Freitag, 14. Dezember 2018

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 10.3: Grünbach - St. Peter und das Dorf im 30jährigen Krieg

© Gabriele von Trauchburg


Der Pfad zu den Informationen
Es gibt unterschiedliche schriftlichen Gattungen, mit deren Hilfe historische Ereignisse erklärt werden können. Eher ungewöhnlich ist, dabei auf Heiligenrechnungen - die historischen Bilanzen einer Kirche oder einer Kapelle zurückzugreifen. Weil jedoch diese Rechnungen nahezu lückenlos für die Zeit des 30jährigen Krieges überliefert sind und sonst kaum verwertbares anderes Material zur Verfügung steht, soll der Versuch einer Beschreibung der Ereignisse während des 30jährigen Krieges von 1618-1648 gewagt werden. Die Grünbacher Heiligenrechnungen umfassen ganz traditionell die innerhalb eines Jahres entstandenen Einnahmen und Ausgaben.

Getreide als Hinweis für die Lage im Lautertal während des Krieges
Nach eingehender Suche kristallisiert sich ein einziger Posten auf der Einnahmenseite heraus, anhand dessen sich die Entwicklung der Lage im Lautertal während des Krieges deutlich ablesen lässt. Erstmals tritt dieser Einnahmeposten in der ersten überlieferten Bilanz von 1569 auf. Daraus geht hervor, dass jährlich die fest fixierte Abgabe von einem Malter Hafer - das entspricht rund 130 Liter Hafer - immer innerhalb der Region öffentlich zugunsten der Kapelle St. Peter verkauft wurde. Der erzielte Betrag aus diesem Geschäft wird auf der Einnehmenseite der Bilanz immer einzeln vermerkt. Während des 30jährigen Krieges fiel die Aufgabe, die festgelegte Hafermenge zu liefern, dem Grünbacher Bauern Peter Nagel zu.

Inflation und Deflation als Indikatoren
Wenn wir heute den Fernseher einschalten, dann erklärt uns in regelmäßigen Abständen das Statistische Bundesamt, ob im Lande gerade Inflation - ein Anstieg der Verbraucherpreise -  oder Deflation - ein Abstieg der Verbraucherpreise - herrscht. Ein Abstieg der Preise wird von denjenigen, die die wirtschaftliche Lage beurteilen, überhaupt nicht geschätzt, bedeutet er doch, dass die Wirtschaftsleistung sinkt.
Eine leichte Inflation wird heutzutage nahezu als ideal beurteilt, zeigt sie doch eine regelmäßige Steigerung der Wirtschaftsmacht an. Ein stark ansteigender, vielleicht sogar galoppierender Preisanstieg ist hingegen ein eindeutiger Hinweis auf eine gefährliche Krise, welcher Art auch immer. Diese Erkenntnis machen wir uns nun für die Zeit des 30jährigen Krieges zunutze.

Galoppierende Inflation im Krieg
Und hier kommt wieder die jährliche Abgabe von exakt einem Malter Hafer ins Spiel: in den Heiligenrechnungen ist der Wert, der beim Verkauf des Hafers erzielt wurde, verzeichnet. Im Jahr 1618, als der 30jährige Krieg im weit entfernten Prag aufgrund des sogenannten Fenstersturzes ausbrach, betrug die Summe des verkauften Malters Hafer 2 Gulden und 42 Kreuzer. Diese Summe betrachten wir als Basis für die weiteren Berechnungen. Daran änderte sich auch in den darauf folgenden Jahren nichts. Die Preissteigerung ging erst ab 1621 markant und danach extrem steil nach oben:
    1621 -   3 Gulden 36 Kreuzer    = ein Anstieg um  33 % gegenüber 1618
    1622 -   5 Gulden 15 Kreuzer    = ein Anstieg um  94 % gegenüber 1618
    1623 -   6 Gulden                       = ein Anstieg um 122 % gegenüber 1618
    1624 -   9 Gulden                       = ein Anstieg um 233 % gegenüber 1618
    1625 - 57 Gulden                       = ein Anstieg um 1800 % gegenüber 1618
    1626 - Peter Nagel kann keinen Malter Hafer abliefern   
    1627 - Peter Nagel kann keinen Malter Hafer abliefern
    1628 - Peter Nagel kann keinen Malter Hafer abliefern
Die Entwicklung des Haferpreises im Lautertal entspricht den allgemeinen Kenntnissen über den 30jährigen Krieg und den Vorgängen in der Region im Lauter- und Filstal. Der zunächst nur leichte Preisanstieg verstärkte sich um so schneller, je näher der Krieg rückte. Preistreiber waren die Durchmärsche von Heeren der verschiedenen Kriegsmächte, die mit Kontributionen - geforderte Beiträge zum Unterhalt der Soldaten - von den umliegenden Landschaften finanziert werden mussten.
Die Tatsache, dass Peter Nagel ab 1626 nicht mehr in der Lage war, die jährliche Abgabe von einem Malter Hafer zu leisten, deutet darauf hin, dass es entweder drei Jahre hintereinander Missernten gab oder dass seine Ernten geplündert wurden. Leider verraten die Heiligenrechnungen darüber kein Wort. 

