Montag, 1. Januar 2018

Der italienische Barock in der Wallfahrtskapelle Hohenrechberg - Teil 6: Prospero Brenno und seine stilistische Handschrift - Exotische Früchte in aufwändigen Gebinden

Die Wallfahrtskirche Hohenrechberg

Der italienische Barock in der Wallfahrtskapelle Hohenrechberg

© Gabriele von Trauchburg 


Teil 6: Prospero Brenno und seine stilistische Handschrift - Exotische Früchte in aufwändigen Gebinden


Beim Durchforsten der Literatur zu Prospero Brenno wird immer wieder deutlich, dass man bisher nicht in der Lage war, die Arbeiten von Prospero Brenno eindeutig zu identifizieren. Dies beginnt in der Theatinerkirche in München und setzt sich in der Klosterkirche Benediktbeuern fort. In beiden Fällen wird Brenno als untergeordneter Mitarbeiter betrachtet - in München als Mitarbeiter von Carlo Moretti Brentano und in Benediktbeuern von Niccolò Perti. Was war also jeweils Brennos Anteil bei der Gestaltung der beiden Kirchen?
Ausgangspunkt bei der Lösung dieser Fragestellung kann allein die Wallfahrtskirche Hohenrechberg sein, denn hier arbeitete Prospero Brenno entweder allein oder in engstem Zirkel mit seinen Söhnen und/oder Brüdern. Dies bedeutet, dass man hier die stilistische Handschrift von Prospero Brenno zu identifizieren vermag. Mit dem in dieser Kirche vorhandenen künstlerischen Repertoire sollte es möglich sein, seine Rolle sowohl in München und Benediktbeuern weiter zu erhellen. Zudem gibt es Orte, an denen bislang die Stuckatoren unbekannt sind - wie in der Klosterkirche von Tegernsee, die Arbeit jedoch sehr stark an Brenno erinnert. Möglicherweise helfen die hier neu zusammengetragenen Erkenntnisse weiter.

Mediterrane Flora auf 707 Metern über dem Meeresspiegel

Wenn man die Wallfahrtskirche zur Schönen Maria auf dem Hohenrechberg erstmals betritt, dann fallen zuerst die vielen Engel in unterschiedlichen Größen ins Auge. Erst nach und nach entdeckt man eine Fülle von mediterranen Pflanzen und Früchten. Sämtliche der im Langhaus der Wallfahrtskirche und an der besonders üppig ausgestatteten Kanzel zu entdeckenden Früchte sind für uns moderne Betrachter eine Selbstverständlichkeit. Wir finden sie beinahe täglich im Gemüseregal bei Fachhändlern und in Supermärkten. Für die ersten Betrachter nach Abschluss der Bauarbeiten 1689 müssen diese exotischen Früchte hingegen der Inbegriff vom Garten Eden gewesen sein. Überall konnte man sie finden, an den Kapitellen, über den Fenstern und besonders üppig, sozusagen in Reichweite am Kanzelkorb. Brenno hat die Früchte in unterschiedlichen Formen zusammengefügt.

Die Fruchtgirlande


Die Hohenrechberger Kanzel von 1689 - © GvT 


Zentrale Fruchtgirlande an der Hohenrechberger Kanzel  - © GvT

Die mittlere der prächtigen Fruchtgirlanden an der Hohenrechberger Kanzel ist kompakt gestaltet. Doch - was für Obstsorten sind das? Auf drei Ebenen sind scheinbar die unterschiedlichsten Früchte und Rosenblüten ineinander verflochten. Die unterste Ebene zeigt - von links nach rechts - eine aufgeschnittene Passionsfrucht, einen geöffneten Granatapfel und vier nebeneinander in ihrer Schale angeordneten Maronen. In der mittleren Ebene erkennt man einen Pfirsich, eine Rosenblüte, eine große Traube, eine weitere Rose und eine goldene Quitte oder Zitrone. Auf der obersten Ebene findet man zwei Äpfel, eine Artischocke, zwei Rosenblüten - getrennt durch ein Blatt, eine weitere Artischocke und einen Pfirsich. Gehalten wird die Fruchtgirlande von zwei zusammengebundenen Akanthusblatt-Büscheln.

