Mittwoch, 19. Dezember 2018

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 10.4: Grünbach - Die Kapelle als Kreditgeber

© Gabriele von Trauchburg


Im Post über die Grünbacher Kapelle und den 30jährigen Krieg zog ich die Heiligenrechnungen - die Bilanzen der Kapellenverwaltung - als Grundlage für eine Beschreibung der Ereignisse zwischen 1618 und 1648 heran, eine erstmalige Vorgehensweise mit erstaunlichen Ergebnissen (Teil 10.3).
Diese regelmäßig erstellten Abrechnungen enthalten auf der Einnahmenseite unter anderem Eintragungen, die man an dieser Stelle nicht erwarten würde: Es handelt sich um von der Kapellenverwaltung gewährte Kredite und die für sie daraus resultierenden Zinseinnahmen. Doch wie kam es dazu?

Geldwirtschaft und Zins im Reich

Im Laufe des Mittelalters vollzog sich in den großen Handelsmetropolen ein unaufhaltsamer Wandel. Hatte man zunächst einfach nur Ware gegen Ware getauscht, so entwickelte sich der Handel dahin, dass Waren gegen Geld verkauft und gekauft wurde. Im 16. Jahrhundert entstanden in den Städten große Handelsgesellschaften mit Bankgeschäften, die die aufblühende Geldwirtschaft noch schneller vorantrieben. 
Das Verleihen von Geld gegen Zins wurde im 12. und 13. Jahrhundert von der Kirche offiziell verboten. Doch schon von Beginn an umging man dieses kirchliche Verbot. Statt des Zinses verlangten der Templerorden und Bankiers nun einen Zuschlag auf die geliehene Summe. Ab 1500 erlaubten mehrere Reichsabschiede (Gesetzesvereinbarungen für das Deutsche Reich) den  auf 5 % festgesetzten Zins - zunächst für den Rentenkauf und dann stillschweigend auch für Darlehen. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde schließlich die Verzinsung eines Kredites mit 5 % offiziell erlaubt. 

Geldwirtschaft auf dem Land

Die Infrastruktur der Banken blieb jedoch zunächst auf die Städte beschränkt, obwohl auch in den ländlichen Regionen der Geldbedarf merklich anstieg. Doch wie sollte diese Nachfrage befriedigt werden? Man benötigte dazu eine Institution, die über die notwendigen Geldmittel und  einen Verwaltungsapparat verfügte.
Mit der Zeit entwickelten sich zwei Kreditgeber: die katholische Kirche und deren Bruderschaften. Die Mitgliedsbeiträge zu Bruderschaften dienten zunächst dazu, nur die eigenen Mitglieder im Bedarfsfall mit Darlehen zu versorgen, um ihre wirtschaftliche Not zu lindern. Doch im Laufe der Zeit dehnten die Bruderschaftsverwaltungen die Kreditvergabe auch auf Nicht-Mitglieder aus.
Eine ähnliche Beobachtung lässt sich auch für die Kredite aus kirchlicher Hand machen, wie sich am Beispiel von Grünbach, aber auch von Unterweckerstell wunderbar aufzeigen lässt. Im Lautertal sind es gerade die Verwaltungen der Kapellen, die die Möglichkeit der Kreditvergabe nutzten. Auf diese Weise entstanden hier Zentren, die kleine und große Kredite vergaben und damit letztlich die Ökonomie auf dem Land sicherten und dann ankurbelten.
Nach der Welle der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der das Kirchenvermögen von staatlicher Seite eingezogen wurde, brach das System der Kreditvergabe auf dem Lande zusammen. Erst mit Hilfe der Genossenschaftsidee des Kommunalbeamten und Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) konnten erneut Strukturen zur Wirtschaftsbelebung auf dem Land aufgebaut werden.
Wie bedeutend diese von kleinen Gruppen organisierten Kleinkredite sich auf arme Regionen auswirken können, zeigt die Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaft an Muhammad Yunus für seine Idee von Mikrokrediten im Jahre 2006.

Die Kapelle St. Peter in Grünbach als Bank

Die ursprüngliche Vermögensbasis einer Kirche oder Kapelle bestand aus Stiftungen in Form von Äckern oder Wiesen. Die daraus erwirtschafteten Erträge sollten den Unterhalt des Gebäudes und der darin gehaltenen Gottesdienste decken.
Betrachtet man die aus den landwirtschaftlichen Flächen erwirtschafteten Erträge, so erkennt man ziemlich schnell die Problematik der daraus resultierenden Einnahmen. Der Wert der Naturaleinnahmen waren auf Generationen hinweg festgelegt, blieben also ständig gleich. Doch seit dem Mittelalter breitete sich die Geldwirtschaft immer stärker aus und erreichte auch die überwiegend ländlichen Gebiete. Das bedeutete, dass in Zeiten von Inflation sogar der Wert der Naturaleinnahmen schrumpfte.  
Eine neue Möglichkeit von Einnahmen eröffnete das Recht des Geldverleihs. Die Zinsen waren zwar festgeschrieben, so dass die Verantwortlichen kein Risiko eingingen. Die Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Geldmenge und die geforderten Zinszahlungen sorgten dafür, dass die Einnahmen schnell und stetig anstiegen. Die Geldwirtschaft konnte sich nun auch auf dem Land ausbreiten.
Den ersten Hinweis auf eine Kreditvergabe findet sich bereits in der ersten erhaltenen Grünbacher Heiligenrechnung aus dem Jahre 1564. Fortgeführt wurde diese neue Einnahmequelle bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
Die Höhe der Kredite variierten, wie man in der Heiligenrechnung von 1599 erkennen kann: Dort waren die einzelnen Kreditnehmer verzeichnet  - u.a. Michael Aubelin mit 30 Gulden, der junge Hans Demer aus Donzdorf mit 40 Gulden, Hanns Menrath mit 10 Gulden und Jerg Plessing ohne Angabe der Kredithöhe.
Im 17. und 18. Jahrhundert konnte mehrfach in den Heiligenrechnungen ein Überschuss von 100 Gulden erreicht werden. Die Überschüsse wurden oftmals zur Renovierung, Restaurierung oder Neugestaltung der Grünbacher Kapelle verwendet.  

Quellen und Literatur

- GRFAD - Heiligenrechnungen von St. Peter, Grünbach
- https://de.wikipedia.org/wiki/Zinsverbot
- https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Raiffeisen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Muhammad_Yunus

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