Hafer, Mus und Pferdefutter
Die anderen Einnahmenposten in den Heiligenrechnungen zeigen die sich zuspitzende Dramatik jener Zeit nicht an. Ein Schmid erhielt 1623 für die Anfertigung einer neuen Spitze für den kleinen Kirchturm gerade einmal 40 Kreuzer für Material und Lohn. Ähnlich niedrig bleiben auch die übrigen Ausgaben für Handwerker.
Erst wenn man diese Beobachtungen nun in Beziehung zum exorbitanten Anstieg des Getreidepreises setzt, lässt sich das Ausmaß der Katastrophe erahnen: Weil die Löhne für die Handwerker nicht im gleichen Maße anstiegen wie die Getreidepreise, konnten Handwerker, Tagelöhner und Dienstknechte und -mägde sich kaum noch Getreide kaufen. Dabei war das zu Mus gekochte Getreide damals das Hauptnahrungsmittel. Die einseitige Abhängigkeit von Getreide in der Ernährung hatte jedoch gravierende Folgen: Gab es kein Getreide, gab es auch kein Essen.
Neben den Menschen brauchten auch Tiere den Hafer als Futter. Insbesondere Pferde wurden damit gefüttert. Pferde waren im Lautertal ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, denn sie wurden als Zugtiere auf der wichtigen Verkehrsader durch das Tal - heute die Bundesstraße B 466 - eingesetzt, die Verbindung vom Stuttgarter Raum in Richtung Heidenheim mit den historischen Steigen des Lautertales bei Donzdorf-Unterweckerstell, Grünbach und Weißenstein - den niedrigsten Aufstiegen auf die Alb.
Am oberen Ende der alten Weißensteiner Steige - © GvT

Peter Nagel verkaufte seinen Hafer an die (Tavern)Wirte von Weißenstein und Böhmenkirch. Diese Wirte besaßen das Privileg, Wechselpferde für Reisende bereit zu halten und bei Bedarf zur Verfügung zu stellen. Die Tavernen von Weißenstein und Böhmenkirch stellten die jeweiligen Endpunkte des Albaufstiegs dar.
Die Folgen einer galoppierenden Inflation auf der Lautertal-Route im einzelnen und entlang der Verkehrswege lässt sich leicht nachvollziehen. Erhielten die Tiere nicht ausreichend Futtermittel wurde der gesamte Personen- und Warenverkehr zunächst eingeschränkt und kam schließlich völlig zum Erliegen.  

