögen der Kapelle stieg kontinuierlich an. Im Jahre 1622 betrug es 64 Gulden, 1623 schon 77 Gulden, 1624 dann 89 Gulden und schließlich 1628 84 Gulden. Der stetige Anstieg in Jahren ohne große Ereignisse rührte von den Zinseinnahmen aus Krediten her. In Krisenjahren trug auch der gesteigerte Getreidepreis entscheidend dazu bei. 
Nach Süddeutschland kam der Krieg Anfang Mai 1622, als die katholische Liga bei Bad Wimpfen gegen den protestantischen Markgrafen von Baden kämpfte. Der Markgraf verlor die Schlacht. Die katholischen Truppen zogen weiter in südlicher Richtung. Auf ihrem Weg  wurden die Soldaten in den Dörfern einquartiert. Die Bevölkerung musste diese ungebetenen Gäste oftmals wochenlang nach großzügiger Vorschrift versorgen. Immer wieder liest man in schriftlichen Unterlagen von ‘unfremder, schwerer Teuerung’ und ‘merklichen Einbußen’. Hinzu kamen Klagen über Plünderungen, Vergewaltigungen und eingeschleppten Krankheiten. Erste Durchmärsche in der Region von Truppen wurden 1624 in den benachbarten Orten Süßen und Donzdorf registriert.
Im September 1625 konnte nur durch die Verlegung von Ulmer Truppen in den Grenzort Großsüßen ein großes Lager der Wallensteinschen Truppen bei Süßen verhindert werden. Laut einer Chronik kam es 1625 zu ersten Fällen von ‘hitzigem Haupt’ mit heftigen Fieberschüben, vereinzelt traten Fälle von Pest auf. In Gingen verstarben 1626 50 Personen durch Hunger, die Pest hatte 132 Menschen hinweggerafft. In Süßen verstarben 56 Menschen an der Pest (Trauchburg, S. 122ff).

Das Näherrücken des Kriegsgeschehens lässt sich auch an den Ausgaben für die Kapelle ablesen. In den Jahren 1625 und 1626 mussten nachfolgende Reparaturen durchgeführt werden: für die Kirchenmauer wurde 1625 Kalk in Schnittlingen hergestellt und ein Maurer musste dafür Steine brechen. Beide Baumaterialien brachte man nach Grünbach, wo der Maurer sie dann verbaute.

Kapelle St. Peter in Grünbach mit dem Überrest der umgebenden Mauer - © GvT

Im darauffolgenden Jahr schaffte die Kapellenverwaltung einen neuen Weihwasserkessel für 48 Kreuzer und eine ‘Porropferkäntlen’ - eine Kanne fürs Opfer auf der Empore - für 30 Kreuzer an. Die Angaben für das Jahr 1625 und 1626 deuten darauf hin, dass die Kirchenmauer beschädigt worden war, der Weihwasserkessel und die Opferkanne zerstört worden waren. Vor allem die beiden letzteren Ausgaben lassen auf eine bewusste Beschädigung schließen. In den beiden nachfolgenden Jahren wurden keine Ausgaben mehr getätigt. Die Kapellenverwaltung hielt das Geld zurück und wollte wahrscheinlich erst einmal die weitere Entwicklung abwarten.

Eine Zeit der trügerischen Ruhe
Im Jahr 1628 zogen 16.000 kaiserliche Soldaten samt Anhang durch unsere Region. Bis 1630 litt die Herrschaft Weißenstein unter deren Einquartierungen. In diesem Zeitraum konnte Peter Nagel weiterhin keinen Hafer an die Kapelle abliefern.
Erst mit dem Abzug der Truppen beruhigte sich die Lage kurzfristig, so dass Peter Nagel 1631 seine gesamten Rückstände tilgen konnte. Für die 5 Malter und 6 Fuder Hafer wurden in jenem Jahr 31 Gulden als Einnahmen erzielt. Längst fällige Zinsen konnte er ebenfalls zurückzahlen.
Von diesem Geld ließ man sofort vom Zimmermann eine neue Kirchentür für 40 Kreuzer anfertigen. Zusätzlich beauftragte der Kirchenpfleger einen Schmied, diese zu beschlagen, und der Handwerker erhielt dafür 30 Kreuzer. Außerdem benötigte man Steine für deren Einbau.

Ehemaliger Haupteingang der Grünbacher Kapelle - © GvT

Ein Jahr später konnte vom Malter Hafer eine Summe von 4 Gulden und 30 Kreuzer erzielt und die Glockenseile ausgetauscht werden. Der Getreidepreis fiel deutlich erkennbar.