Das Fruchtgebinde

Auf jedem der beiden Fenster in den Querarmen sitzt ein Putto. Der hält in seinen beiden Händen je ein Fruchtgebinde, das auf der Fensterrundung zu liegen kommt.

 © GvT

Wie schon bei der Girlande werden die Gebinde durch ein Bündel von Akanthusblättern gehalten. Auf der einen Seite strömen Trauben, Äpfel, Pfirsiche, Birnen, eine Sonnenblume und mehrere Rosenblüten aus den Gebinden.

© GvT


Auf der anderen Seite erkennt man außer den gerade genannten Früchten noch Maronen und einen Granatapfel. 

Einzelne Früchte als Bestandteil der Kompositkapitelle 

Zu den außergewöhnlichsten Details der Wallfahrtskirche Hohenrechberg gehören ihre Kapitelle. 
Kapitell mit Melone - © GvT
Kapitell mit Esskastanien - © GvT

 









Die Kapitelle besitzen einen gleichförmigen Aufbau. Aus jeder Ecken eines Kapitells wächst ein üppiges Akanthusblatt hervor. Im Raum dazwischen liegt eine Rosette aus kleinen Akanthusblättern, auf der eine Frucht liegt. Die Frucht wird von einem kleinen Putto mit ausgebreiteten Flügelchen bewacht.
Zahlreiche Früchte werden auf den Blattrosetten eines Kapitells präsentiert: die beiden Fotos zeigen eine Melone (links) und Maronen (rechts). Weiter entdeckt man Äpfel, Pfirsiche, einen Granatapfel, einen Wirsing (oder Welschkraut) und eine Sonnenblume.

 
  Bündel an Kapitellen mit einem Bund Spargel, einer Apfelquitte, einer Feige und einer Artischocke - © GvT

Das Bündel aus Pilastern mit Kapitellen im nordöstlichen Bereich der Vierung ist eines der beeindruckendsten Details in der Wallfahrtskirche Hohenrechberg. Die kleinen Putti präsentieren hier ihren Betrachtern weitere mediterrane Köstlichkeiten - einen Bund Grünspargel, einen Apfel oder eine Apfelquitte, eine dunkelhäutige Feige und eine Artischocke

Das Früchterepertoire in Hohenrechberg

Sämtliche der in Hohenrechberg präsentierten Früchte wachsen im Mittelmeerraum oder im Tessin, der Heimat von Prospero Brenno
  • Zitrone
  • Granatapfel
  • Melone
  • Pfirsich
  • Birne
  • Quitte
  • Trauben
  • Maronen und 
  • Äpfel
Das gleiche gilt für die abgebildeten Gemüsesorten.
  • Artischocke, 
  • ein Bund Grünspargel und 
  • Wirsing oder Welschkraut.
Früchte und Gemüsesorten sollen dem Betrachter die Fülle von Gottesgaben aufzeigen. Diese Darstellungen entstanden in Hohenrechberg 1688, d.h. drei Jahre nach einer verheerenden Hungersnot. 

Die exotischen Früchte als Kennzeichen für Prospero Brennos Schaffen

Die in Hohenrechberg abgebildeten, naturnah gestalteten Früchte, Blüten und Gemüsesorten als Einzelstücke oder in Form von Girlanden oder Gebinden lassen sich als Beleg für die Arbeiten von Prospero Brenno verwenden. Früchte, Blumen und Gemüsesorten sind immer wiederkehrende Elemente in seinem Werk, wie nachfolgend anhand seines Schaffens in chronologischer Abfolge aufgezeigt wird.
  © GvT










München (1673-1675): Es finden sich unzählige Fruchtgirlanden und -gebinde im gesamten Gotteshaus der Theatinerkirche - vor allem an prominenter Stelle: als Abschluss des Hauptaltars im Chorgewölbe. Deutlich lassen sich Äpfel, Melonen, Maronen, Granatapfel und Pfirsiche in den Fruchtgirlanden und -gebinden erkennen. Sie sind in ähnlich naturnaher Gestaltung ausgeführt wie viele Jahre später in Hohenrechberg (1688-89). Beachtenswert sind zudem die Formen der Fruchtgebinde - länglich schmal oder kurz und kompakt.




