© Gabriele von Trauchburg, Juni 2017
In (Groß)Süßen, also demjenigen Teil des Dorfes, das auf der südlichen Seite der Fils gelegen war, hatte die Reichsstadt Ulm die Dorfherrschaft inne, das Patronatsrecht jedoch lag seit 1267 beim Kloster Adelberg.
Das Süßener Patronat - eine Schenkung an das Prämonstratenserkloster Adelberg
Am 4. Januar 1267 schenkte Graf Ludwig von Spitzenberg mit der Einwilligung seines Sohnes Eberhard um ihr Seelenheil und das ihrer Vorfahren willen das Patronatsrecht der Kirche Süßen an das 1178 gegründete Prämonstratenserkloster Adelberg. Dieses Recht hatte dem Schenkenden und seiner Familie von alters her zugestanden. Die Schenkung umfasste nicht nur das Patronatsrecht im engeren Sinne, sondern auch die zugehörigen Besitzungen und deren Rechtstitel. Die Urkunde wurde in Kuchen ausgestellt und von mehreren Zeugen - Graf Ulrich von Helfenstein, seinem Bruder - der Dompropst von Augsburg - sowie mehrere Ritter, darunter Ruker und Hugo von Gruibingen, Friedrich Birker, Friedrich von Böhringen sowie Ritter Gossold und weiteren glaubwürdigen Männer - bestätigt.
Erbstreit um das Süßener Patronat
Ab dem Ende des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts zog sich ein Tauziehen um das Süßener Patronat hin. Die Helfensteiner waren Erben der Grafen von Spitzenberg. Die Auseinandersetzungen setzten mit dem Tod von Ulrich VII. von Helfenstein im Jahre 1298 ein. Dieser hatte im Jahre 1294 seinen einzigen Sohn verloren, der war während seines Studiums in Tübingen ermordet worden. In den darauffolgenden vier Jahren veräußerte Ulrich VII. eine ganze Reihe von Besitzungen.
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Der im Kern romanische Kirchturm der Ulrichskirche, Süßen - © GvT |
Offensichtlich waren die Erben von Ulrich VII. nicht bereit gewesen, die vorangegangenen umfangreichen Verkäufe zu akzeptieren, statt dessen versuchten sie, diese rückgängig zu machen. Aus diesem Grund sah sich das Kloster Adelberg mehrfach genötigt, sich den Besitz des Süßener Patronats bestätigen zu lassen. Dies geschah erstmals am 21. März 1298 durch König Adolf von Nassau in Ulm. Eine zweite Bestätigung stellte der Konstanzer Bischof Heinrich von Klingenberg am 20. Juni 1299 aus. Am 20. Januar 1300 bestätigte der Nachfolger von Adolf von Nassau, König Albrecht I. von Habsburg und zwei Monate später, am 20. März 1300, sogar Papst Bonifatius zum dritten und vierten Mal innerhalb von weniger als zwei Jahren den Adelberger Besitz des Patronats Süßen. Am 11. Mai 1323 kam es schließlich zum Abschluss der Auseinandersetzungen. Die Gründer der Wiesensteiger und der Blaubeurer Linie der Helfensteiner, Johann (Wiesensteig) und Ulrich (Blaubeuren), erklärten ihren Verzicht auf das Süßener Patronatsrecht.
Am 15. September 1346 wurde die bis dahin selbstständige Pfarrei Süßen in das Kloster Adelberg eingegliedert. Fortan wurde kein Pfarrer, sondern ein Adelberger Chorherr auf die Pfarrei berufen.
Der Pfarrverweser Geyß in Süßen
Da Süßen zum Ulmer Territorium gehörte, versuchte die Reichsstadt, die
Bewohner Süßenes für die Einführung der Reformation nach Ulmer Maßgaben
zu gewinnen. Aus diesem Grunde wurden die Dorfbewohner allesamt an
Pfingsten 1531 zum Probegottesdienst nach Gingen eingeladen.
Eine Woche später, am 12. Juni 1531, fand die Pfarrvisitation in Ulm statt. Dort erschien vor dem reichsstädtischen Rat der Süßener Pfarrverweser Jörg Geyß.