Die Schreckensherrschaft der Schweden
Im Jahre 1633 rückten die protestantischen Schweden nach Süddeutschland vor. Der katholische Herrschaftsinhaber, Veit Ernst von Rechberg-Weißenstein, zog es deshalb vor, seine hiesigen Herrschaften zu verlassen, denn die Schweden genossen keinen guten Ruf in Bezug auf die Behandlung ihrer Glaubensgegner. Ich denke, jeder hat schon einmal von der Foltermethode des Schwedentrunks gehört.
Als die Schweden dann tatsächlich die Herrschaft Weißenstein besetzten, forderten sie Veit Ernst auf, in seine Herrschaft zurückzukehren und sich ihnen und dem protestantischen Glauben anzuschließen. Dieses Ansinnen lehnte der überzeugte Katholik Veit Ernst kategorisch ab. Somit wurde die gesamte Herrschaft Weißenstein - und damit auch Grünbach - im Mai 1633 an den schwedischen Oberstleutnant Jacob Maximilian von Bonheim, und nach dessen Tod dem General Major von Streifer 1633 geschenkt. Ob diese schwedischen Offiziere den Versuch unternahmen, den Protestantismus in der Herrschaft Weißenstein einzuführen, lässt sich bisher schriftlich nicht belegen.
Auf Grünbach hatte dieser Herrschaftswechsel zunächst anscheinend keinen Einfluss. Dieser Eindruck ergibt sich aus den Heiligenrechnungen, denn darin finden sich keine außergewöhnlichen Vermerke. Ungestört konnten die Zinsen verrechnet werden, der Rest aus dem Vorjahr wurde in die Bilanz mit eingerechnet. Auffallend ist nur der erhöhte Bedarf an gebrochenen Steinen und Kalk, der von eigens engagierten ‘Mörtelrührern’ weiter verarbeitet wurde, um dann vom Maurer zu einer Kirchenmauer aufgebaut zu werden. 
Die schwedische Herrschaft währte nur kurz. Die Schweden und ihre Verbündeten wurden im September 1634 in der Schlacht von Nördlingen geschlagen und anschließend zurückgedrängt. Auf ihrem Rückzug verwüsteten die Soldaten alles, was auf ihrem Wege lag. Die Lebensmittel wurden aufgezehrt oder entwendet. Und im folgenden Winter litt die Bevölkerung zuerst unter einer schweren Hungersnot und dann unter der Pest, die die nachfolgenden kaiserlichen Truppen eingeschleppt hatten (Seehofer, S. 54f).
Grünbach scheint diesen Sturm gut überstanden zu haben, denn die Heiligenrechnung wurde wie üblich erstellt. Auch der Preis für einen Malter Hafer ist im Gegensatz zum Jahr 1624 und 1631 mit 4 Gulden und 30 Kreuzern nicht übermässig hoch. Auffällig ist nur, dass gleich drei neue Kreditnehmer zu verzeichnen waren. 

Die Pest-Epidemie und ihre Folgen
Zwischen Ende 1634 und August 1635 erlagen mehr als die Hälfte der Bewohner Nenningens und Weißensteins der Pest-Epidemie. In Treffelhausen, Schnittlingen und Böhmenkirch lebten kaum noch Menschen, Pferde gab es überhaupt keine mehr, vermeldete der Weißensteiner Vogt seinem rückkehrenden Herrschaftsinhaber Veit Ernst I. Diese Beurteilung erklärt zugleich, warum es für die Zeit von 1635 bis 1641 keine Bilanzen für die Grünbacher Kapelle gibt.
In den Jahren bis 1645 herrschte relative Ruhe, d.h. es kam zu keinen direkten Kriegshandlungen im süddeutschen Raum, doch mussten große Summen für Kriegsbeitragszahlungen geleistet werden. Dennoch gelang es vielen Herrschaften, Dörfern und Städten, in dieser Zeit den Wiederaufbau in die Wege zu leiten.

Quellen und Literatur
GRFAD, Heiligenrechnungen von St. Peter, Grünbach 1618-1648
Seehofer, Josef, Stadt Lauterstein in Vergangenheit und Gegenwart, Lauterstein 1974
v. Trauchburg, Gabriele von, 915-2015. 1100 Jahre Gemeinde Gingen an der Fils - die Perle des Filstals, Gingen 2015

Donnerstag, 13. Dezember 2018

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 10.1: Grünbach - St. Peter und das Wildbad

© Gabriele von Trauchburg




Grünbach im Lautertal 

Grünbach gehört heute zur benachbarten Stadt Donzdorf. Das war nicht immer so. Am Beginn der schriftlichen Aufzeichnungen gehörte Grünbach zu Lauterstein-Nenningen und damit zur Herrschaft Weißenstein. Urkundlich erstmals erwähnt wurde Grünbach 1324.
Im Spätmittelalter waren mehrere Adelsfamilien in Grünbach begütert. Ein Hof gehörte den Herren von Degenfeld, weitere Güter besaßen die Herren von Elchingen (Rink I, S. 57). Als am 12. August 1385 Wilhelm von Rechberg die St. Georgs-Messe für seine Stadt Weißenstein stiftete, legte er vertraglich fest, dass Abgaben aus mehreren seiner Dörfer in der Herrschaft Weißenstein und Böhmenkirch - darunter auch Grünbach - zu deren Finanzierung beitragen sollten (Rink II, S. 7). 

Das Wildbad

Der Ortsname Grünbach weist bereits auf eine Besonderheit in diesem Weiler hin: Grünbach besitzt ein ständig fließendes Gewässer, auch im Winter - also eine Thermalquelle. Der innovative Herrschaftsinhaber, Heinrich von Rechberg, wollte dieses natürliche Vorkommen zu seinem ökonomischen Vorteil nutzen.
Er wandte sich an Kaiser Friedrich III. (1415-1493) mit der Bitte um ein hierfür notwendiges Privileg, denn allein der Kaiser besaß das Recht, Genehmigungen für die Nutzung von natürlichen Vorkommen zu erteilen - Und diese Genehmigungen ließ sich der Kaiser mit gutem Geld bezahlen, um so einen Beitrag zu seinen Regierungs- und Hofkosten zu erhalten.
Heinrich von Rechberg war für den Kaiser kein Unbekannter. Heinrich gehörte zu denjenigen Adeligen, die dem Kaisersohn Maximilian das Handwerk auf der Jagd beibrachten. Heinrich schickte dem Kaisersohn sogar einige Hunde, wofür sich Maximilian herzlich bedankte. Auch der Kaiser war ihm spätestens seit 1475 wohl gesonnen. Daher verwundert es nicht, dass Heinrich von Rechberg am 1. Dezember 1481 den in Wien ausstellten Schutzbrief für das Grünbacher Wildbad erhielt, der zusätzlich eine Schankgenehmigung umfasste. (Rink II, S. 72).  
Es gibt keine schriftliche Überlieferung darüber, wie der Betrieb des Wildbades gestaltet wurde. Vielleicht gab es ein kleines Badhaus, wohin Kranke sich wenden konnten. Für die Menschen jener Zeit war es jedoch selbstverständlich, dass ohne Glaube keine Krankheit geheilt werden konnte. Deshalb geht man wohl nicht fehl in der Annahme, dass der Bau der Grünbacher Kapelle in direktem Zusammenhang mit dem Ausbau des Grünbacher Wildbades stand.
Die Grünbacher Thermalquelle war in einem Brunnen mit 3 Röhren gefasst. Noch im 19. Jahrhundert floss daraus 'vortreffliches Trinkwasser'. Die ursprüngliche Quelle ist heute versiegt, denn sie wurde bei einem Hangrutsch im vergangenen Jahrhundert verschüttet. 

