Montag, 1. Januar 2018

Der italienische Barock in der Wallfahrtskapelle Hohenrechberg - Teil 10: Das Theatrum Sacrum

Die Wallfahrtskirche Hohenrechberg

Der italienische Barock in der Wallfahrtskapelle Hohenrechberg

© Gabriele von Trauchburg


Teil 10: Das Theatrum Sacrum



Die neue Idee des Gianlorenzo Bernini

Der berühmte römische Bildhauer und Architekt Gianlorenzo Bernini formte in den 1650er und 1660er Jahren die Idee, die bis dahin zweidimensionale Darstellung des Heilsgeschehen dadurch lebendiger zu machen, dass er eine dritte Dimension einführte. Zu diesem Zweck begann er den Altar in den Chorraum hereinzurücken und die gesamte Umgebung des Altares in die Darstellung des Heilsgeschehens mit einzubeziehen. Die Grundlagen des Theatrum Sacrum waren gelegt. Erster Höhepunkte dieser neuen Gestaltungsideen ist die Kirche Sant'Andrea al Quirinale in Rom.

Berninis Ideen und ihre Umsetzung durch Prospero Brenno

Prospero Brenno kannte ganz offensichtlich Berninis neue Ideen zur Gestaltung von Altären. Doch in Hohenrechberg besaß er erstmals die Gelegenheit, diese auch anzuwenden. Betrachtet man den Altarraum beim Betreten der Kirche, dann gewinnt man den Eindruck, dass er vom Boden bis zum Engel, der den großen Vorhang hält, aus einem zusammenhängenden Stück gearbeitet ist. Sogar die drei über dem Altar an der Decke schwebenden, die Szenerie beobachtenden Engel bilden zusätzlich den erweiterten Altarraum.  

© GvT

Gianlorenzo Bernini ist bei seinen Altarprojekten immer davon ausgegangen, dass es einen idealen Standort gibt, von dem aus das dargestellte Heilsgeschehen sich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügt. Verändert der Betrachter seine Position innerhalb des Kirchenraumes, entdeckt er neue Aspekte des dargestellten Geschehens.
Um diesen Effekt zu erzielen, arrangierte Gianlorenzo Bernini den Chorraum auf völlig neue Weise. Zunächst rückte er den Altar deutlich in den Chorraum herein. Diesem Gestaltungsprinzip folgte auch Prospero Brenno in Hohenrechberg.

© GvT
Ein Blick hinter den Altar zeigt deutlich den Abstand zwischen der Kirchenmauer und dem Altar. Der Altar wird durch zwei, von der Mauer ausgehenden Balken gestützt.

© GvT

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Auf der Kirchenmauer selbst ist der große, heute in rot gefärbte Vorhang aufgearbeitet, der den Blick in den Himmel mit Gottvater und der Taube als Symbol für den Heiligen Geist öffnet.
Die vier musizierenden Engel auf dem Altar bilden das optischen Bindeglied zwischen dem auf der Wand aufgetragenen Blick in den Himmel und dem eigentlichen Altar mit dem Gnadenbild der Schönen Maria vom Hohenrechberg.
Der Eindruck eines Theatrum Sacrums wird noch durch die beiden
Logen des Oratoriums an der rechten Seite verstärkt. 