Der Krieg rückt näher
Das Grünbacher Vermögen der Kapelle stieg kontinuierlich an. Im Jahre 1622 betrug es 64 Gulden, 1623 schon 77 Gulden, 1624 dann 89 Gulden und schließlich 1628 84 Gulden. Der stetige Anstieg in Jahren ohne große Ereignisse rührte von den Zinseinnahmen aus Krediten her. In Krisenjahren trug auch der gesteigerte Getreidepreis entscheidend dazu bei. 
Nach Süddeutschland kam der Krieg Anfang Mai 1622, als die katholische Liga bei Bad Wimpfen gegen den protestantischen Markgrafen von Baden kämpfte. Der Markgraf verlor die Schlacht. Die katholischen Truppen zogen weiter in südlicher Richtung. Auf ihrem Weg  wurden die Soldaten in den Dörfern einquartiert. Die Bevölkerung musste diese ungebetenen Gäste oftmals wochenlang nach großzügiger Vorschrift versorgen. Immer wieder liest man in schriftlichen Unterlagen von ‘unfremder, schwerer Teuerung’ und ‘merklichen Einbußen’. Hinzu kamen Klagen über Plünderungen, Vergewaltigungen und eingeschleppten Krankheiten. Erste Durchmärsche in der Region von Truppen wurden 1624 in den benachbarten Orten Süßen und Donzdorf registriert.
Im September 1625 konnte nur durch die Verlegung von Ulmer Truppen in den Grenzort Großsüßen ein großes Lager der Wallensteinschen Truppen bei Süßen verhindert werden. Laut einer Chronik kam es 1625 zu ersten Fällen von ‘hitzigem Haupt’ mit heftigen Fieberschüben, vereinzelt traten Fälle von Pest auf. In Gingen verstarben 1626 50 Personen durch Hunger, die Pest hatte 132 Menschen hinweggerafft. In Süßen verstarben 56 Menschen an der Pest (Trauchburg, S. 122ff).

Das Näherrücken des Kriegsgeschehens lässt sich auch an den Ausgaben für die Kapelle ablesen. In den Jahren 1625 und 1626 mussten nachfolgende Reparaturen durchgeführt werden: für die Kirchenmauer wurde 1625 Kalk in Schnittlingen hergestellt und ein Maurer musste dafür Steine brechen. Beide Baumaterialien brachte man nach Grünbach, wo der Maurer sie dann verbaute.

Kapelle St. Peter in Grünbach mit dem Überrest der umgebenden Mauer - © GvT

Im darauffolgenden Jahr schaffte die Kapellenverwaltung einen neuen Weihwasserkessel für 48 Kreuzer und eine ‘Porropferkäntlen’ - eine Kanne fürs Opfer auf der Empore - für 30 Kreuzer an. Die Angaben für das Jahr 1625 und 1626 deuten darauf hin, dass die Kirchenmauer beschädigt worden war, der Weihwasserkessel und die Opferkanne zerstört worden waren. Vor allem die beiden letzteren Ausgaben lassen auf eine bewusste Beschädigung schließen. In den beiden nachfolgenden Jahren wurden keine Ausgaben mehr getätigt. Die Kapellenverwaltung hielt das Geld zurück und wollte wahrscheinlich erst einmal die weitere Entwicklung abwarten.

Eine Zeit der trügerischen Ruhe
Im Jahr 1628 zogen 16.000 kaiserliche Soldaten samt Anhang durch unsere Region. Bis 1630 litt die Herrschaft Weißenstein unter deren Einquartierungen. In diesem Zeitraum konnte Peter Nagel weiterhin keinen Hafer an die Kapelle abliefern.
Erst mit dem Abzug der Truppen beruhigte sich die Lage kurzfristig, so dass Peter Nagel 1631 seine gesamten Rückstände tilgen konnte. Für die 5 Malter und 6 Fuder Hafer wurden in jenem Jahr 31 Gulden als Einnahmen erzielt. Längst fällige Zinsen konnte er ebenfalls zurückzahlen.
Von diesem Geld ließ man sofort vom Zimmermann eine neue Kirchentür für 40 Kreuzer anfertigen. Zusätzlich beauftragte der Kirchenpfleger einen Schmied, diese zu beschlagen, und der Handwerker erhielt dafür 30 Kreuzer. Außerdem benötigte man Steine für deren Einbau.

Ehemaliger Haupteingang der Grünbacher Kapelle - © GvT

Ein Jahr später konnte vom Malter Hafer eine Summe von 4 Gulden und 30 Kreuzer erzielt und die Glockenseile ausgetauscht werden. Der Getreidepreis fiel deutlich erkennbar.