Quellen und Literatur

Gräflich Rechbergsches Familienarchiv Donzdorf - Urkunde 336
Rink, Joseph Alois, Familiengeschichte der Grafen und Herren von Rechberg u. Rothenlöwen
- Teil I u. II., Manuskript 1806
Stälin, Christoph Friedrich von, Beschreibung des Oberamts Geislingen, Stuttgart 1842, S. 183

Donnerstag, 6. Dezember 2018

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 4.5: Hürbelsbach, nach 1493 - Die leere Grabkapelle braucht einen Altar

© Gabriele von Trauchburg

An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass der in der Kunstgeschichte bekannte 'Donzdorfer Altar' seine Bezeichnung zu unrecht trägt. Aus diesem Grund war es bisher unmöglich, die Entstehung und die Aussage dieses Altares in das Werk des Ulmer Bildhauermeisters Bartholomäus Zeitblom einzuordnen. Mit diesem Post soll diese Lücke in der Forschung zum Werk von Bartholomäus Zeitblom geschlossen werden.

Eine leere Kapelle braucht einen Altar


Am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts prägte sich unter Wohlhabenden eine besondere Mode aus. Man stiftete großzügig für die Ausstattung von Kirchen und Kapellen. Dabei handelte man nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber.
Man begnügte sich deshalb nicht nur mit einer anonymen Stiftung, sondern man ließ alle Welt wissen, wer die Stiftung für einen Ausstattungsteil getätigt hatte. Deswegen zieren Wappen oder Stifterporträts oder am besten beides die jeweiligen Gegenstände. Des weiteren übten die Stifter Einfluss auf die Gestaltung ihrer Stiftungen aus.

Am Ende des 15. Jahrhunderts galt in Deutschland noch immer die Gotik als Maßstab für die Gestaltung von Gebäuden und von Innenausstattungen in den Kirchen, die Renaissance hielt erst langsam Einzug in die Kirchen. Deshalb darf man davon ausgehen, dass der Altar in der Hürbelsbacher Kapelle dem typischen, gotischen Aufbauschema folgte.
Ein gotischer Altar bestand traditionell aus dem Altartisch (Mensa), dem Aufsatz mit oder ohne Bild bzw. Schnitzerei (Predella), den Flügeln und dem Schrein (Retabel) und zuletzt dem Aufsatz (Gesprenge) (vgl. dazu http://www.angelfire.com/dc/stilkunde/mittelalter_fluegelaltar.html). Einen derartigen Altar gab es wohl auch in der Hürbelsbacher Kapelle. In den vorhandenen Akten findet sich kein Hinweis mehr darauf, wie dieser Altar ausgesehen haben könnte. Es gibt jedoch vier Gemälde und eine Holzfigur, die zwar keine Gesamtlösung, jedoch eine Vorstellung von der Ausstattung vermitteln können.

Wie der 'Donzdorfer Altar' zu seiner irreführenden Bezeichnung in der Kunstgeschichte kam


Immer wieder erregen die Bestandteile des sogenannten 'Donzdorfer Altares' Aufmerksamkeit. Zuletzt im Frühjahr 2015 bei der Ausstellung 'Jerusalem in Ulm - Der Flügelaltar St. Michael zu den Wengen'.  Dies hängt damit zusammen, dass die Altarflügel von dem Ulmer Maler Bartholomäus Zeitblom angefertigt worden waren. Und dieser galt lange Zeit als bester spätgotischer Maler, weshalb er im 19. Jahrhundert entsprechend hoch geschätzt wurde.
Hinzu kommt die wechselvolle Geschichte der Altarflügel seit ihrem Verkauf aus Donzdorf. Anfang des 19. Jahrhunderts veräußerte der damalige Donzdorfer Pfarrer Joseph Alois Rink die Seitenflügel. Dieser Verkauf beziehungsweise das Wissen darüber sorgte dafür, dass die erhaltenen Gemälde von zwei Seitenflügeln eines Altares die Bezeichnung 'Donzdorfer Altar' erhielten.

Gestützt wurde diese bisherige Benennung der Zeitblom-Altarflügel durch eine alte Postkarte von der Donzdorfer St. Martinus-Kirche aus der Zeit vor 1938, auf der ein neogotischer Seitenaltar mit einer Kopie eines der ehemaligen Flügelgemälde zu sehen ist.

linker Seitenaltar mit der Kopie im rechten Altarflügel, vor 1938 - © GvT
Auch wenn man nur einen Teil des Seitenaltares erkennen kann, so sind doch auffallend viele Frauen mit einem kleinen Kind im Schrein erkennbar. Zusätzlich stellt der rechte Seitenaltarflügel die Heimsuchung Mariens dar - also der Besuch der schwangeren Muttergottes bei ihrer ebenfalls schwangeren Cousine Elisabeth. Diese Häufung der Motive um Schwangerschaft und Kleinkinder ergänzt sich ideal mit der damaligen Aufgabe dieser Seitenkapelle als Taufkapelle.
Bei der Renovierung und Umgestaltung der Donzdorfer St. Martinus-Kirche 1938 wurde dann die Taufkapelle von der linken in die rechte Seitenkapelle verlegt. Der neogotische Altar samt dem Altarflügel mit der Zeitblomkopie wurde entfernt.   