© GvT









Salzburg (1679-1680):  Die Annenkapelle in der Franziskanerkirche von Salzburg wird bisher einem Paolo Brenno zugeschrieben, doch die stilistischen Merkmale sind diejenigen des Prospero Brenno - üppige Fruchtgirlanden mit Äpfeln, Trauben, Melonen, Wirsing Spargel ... - zudem dekoriert mit Sonnenblumen und Rosen.








Tegernsee (ab 1678):
Die ehemalige Kloster-und nunmehrige Pfarrkirche St. Quirinus wurde ab 1678 nach Plänen von Enrico Zucalli errichtet. Zucalli und Prospero Brenno kannten sich bereits aus München, denn jener hatte 1673 die Baustelle der Münchner Theatinerkirche übernommen, und ab diesem Zeitpunkt mit Prospero Brenno bis zu seinem Wechsel auf die Baustelle der Münchner Residenz 1675 zusammengearbeitet.
Die gesamten Stuckaturen in der ehemaligen Klosterkirche Tegernsee weisen deutliche Parallelen zu den bereits bekannten Arbeiten von Prospero Brenno auf. Überall erkennt man Fruchtgebinde im Bereich der Kuppel und im Deckenraum des Langhauses.
In der Forschung sind die ausführenden Künstler nicht bekannt. Doch aufgrund seiner spezifischen stilistischen Handschrift kommt Prospero Brenno hier als Stuckateur durchaus in Frage.

Benediktbeuern (1683-1686)
Zwischen 1683 und 1686 ist Prospero Brenno als Stuckateur - gemeinsam mit Niccolò Perti - in der Klosterkirche Benediktbeuern nachgewiesen. Offensichtlich kehrte Brenno ein zweites Mal dorthin zurück, als er 1689 dort das Refektorium mit Stuckaturen ausstattete.


Ausschnitt aus der Decke der Klosterkirche Benediktbeuern - © GvT
Schon beim ersten Blick ins Langhaus der Kirche entdeckte man - wie in Tegernsee - unzählige Fruchtgebinde, die das Deckengewölbe ausfüllen. Die Früchte sind detailliert dargestellt und fein ausgearbeitet. Deutlich erkennt man auf dem Foto im mittleren Gebinde den Bund Spargel, daneben eine Artischocke und eine Melone. In den beiden größeren Gebinden entlang der Kreuzgrate erkennt man noch Maronen, Granatäpfel, Äpfel und Trauben sowie Sonnenblumen und Rosen.
Bisher gilt in der Forschung die Meinung, dass die besonders gelungenen Stuckaturen Niccolo Pertì zuzuschreiben sind, während Prospero Brenno die minderwertigen anfertigte. Bisher wurde jedoch keine Grundlage für diese Forschungsmeinung ausgearbeitet. Die Zuschreibung an Pertì erfolgte wohl, weil sein Name bekannter als der von Brenno ist.  



  © GvT
Weggental (1688)