Die Schreckensherrschaft der Schweden
Im Jahre 1633 rückten die protestantischen Schweden nach Süddeutschland vor. Der katholische Herrschaftsinhaber, Veit Ernst von Rechberg-Weißenstein, zog es deshalb vor, seine hiesigen Herrschaften zu verlassen, denn die Schweden genossen keinen guten Ruf in Bezug auf die Behandlung ihrer Glaubensgegner. Ich denke, jeder hat schon einmal von der Foltermethode des Schwedentrunks gehört.
Als die Schweden dann tatsächlich die Herrschaft Weißenstein besetzten, forderten sie Veit Ernst auf, in seine Herrschaft zurückzukehren und sich ihnen und dem protestantischen Glauben anzuschließen. Dieses Ansinnen lehnte der überzeugte Katholik Veit Ernst kategorisch ab. Somit wurde die gesamte Herrschaft Weißenstein - und damit auch Grünbach - im Mai 1633 an den schwedischen Oberstleutnant Jacob Maximilian von Bonheim, und nach dessen Tod dem General Major von Streifer 1633 geschenkt. Ob diese schwedischen Offiziere den Versuch unternahmen, den Protestantismus in der Herrschaft Weißenstein einzuführen, lässt sich bisher schriftlich nicht belegen.
Auf Grünbach hatte dieser Herrschaftswechsel zunächst anscheinend keinen Einfluss. Dieser Eindruck ergibt sich aus den Heiligenrechnungen, denn darin finden sich keine außergewöhnlichen Vermerke. Ungestört konnten die Zinsen verrechnet werden, der Rest aus dem Vorjahr wurde in die Bilanz mit eingerechnet. Auffallend ist nur der erhöhte Bedarf an gebrochenen Steinen und Kalk, der von eigens engagierten ‘Mörtelrührern’ weiter verarbeitet wurde, um dann vom Maurer zu einer Kirchenmauer aufgebaut zu werden. 
Die schwedische Herrschaft währte nur kurz. Die Schweden und ihre Verbündeten wurden im September 1634 in der Schlacht von Nördlingen geschlagen und anschließend zurückgedrängt. Auf ihrem Rückzug verwüsteten die Soldaten alles, was auf ihrem Wege lag. Die Lebensmittel wurden aufgezehrt oder entwendet. Und im folgenden Winter litt die Bevölkerung zuerst unter einer schweren Hungersnot und dann unter der Pest, die die nachfolgenden kaiserlichen Truppen eingeschleppt hatten (Seehofer, S. 54f).
Grünbach scheint diesen Sturm gut überstanden zu haben, denn die Heiligenrechnung wurde wie üblich erstellt. Auch der Preis für einen Malter Hafer ist im Gegensatz zum Jahr 1624 und 1631 mit 4 Gulden und 30 Kreuzern nicht übermässig hoch. Auffällig ist nur, dass gleich drei neue Kreditnehmer zu verzeichnen waren. 

Die Pest-Epidemie und ihre Folgen
Zwischen Ende 1634 und August 1635 erlagen mehr als die Hälfte der Bewohner Nenningens und Weißensteins der Pest-Epidemie. In Treffelhausen, Schnittlingen und Böhmenkirch lebten kaum noch Menschen, Pferde gab es überhaupt keine mehr, vermeldete der Weißensteiner Vogt seinem rückkehrenden Herrschaftsinhaber Veit Ernst I. Diese Beurteilung erklärt zugleich, warum es für die Zeit von 1635 bis 1641 keine Bilanzen für die Grünbacher Kapelle gibt.
In den Jahren bis 1645 herrschte relative Ruhe, d.h. es kam zu keinen direkten Kriegshandlungen im süddeutschen Raum, doch mussten große Summen für Kriegsbeitragszahlungen geleistet werden. Dennoch gelang es vielen Herrschaften, Dörfern und Städten, in dieser Zeit den Wiederaufbau in die Wege zu leiten.

Quellen und Literatur
GRFAD, Heiligenrechnungen von St. Peter, Grünbach 1618-1648
Seehofer, Josef, Stadt Lauterstein in Vergangenheit und Gegenwart, Lauterstein 1974
v. Trauchburg, Gabriele von, 915-2015. 1100 Jahre Gemeinde Gingen an der Fils - die Perle des Filstals, Gingen 2015

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Geschichte(n) von Gingen/Fils - Teil 1.3: Die erste bekannte Gingener Dorfherrschaft: Königin Kunigunde

© Gabriele von Trauchburg Als zweite Frau möchte ich Ihnen die deutsche Königin Kunigunde vorstellen. Sie ist diejenige Königin, die ih...