Betrachtet man die auf den Altarflügeln dargestellten Heiligen, so sticht eine Darstellung besonders ins Auge - diejenige des Heiligen Laurentius. In der gesamten Donzdorfer Geschichte gab es im Mittelalter niemals eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen der Donzdorfer Pfarrkirche St. Martinus, der Hürbelsbacher Kapelle und deren Kirchenpatron St. Laurentius. Das bedeutet nun, dass die Altarflügel nur aus der Hürbelsbacher Kapelle stammen können, müssen also eigentlich als "Hürbelsbacher Altar" bezeichnet werden. Die Gründe für diese Umbenennung werden im Laufe des Posts noch detailliert erläutert.

Der Verkauf des ‘Donzdorfer Altar’ bzw. 'Hürbelsbacher Altar' von Bartholomäus Zeitblom


Geschäftstüchtig war man damals zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch schon, denn man richtete sich nach den Kundenwünschen. Wer sollte schon einen ganzen, aus Holz gefertigten Altarflügel kaufen? Zum Aufhängen an der Wand war er zu schwer und außerdem konnte man nur entweder die Vorder- oder die Rückseite betrachten. Die Lösung für dieses Problem: Man sägte den Altarflügel einfach der Länge nach durch. So erhielt man plötzlich zwei Bilder, die sich viel besser vermarkten ließen.
Doch in Donzdorf ging man noch einen Schritt weiter. Die Höhe des Bildes wurde als zu groß empfunden. Daher kürzte man das Bild am unteren Ende, so dass ein Format entstand, das problemlos in ein Bürgerhaus passte. Genau dieses Verfahren wurde auch beim sogenannten 'Donzdorfer Altar' angewandt.

Maria Magdalena und Ursula, Kopie Anfang 19. Jh. 
© mp-foto martin paule fotodesign, Rechberghausen











































Die aus den beiden Altarflügeln gewonnenen vier Bilder fanden dann auch tatsächlich zwei Käufer: Die vier männlichen Heiligen der Außenseite - die Heiligen Sebastian und Georg sowie Laurentius und Wolfgang - gelangten in die Sammlung Hirscher und wurden von dort 1858 an die Kunsthalle Karlsruhe verkauft.
Auf der Innenseite waren die vier weibliche Heiligen - Maria und Elisabeth (Heimsuchung) sowie Magdalena und Ursula - zu sehen. Diese beiden Bilder gelangten über die Sammlung Laßberg in die Fürstenbergsche Sammlung nach Donaueschingen und dann in die Sammlung Würth.

Das Gestaltungsprogramm des Hürbelsbacher Altares auf der Außenseite


Im nächsten Schritt gilt es nun, das Programm, das dem Hürbelsbacher Altar zugrunde gelegen hatte, herauszuarbeiten und zu entschlüsseln. Dazu müssen wir die auf den vier Altarflügeln abgebildeten Figuren betrachteten und analysieren.
Bisher wurde in der Kunstgeschichte der Aufbau des Altares und die Position der einzelnen Heiligen innerhalb des Altares anhand ihrer Kopfhaltungen rekonstruiert. Ein Versuch, den Stifter und dessen Geschichte und Motivation zur Kapellenausstattung ausfindig zu machen, wurde bisher nicht unternommen. Diese Lücke soll nun geschlossen werden.

Die männlichen Heiligen auf der Außenseite 
Von den männlichen Heiligen - St. Sebastian, St. Georg, St. Laurentius und St. Wolfgang - schauen zwei der Heiligen dem Betrachter direkt ins Auge. Die Blickrichtung der beiden anderen ist entweder nach links oder nach rechts. 
Der eine Heilige, der nicht dem Betrachter ins Auge blickt, ist als Bischof gekennzeichnet. Er blickt nach links zum Kirchenpatron hin. Diese Blickrichtung lässt nun den Rückschluss zu, dass der Bischof auf der rechten Außenseite plaziert gewesen sein muss, sonst würde er ins Leere blicken.
Der Heilige mit dem Speer blickt nach rechts zu seinem Nachbarn im Bild, dem Heiligen Georg. Seine Blickrichtung macht nur dann Sinn, wenn er auf der linken Altarhälfte platziert war.
Setzt man die beiden Altarbilder auf diese Weise zusammen, dann ergibt sich eine harmonische, in sich geschlossene Bildkomposition der beiden äußeren Altarflügel. Die beiden zentralen Figuren sind der Ritterheilige Georg und der Kirchenpatron Laurentius, die beide dem Betrachter ins Auge blicken. Der Blick des Heilige Sebastian ruht auf dem Heiligen Georg, der Blick des Heiligen Wolfgangs auf dem des Kirchenpatrons. 


Heiliger Sebastian (links) und Heiliger Georg (rechts) - Bartholomäus Zeitblom, wohl 1495-96

Heiliger Laurentius (links) und Heiliger Wolfgang (rechts) - Bartholomäus Zeitblom, wohl 1495-96
Wenden wird uns den einzelnen Heiligen zu.