Die kunsthistorische Bedeutung des Hohenrechberger Theatrum Sacrum

Der 1689 gestaltete Chorraum mit Hochaltar und Oratorium bildet ein Unikum im Werk von Prospero Brenno.
Die Gestaltung des Chorraumes in der Münchner Theatinerkirche (1673-1675) folgt noch den traditionellen Vorstellungen. Die Annakapelle in der Franziskanerkirche Salzburg (1680) bot nicht genügend Raum, um die neuen Ideen von Gianlorenzo Bernini umzusetzen. Eine Anwendung der innovativen Vorstellungen Berninis findet sich auch nicht in der Klosterkirche Benediktbeuern (1687) oder in der Klosterkirche Weggental (1688). Als Grund hierfür sind wohl eher die Wünsche der jeweiligen Bauherren zu vermuten.
Prospero Brenno hatte also nur beim der Hohenrechberger Altar die neuartigen Ideen anwenden können. Da es vor 1688-89 keinen anderen Vertreter des italienischen Barocks und Verfechter von Gianlorenzo Berninis Ideen in der Umgebung von Hohenrechberg gab, blieb das hier erstmals umgesetzte Theatrum Sacrum einzigartig. Es ist damit das ältestes seiner Art wohl in ganz Süddeutschland.
Wie früh das Hohenrechberger Theatrum Sacrum entstand, lässt sich daran erkennen, dass die heute bekanntesten Heiligentheater erst 30 bis 50 Jahre später entstanden. Zu den bekanntesten zählt der Hochaltar des Klosters Weltenburg von den Gebrüdern Asam.

Chor und Hochaltar der Klosterkirche Weltenburg, 1723-24 - © GvT

Die Rezeption von Brennos Altargestaltung

Brennos Gestaltung des Hohenrechberger Hochaltares wirkte sich in der Folgezeit Wirkung auf die Gestaltung von Altären in der unmittelbaren Nachbarschaft aus.

Winzingen
Die Winzinger Kirche St. Sebastian und Rochus war 1619 - also gerade zu Beginn des 30jährigen Krieges - von dem Graubündner Baumeister Anton Serro erbaut worden. Im Jahre 1694 - also 5 Jahre nach Abschluss der Arbeiten in Hohenrechberg - wurde sie umgestaltet.
Die künstlerische Verbindung zur nur wenige Kilometer entfernten Wallfahrtskirche Hohenrechberg findet sich bis heute in einigen Details.

 
Engel als Schmuck eines Kapitels - inspiriert von den Engeln der Kapitelle von Hohenrechberg  - © GvT

Kanzel mit Engelchen und einer aus Akanthusblättern herausragenden Traube, 1917 - © GvT

Die künstlerische Beeinflussung bei der Umgestaltung der Winzinger Kirche durch den italienischen Barock von Hohenrechberg tritt am Hauptaltar zutage.

Rest des ehemaligen Hochaltars, 1694 - © GvT
Bei der Neugestaltung des Winzinger Hochaltares wurde die Idee vom sich öffnenden Vorhang, der den Blick auf die wichtigsten Details der Heilsgeschichte frei gibt, aufgegriffen. Im Zentrum der Darstellung steht heute ein Gemälde, das erst in späterer Zeit seinen Platz hier fand.

Lauterstein-Weißenstein
Aus den Heiligenrechnungen der Wallfahrtskirche Hohenrechberg kann man entnehmen, dass bei der Grundsteinlegung 1686 der junge Gaudenz von Rechberg-Weißenstein anwesend gewesen war. Er konnte also persönlich die Entwicklung der Kirche miterleben. Zudem war er ein enger Vertrauter des bayerischen Kurfürsten Maximilian Emanuel, der in denjenigen Zimmern in der Münchner Residenz lebte, die Prospero Brenno ausgestattet hatte. Es verwundert daher nicht, dass Gaudenz von Rechberg die Werke Prennos als Inspirationsquelle für den Weißensteiner Hochaltar nutzen ließ. 

Hochaltar in der Stadtpfarrkirche Weißenstein - © GvT
Wie in der Wallfahrtskirche Hohenrechberg bestehlt die Komposition des Weißensteiner Hochaltares aus zwei Ebenen - dem Hochaltar unter Einbeziehung des Deckengewölbes.

© GvT

Wie schon in Hohenrechberg und in Winzingen erhält der Gläubige durch einen geöffneten Vorhang einen Blick in den Himmel, aus dem sich der Heilige Geist ergießt.


Quellen und Literatur

- Felix Ackermann, Die Altäre des Gianlorenzo Bernini - das barocke Altarensemble im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation, Petersberg 2007
- Gabriele von Trauchburg, Lauterstein - Weißenstein, Nenningen (Kirchenführer), Lauterstein 2015
- Heribert Hummel, Die Kirchen der Stadt Donzdorf (mit Winzingen), Weißenhorn 1995


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