Wie in Hohenrechberg war auch bei der Wallfahrtskirche Weggental der Vorarlberger Valerian Brenner als Baumeister tätig. Prospero Brenno stattete gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Paolo und Giulio Francesco das Langhaus mit seinen wandständigen Pfeilern, Kapitellen und Gesimsen aus. Die Kapitelle sind ähnlich wie diejenigen in Hohenrechberg gestaltet. Der Unterschied besteht darin, dass aufgrund der Größe der Kapitelle der Engel nicht nur eine, sondern mehrere, zu einer kleinen Girlande zusammengefasste Früchte präsentiert.
Offensichtlich besaßen Prospero Brenno und Valerian Brenner nach Hohenrechberg nun auch in Weggental eine ähnliche Arbeitsverbindung wie zuvor Brenno und Zucalli in München und möglicherweise auch in Tegernsee. Bisher konnte noch nicht abschließend geklärt werden, ob nicht auch der Chorraum von Prospero Brenno und seinen Söhnen gestaltet wurde. Der 'Blick in den Himmel' im Chorgewölbe - eine weitere, nahezu gleichzeitige Interpretation dieses Themas nach Hohenrechberg - und einzelne Putti legen diese Vermutung durchaus nahe.

Birenbach (1689)
Wie in der Wallfahrtskirche Hohenrechberg war Valerian Brenner auch der Baumeister in der benachbarten Wallfahrtskirche Birenbach. Ein drittes Mal arbeitete also der Baumeister mit dem Stuckateur und Bildhauer Prospero Brenno zusammen.
Von der ursprünglichen Stuckausstattung ist heute nichts mehr erhalten. Die nun in der Kirche vorhandenen Stuckelemente sind denen von Hohenrechberg nachempfunden.
Einen Hinweis darauf, dass die Kirche einst von Prospero Brenno ausgestattet wurde, findet sich heute an anderer Stelle - nämlich an der Kanzel - und wird später noch thematisiert.

Klosterkirche Weyarn (1687-1693)
Die Baugeschichte des ehemaligen Augustinerchorherrenstifts konzentriert sich auf den Baumeister und die lange nach der Errichtung entstandenen Stuckaturen von Johann Baptist Zimmermann und die Skulpturen von Franz Ignaz Günther.
Keine weitere Erwähnung finden die Hoch- und die Seitenaltäre. Betrachtet man sie genauer, so entdeckt man für Prospero und Francesco Brenno stilistisch typische Elemente wie Fruchtgirlanden am Hochaltar, Fruchtgebinde an den Seitenaltären, zudem noch für Francesco typische Elemente wie Vasen und Füllhörner mit Früchten. 

Bedeutung der Früchte im Werk von Prospero Brenno in ihrer chronologischen Entwicklung 

Die Symbolik der von Prospero Brenno angefertigten Fruchtgirlanden und -gebinde in den einzelnen Orten muss wohl unterschiedlich interpretiert werden.
Im Würzburger Rathaus besaß die Ausstattung repräsentativen Charakter. Sie zeigte das Selbstbewusstsein der Ratsherren vor allem gegenüber dem Würzburger Bischof.
In der Münchner Theatinerkirche diente die gesamte Austattung nur einem Zweck: Die Stiftung des kurbayerischen Herrscherpaares Ferdinand Maria und Henriette Adelaide sollte Ausdruck ihrer Dankbarkeit für die Geburt eines gesunden Thronfolgers und dem Lob Gottes dienen. Der Baumeister sollte zudem die Ideale des Theatinerordens in München in Form gießen.
Die Beschäftigung Brennos in der Residenz in München diente der fürstlichen Repräsentation aber auch der Lebensfreude und der kulturellen Ausdrucksweise der vom 30jährigen Krieg nicht in schwere Mitleidenschaft gezogenen italienischen Kultur.

Dem Lob Gottes dienten die Ausgestaltungen der Kirchen von Salzburg, Tegernsee und Benediktbeuern. In die Gestaltung von Hohenrechberg flossen zwei Überlegungen mit ein. Zum einen die Stiftung für die glückliche Rückkehr aus dem Krieg gegen die Türken auf dem Balkan, verbunden mit der Dankbarkeit, dass Mitteleuropa der Islamisierung entgangen war. Zum anderen entstand die Kirche kurz nach einer verheerenden Hungersnot zwischen 1680 und 1685. Die Darstellung der vielen exotischen Früche in Verbindung mit dem Blick in den Himmel musste den Betrachtern Trost und Motivation für ihren schweren Alltag sein. 

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