Der Heilige Sebastian
Auf dem ehemaligen linken Außenflügel erkennt man auf der linken Position den Pestheiligen Sebastian anhand von zwei Attributen, einem Pfeil und einem Schwert. Der Heilige Sebastian gehört zu den bekanntesten Heiligen und ist häufig in Kirchen und Kapellen anzutreffen. Man schreibt ihm den Schutz der Menschen vor der Pest zu.
Doch im Zusammenhang mit der Neueinrichtung von Hürbelsbach als Grabkapelle steht wohl eine andere Bedeutung im Vordergrund: Da Sebastian während seines Martyriums auf wundersame Weise nicht von den Pfeilen der auf ihn zielenden Bogenschützen getötet wurde, entwickelte er sich zum Patron der Bogen- und Armbrustschützen, von Soldaten und Kriegsinvaliden.
Wie im Post ‘Hürbelsbach - von der Pfarrkirche zur Grabkapelle, 1493-96' schon erwähnt, hatte Ritter Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen unter anderem an der Schlacht von Giengen an der Brenz 1462 teilgenommen und war dabei in Gefangenschaft geraten. Ritter Ulrich als Stifter hatte also einen ganz persönlichen Grund, diesen Heiligen in sein Altarprogramm mit aufzunehmen.

Der Heilige Georg
Der besonders von Rittern verehrte Heilige Georg ist das große Vorbild der männlichen Adeligen jener Zeit. Nicht wenige hatten sich deshalb in der Rittergesellschaft ‘St. Jörgenschild’ zusammengeschlossen. Kaiser Maximilian - mit dem Beinamen ‘der letzte Ritter’ - hat mit seinen Büchern die Welt der Ritter besonders stilisiert und idealisiert.

Grabplatte des Ritters Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen - ev. von Pantaleon Sidler aus Esslingen, um 1496 - © GvT

Ritter Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen, der zum Schmuck seines Grabmals einen überlebensgroßen bronzenen Ritter in seiner Rüstung hatte anfertigen lassen (vgl. den Post ´Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 4.4: Hürbelsbach 1493-96 - Von der Pfarrkirche zur Grabkapelle), huldigte dem Rittertum also in besonderer Weise auch auf dem Altar: Als Auftraggeber ließ er den Ritterheiligen in die Wappenfarben der Familie von Rechberg - rot und gold - kleiden, als Hommage an seine Familie und seinen einzigen Sohn.

Der Heilige Laurentius
Auf dem rechten Außenflügel sind links der Heilige Laurentius und rechts der Heilige Wolfgang von Regensburg dargestellt. Beide sind durch ihre Attribute - der Rost und Palmzweig für Laurentius, die Kirche für Wolfgang - eindeutig gekennzeichnet.
Der Heilige Lauretius war seit der Pfarreigründung durch das Klosters Anhausen im 12. Jahrhundert der Hürbelsbacher Kirchenpatron. Offenbar betrachtete Ulrich II. von Rechberg diesen Heiligen auch nach der Degradierung der Pfarrkirche zur Kapelle weiterhin als den rechtmäßigen Kirchenpatron seiner Grabkapelle. Somit ist es nicht verwunderlich, dass der Heilige Laurentius auf dem Hürbelsbacher Altar abgebildet ist. Gleichzeitig wird damit deutlich, dass dieser Zeitblom-Altar ausschließlich für diese Kapelle geschaffen wurde.

Der Heilige Wolfgang
Der Heilige Wolfgang von Regensburg wurde um 924 in der Gegend von Reutlingen geboren. Zunächst war er geistlicher Lehrer und Missionar, ehe er 972 zum Bischofvon Regensburg geweiht wurde. Wolfgang verstarb 994 in Pupping in Oberösterreich und wurde 1052 heiliggesprochen. Seine Attribute sind der Bischofsstab und in der Hand ein Kirchenmodell.
Die Legende erzählt, dass der heilige Wolfgang von Regensburg in St. Wolfgang am nach ihm benannten Wolfgangssee in Oberösterreich eine Kirche hatte errichten lassen. Später verstarb er während einer Inspektionsreise in einer Dorfkirche. Dort hatte man ihre Kirchentüren offen gelassen, damit alle Menschen sehen konnten, dass der Bischof eines ruhigen Todes starb.

Die Einordnung des heiligen Wolfgang in das Bildprogramm der Vorderseite des Hürbelsbacher Altares ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich, verbindet man jedoch die Vita des Heiligen mit den Lebensumständen des Altarstifters, treten zwei Verbindungen zutage. Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen muss durch seinen Dienst bei Herzog Ludwig d. Reichen von Bayern-Landshut (= Niederbayern) mit der Verehrung von St. Wolfgang von Regensburg in Berührung gekommen sein. Auf diese Weise hatte er den historischen Regensburger Bischof Wolfgang als Kirchenbauer und seine Verehrung als Helfer für einen ruhigen Tod kennengelernt.
Auf dem ehemaligen Altarbild hält der Heilige Wolfgang in der einen Hand seinen fein ausgearbeiteten Bischofsstab und in der anderen das exakte Modell der Hürbelsbacher Kapelle.
Doch weshalb wählte Ulrich II. von Rechberg ausgerechnet den Regenburger Bischofsheiligen? Offensichtlich ist, dass Ulrich II. im Laufe seines Lebens den Bau mehrerer Kirchen oder Kapellen veranlasste oder gemeinsam mit weiteren Bauherren initiierte. 1488 ließ er die 1. steinerne Kapelle auf dem Hohenrechberg, im 20. Jahrhundert zum Gasthaus Rechberg umgebaut, errichten. Zudem war Ulrich II. Mitinitiator beim Bau zweier Kirchen, ebenfalls 1488 in Wetzgau b. Schwäbisch Gmünd und dann 1492 in Heuchlingen.

Die zum Gasthaus umgebaute erste steinerne Kapelle auf dem Hohenrechberg, © GvT
Weil der heilige Wolfgang das Modell der Hürbelsbacher Kapelle in Händen hält, darf man die Vermutung äußern, dass im Auftrag von Ulrich II. Bauarbeiten an der Kapelle vorgenommen wurden. In das Modell integriert ist eine deutlich sichtbare Glocke im Dachreiter. Wie schon zuvor erwähnt, stiftete Ulrich II. von Rechberg als erstes 1493 eine von Pantaleon Sidler gegossene Glocke. Auch die Gestaltung des Maßwerks der Fenster im Chor und das Kreuzrippengewölbe im Innern der Kapelle lässt die Vermutung einer Entstehung des älteren Kapellenteils oder dessen Umgestaltung um 1493 zu.

Modell, sogar mit Kirchenglocke
Der hellrot gedeckte Teil ist der ursprüngliche Teil der Kapelle




















Ein weiterer Grund für die Wahl von St. Wolfgang als Motiv im neuen Altar ist seine Verehrung als Helfer für einen ruhigen Tod, der Wunsch eines jeden Menschen. Diese Eigenschaft ist nun ideal für die Gestaltung eines Altares, der in einer Grabkapelle zu stehen kommen sollte.  

Das Gestaltungsprogramm des Hürbelsbacher Altares auf der Innenseite


Wie bei den Außenflügeln wurde in der Kunstgeschichte der Aufbau des Altares und die Position der einzelnen Heiligen innerhalb des Altares bisher anhand ihrer Kopfhaltungen rekonstruiert. Und wie in diesem Post für die Außenseite praktiziert, sollen die einzelnen weiblichen Heiligen in Verbindung mit dem Stifter Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen und seiner Familie gebracht werden.
Beim geöffneten Altar erblickten die Betrachter die Darstellungen von vier weiblichen Heiligenfiguren auf den Seitenflügeln. Traditionell gilt in der Kunstgeschichte, dass auf dem linken Altarflügel die beiden Heiligen Maria Magdalena und Ursula von Köln zu sehen waren, während auf dem rechten die Muttergottes und ihre Cousine Elisabeth dargestellt waren (vgl. Kat. Jerusalem in Ulm, 174f)

Maria und Elisabeth - Heimsuchung, Ausschnitt, Original Bartholomäus Zeitblom, 1492-1496 - © GvT
Maria Magdalema und Ursula, Ausschnitt, Original Bartholomäus Zeitblom, 1492-1496 - © GvT

Wenden wir uns den einzelnen Frauen zu:


Maria Magdalena
Auf dem unteren der beiden Flügelaltarbilder sind zwei Frauen abgebildet. Auf der linken Seite ist  Maria Magdalena mit einem Gefäß in der Hand dargestellt. Ursula ist mit dem Pfeil, der sie durchbohrte, gekennzeichnet.
Maria Magdalena hatte Jesus bei einer ihrer Begegnungen die Füße gesalbt, daher ihre Darstellung mit einem Deckelgefäß. Sie war eine begeisterte Anhängerin von Jesus Christus. Nach dessen Tod war Maria Magdalena die erste, der Jesus nach seiner Auferstehung als vermeintlicher Gärtner erschien. Maria Magdalena ist die erste Augenzeugin und Botschafterin des Auferstehungswunders an Ostern. 

Ursula von Köln
Ursula von Köln war der Legende nach eine Königstochter. Ursula kam von einer Pilgerfahrt nach Rom in Köln an. Sie wurde gemeinsam mit ihren Begleiterinnen überfallen und gefangen genommen. Alle Begleiterinnen von Ursula wurden misshandelt und getötet. Der Anführer wollte Ursula für sich, doch sie verweigerte sich. Deshalb wurde sie durch einen Pfeilschuss getötet (s. Attribut). Darauf hin kamen 11000 Engel (wohl die Seelen ihrer Begleiterinnen) über Köln und vertrieben die Feinde aus der Stadt.
Der Tod der Heiligen Ursula wird mit der Vertreibung der Hunnen aus Köln in Verbindung gebracht.  Bis heute wird die Heilige u.a. für eine gute Ehe und für einen ruhigen Tod verehrt sowie bei Kinderkrankheiten und gegen Qualen des Fegefeuers angerufen. Drei dieser vier Eigenschaften besitzen einen Bezug zum Altarstifter zu: Da wäre zunächst die gute Ehe. Davon zeugt die Sage vom Klopferle. Darin wird erzählt, dass Ulrich II. und seine Frau sich während ihrer ganzen Zeit immer kleine Nachrichten haben zukommen lassen.Ulrich II. von Rechberg bereitete sich systematisch auf sein Ableben vor, indem er die von ihm ausgewählte Grabkapelle bewusst ausstattete. Somit passen die beiden anderen der Heiligen Ursula zugeschriebenen Eigenschaften - die erneute Bitte für einen ruhigen Tod und die Hilfe gegen die Qualen des Fegefeuers - ideal zur Ausstattung einer Grabkapelle.

Maria und Elisabeth - Die Heimsuchung
Maria und ihre Cousine Elizabeth haben einen gemeinsamen Grund zur Freude. Völlig unerwartet waren beide Frauen guter Hoffnung - Maria mit Jesus und Elisabeth mit Johannes dem Täufer. Dieses Thema wird traditionell mit dem Titel ‘Heimsuchung’ bezeichnet. Man kann es als den Beginn neuen Lebens deuten.
Bei dieser Tafel handelt es sich um das einzige Gemälde, auf der die beiden dargestellten Heiligen miteinander interagieren. Das Motiv besitzt eine besondere Beziehung zum Stifter. Die Freude, auch noch im hohen Alter ein Kind zu erwarten, besaß für Ulrich II. und seine Frau Anna von Venningen einen konkreten Hintergrund. Das Paar war bereits 15 Jahre lang verheiratet, als ihnen der langersehnte männliche Erbe geboren wurde.

Überlegungen zum Schrein des Hürbelsbacher Altares


Zum Aussehen des Altarschreins gibt es keine schriftliche Überlieferung. Doch die Entwicklung der Themen auf den Innenflügeln - von der Empfängnis bis zum Tod und der Auferstehung - legt nahe, dass im Schrein ein Ereignis aus dem Leben Christi gezeigt wurde. In Betracht kommen 1. Maria und Christus-Kind - ähnlich wie in der Kirche auf dem Hohenrechberg oder 2. eine Kreuzigung oder Kreuzabnahme bzw. Pietà. Tatsächlich gibt es heute in der Hürbelsbacher Kapelle eine Pietà-Gruppe im dortigen Altar, die ebenfalls in die Zeit vor 1500 datiert wird  


Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass diese Gruppe Bestandteil des Schreins war, denn im Verhältnis zur Größe der Seitenflügel ist sie zu klein. Bei einem eigens entworfenen Altar wäre zu erwarten, dass die Größenverhältnisse der Figuren im Schrein und der Flügelaltäre miteinander korrespondieren. 



Der Hürbelsbacher bzw. Donzdorfer Altar, die Heilige Apollonia und Nikolaus Weckmann


Von den übrigen Bestandteilen des 'Donzdorfer Altars' - Predella, Schrein oder Gesprenge - gibt es
keine gesicherte Überlieferung. Man darf jedoch davon ausgehen, dass geschnitzte Figuren im Schrein aufgestellt waren. Es gibt ein altes Schwarz-weiß-Foto aus der Nordwürttembergischen Zeitung (NWZ) aus den 1960er Jahren, auf dem eine Heilige Apollonia abgebildet ist (s.u.). Sie wird als Figur aus dem Hürbelsbacher Hochaltar deklariert.

Heilige Apollonia von Alexandria, 1969 gestohlen aus der Hürbelsbacher Kapelle

Diese 85 cm hohe Figur wurde zusammen mit einer weiteren Figur, der barocken, gleich großen  Heiligen Ottilie, 1969 aus der Hürbelsbacher Kapelle gestohlen. Beide Figuren gelten seither als verschollen.

Das Bildwerk der heiligen Apollonia konnte vor seinem Verschwinden noch keinem Ulmer Künstler zugeschrieben werden. Doch gelang der Ulmer Forschung in den vergangenen Jahren u.a. der Nachweis, dass viele Figuren von Zeitblom-Altären aus der Werkstatt des Ulmer Bildhauer Niklaus Weckmann stammten (Teget-Welz). Man darf deshalb vermuten, dass beim Hürbelsbacher Altar diese enge Arbeitsgemeinschaft der beiden Künstler ebenfalls bestanden hatte.
Betrachtet man die oben abgebildete, gestohlene Figur der Apollonia genauer, so scheint sich die These der Zusammenarbeit zwischen Batholomäus Zeitblom und Niklaus Weckmann auch hier zu bestätigen. Obwohl das einzige bisher vorhandene Foto nicht den gewöhnlichen Standards entspicht, so zeigt doch gerade die Gestaltung des Kopfes und des Faltenwurfs im Umhangs der Heiligen Apollonia die für Weckmann typischen Schemata  (Meisterwerke Massenhaft).
Mit dieser Erkenntnis wird gleichzeitig der Weckmann-Forschung ein wichtiges Instrument an die Hand gegeben. Klagte man in der Forschung bisher, dass man das Frühwerk von Niklaus Weckmann nur wage umreißen kann, so lässt sich nun mit der Heiligen Apollonia ein Werk von Weckmann auf einen engen Zeitraum zwischen 1493 und 1496 eingrenzen.

Neue Interpretation zum Hürbelsbacher bzw. Donzdorfer Altar


Durch die Verknüpfung von biographischen Daten aus dem Leben von Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen, ist es gelungen, das Programm des sogenannten Donzdorfer Altares zu entschlüsseln.
Die Außenseite befasst sich mit der Welt des Ritters Ulrich - dargestellt durch die Heiligen Sebastian und Georg - und seiner Verbindung zu Hürbelsbach - dargestellt durch den Heiligen Wolfgang als Kirchenbauer, der dem Kirchenpatron St. Laurentius seine von ihm ausgewählten und vermutlich erbaute Grabkapelle präsentiert.
Es fällt auf, dass der Heilige Wolfgang im Gegensatz zu den anderen drei Heiligen als älterer Mann mit ausgeprägten individuellen Zügen dargestellt ist. Ist es vielleicht möglich, dass sich der Stifter Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen in der Figur des St. Wolfgang abbilden ließ?
Die Innenseite des Altares beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld, in das das Leben eines Menschen eingebettet ist: von der Geburt bis zum Tod und den Erwartungen beim jüngsten Gericht. Ausgehend von dieser Beobachtung verblüfft jedoch die bisher von der Kunstgeschichte vertretene Ansicht vom Aufbau des Altares:

    links: Maria Magdalena - die erste Zeugin des Auferstehung Christi
    links: Ursula - Bitte um einen ruhigen Tod und Beistand gegen die Qualen des Fegefeuers
    rechts: die junge Maria - die Geburt Christi ihrer Cousine ankündigend
    rechts: die ältere Elisabeth - die Geburt ihres Sohnes Johannes d. Täufers ankündigen

Diese bislang vertretene Gliederung basiert auf der Art und Weise der Aufstellung der beiden Bildtafeln von den vier weiblichen Heiligen neogotischen Altar von Donzdorf, wie sie auf der Postkarte von der Donzdorfer Kirche vor 1938 (s.o.) und einer Dokumentation des Landesdenkmalamtes von Baden-Württemberg (s.u.) zu sehen ist.  

https://www.bildindex.de/document/obj00071801?part=3&medium=mi05137g01

Doch parallel zur Außenseite des Hürbelsbacher Altares wurde auch dessen Innenseite bewusst gestaltet. Die Bilder der weiblichen Heiligenfiguren bilden thematisch und gestalterisch jeweils in sich geschlossene Einheiten, wie Blicke und Gestik verraten. Somit entscheidet der von ihnen verkörperte Glaubensinhalt über ihre Position auf der Innenseite des Retabels. Betrachtet man also die Frauen zusammen mit der Bedeutung, die sie für einen Gläubigen verkörperten, dann muss ihre Folge im Hürbelsbacher Altar eine andere gewesen sein:

        links: die junge Maria - die Geburt Christi ihrer Cousine ankündigend
        links: die ältere Elisabeth - die Geburt ihres Sohnes Johannes d. Täufers ankündigen
        rechts: Maria Magdalena - die erste Zeugin des Auferstehung Christi
        rechts: Ursula - Bitte um einen ruhigen Tod und Beistand gegen die Qualen des Fegefeuers

Diese Reihenfolge ist thematisch in sich geschlossen und gleichzeitig das Glaubensbekenntnis des Stifters Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen. 

Der Donzdorfer bzw. Hürbelsbacher Altares im Werk von Bartholomäus Zeitblom und Niklaus Weckmann


Bisher wird die Entstehung des sogenannten 'Donzdorfer Altares' mit um 1490 angegeben. Aufgrund der in diesem Blog zusammengetragenen Fakten kann man seine Entstehungszeit jetzt sehr viel präziser benennen. Der erste Eckpunkt der Datierung ist der Februar 1492. Damals wurde die Pfarrei Hürbelsbach aufgelöst und die Kircheneinrichtung in die Marienkapelle nach Klein-Süßen gebracht. Unmittelbar danach begann Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen mit der Umgestaltung der Hürbelsbacher Kapelle zu seiner Grabkapelle. Dies belegt die bis heute vorhandene Sidler-Glocke von 1493 im Turm der Kapelle, der zweite Eckpunkt in der Datierung. Der dritte Eckpunkt ist das Todesjahr von Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen im Jahre 1496.
Die gesamte neue Ausstattung des Hürbelsbacher Kirchengebäudes muss also zwischen den Jahren 1492-1496 entstanden sein. Ob und in welcher Weise damals das Kirchengebäude auch noch architektonisch verändert wurde, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen.
Vier Elemente lassen sich heute als Teile der dem neuen Zweck angepasst Einrichtung der Kapelle identifizieren.
  • die von Pantaleon Sidler im Jahre 1493 gegossene Glocke
  • das Epitaph von Ulrich II. - heute in St. Martinus Donzdorf (Foto s.o.)
  • das gestohlene Bildwerk der Heiligen Apollonia - Schwester des Heiligen Laurentius (Foto s.o.)
  • die ehemaligen, im 19. Jahrhundert gekürzten Flügel des Altars von Bartholomäus Zeitblom (Fotos s.o.)
Hürbelsbach ist nicht die einzige von Ulrich II. von Rechberg-Hohenrechberg-Heuchlingen ausgestattete Kirche. Auch die von ihm erbaute erste steinerne Kirche auf dem Hohenrechberg besaß eine hochwertige Ausstattung, wie die Beschreibung in der Schwäbischen Chronik von Crusius  aufzeigt. Von dieser Ausstattung zeugt heute noch das große Cruzifix in der Hohenrechberger Kirche, das bis dato Michel Erhart zugeschreiben wird.


Literatur

https://de.wikipedia.org/wiki/Bartholom%C3%A4us_Zeitblom
https://de.wikipedia.org/wiki/Niklaus_Weckmann 
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_von_Regensburg
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienS/Sebastian.htm
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienU/Ursula_von_Koeln.htm
https://www.bildindex.de/document/obj00071801?part=3&medium=mi05137g01- (Donzdorfer Altar)
http://www.inschriften.net/landkreis-goeppingen/inschrift/nr/di041-0125.html#content - Sidlerglocke
http://www.inschriften.net/landkreis-goeppingen/inschrift/nr/di041-0137.html#content - Epitaph


- Grimm, Claus Grimm / Konrad, Bernd, Die Fürstenberg-Sammlungen Donaueschingen. Altdeutsche und schweizerische Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1990, S. 118f
- Meisterwerke Massenhaft.  Die Bildhauerwerkstatt des Niklaus Weckmann und die Malerei in Ulm um 1500, Katalog, hrsg. v. Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, Stuttgart 1993
- Dietlinde Bosch, Bartholomäus Zeitblom - Das künstlerische Werk (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 30), Ulm 1999- Teget-Welz, Manuel, Bartholomäus Zeitblom, Jörg Stocker und die Ulmer Kunstproduktion um 1500, in: Jerusalem in Ulm - Der Flügelaltar aus St. Michael zu den Wengen, hrsg.v. Ulmer Museum, Ulm 2015, S. 10-25, mit weiterführender Literatur.

- Trauchburg, Gabriele von, Pfarr- und Wallfahrtskirche zur Schönen Maria auf dem Hohenrechberg (Kirchenführer), Donzdorf 2016 

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