Dieser erklärte den versammelten Ratsmitgliedern, dass ihm die 18 vorgelegten Artikel gefallen und er sich teilweise schon daran orientiert und entsprechend gepredigt hätte. Diese Erklärung des Pfarrverweser ist um so bemerkenswerter, weil er sich damit gegen seinen Patronatsherrn, das Kloster Adelberg, stellte.
Sein Verhalten in Ulm hatte deshalb tiefgreifenden Folgen für ihn: Seine Haltung war offensichtlich dem Adelberger Abt zu Ohren gekommen, denn schon am 24. Juni wurde Geyß beurlaubt. Die Ulmer hingegen hatte Geyß überzeugen können, so dass man ihn aufgeforderte, weiterhin zu studieren und später Anweisungen des Rates abzuwarten.
Die Einführung der Reformation in Süßen
Im Jahre 1534 kehrte Herzog Ulrich von Württemberg aus dem Exil zurück. Einer seiner ersten Schritte bei der Übernahme seiner Herrschaft war die Einführung der Reformation innerhalb seines Herrschaftsgebiets.
Da das Kloster Adelberg eine Exklave im württembergischen Territorium darstellte, wurde es nun der herzoglichen Macht unterworfen, die Klostergüter eingezogen und die Klosterinsassen reformiert. Die württembergische Kirche vertrat von Anfang an die lutherische Lehre,
doch der Gottesdienst im Herzogtum folgte weiterhin dem einfachen
Predigtgottesdienst der süddeutschen Reichsstädte.
Zu den Adelberger Klostergütern zählte die Süßener Pfarrei, weshalb in ihr nun die württembergische Form der Reformation eingeführt wurde. Der württembergische Reformator Erhard Schnepf unterwies den damaligen Adelberger Pfarrverweser Joachim Macher im Schnellverfahren, so dass er weiterhin auf der Süßener Stelle als Prädikant verbleiben konnte.
Und er bewährte sich in den Augen der Bevölkerung: In der Kirchenvisitation des Ulmer Rates im Jahre 1535 wird Macher zwar noch als nach Adelberg gehörig bezeichnet, doch man führte an, dass er seit der Unterweisung durch den Reformator Erhard Schnepf keine Messe mehr gelesen hatte.
Konflikte um den ersten Süßener Pfarrer
Die Zweiteilung der dörflichen Macht - Dorfherrschaft bei der Reichsstadt Ulm, Patronat beim Kloster Adelberg bzw. Herzogtum Württemberg - führte 1537 zu einem bemerkenswerten Konflikt.
Joachim Macher fühlte sich noch immer allein seinem Patronatsherrn verpflichtet. Deshalb betete er im allgemeinen Gebet
allein für Herzog Ulrich - und für einen ehrsamen Rat (aus Ulm)
mitnichten bitt.
Der Ausschluss der Dorfherrschaft aus dem Gebet der Süßener rief die Ulmer auf den Plan. In der Synode vom Juli 1537 verfügten sie, dass der Unterböhriger Prädikant sich nach Süßen begeben sollte und Macher dazu bewegen sollte, künftig auch den Ulmer Rat im Gebet zu berücksichtigen.
In den folgenden beiden Jahren kam es zu schweren Konflikten zwischen der Kirchengemeinde und dem Prädikanten, die dazu führten, dass die Gemeinde Süßen 1538 an den Ulmer Rat eine Bittschrift mit der Forderung nach Abberufung des Prädikanten Macher formulierten. Mehrfach hatte Joachim Macher Mitglieder seiner Kirchengemeinde vor den Kopf gestoßen und ihnen den religiösen Beistand verweigert.
In den schriftlich fixierten Beschwerden kommt deutlich zum Vorschein, dass die Vorstellungen vom Prädikanten und den Gemeindemitgliedern, wie der protestantische Alltag und die Ausübung der religiösen Handlungen gestaltet sein sollte, noch nicht konform waren - ein zu Beginn der Reformation häufig zu beobachtendes Phänomen. Doch aufgrund der Konflikte zwischen Prädikant und Kirchengemeinde wurde Joachim Macher wenig später seines Amtes enthoben.
Die Ausstattung der Kirche
Die Beseitung von Ausstattungsgegenständen in der Kirche, die in enger Verbindung zum katholischen Glauben standen, gehörte zu den Grundprinzipien der Ulmer und später auch der württembergischen Reformation. Daher verwundert es nicht, dass der Ulmer Rat 1541 dem Süßener Amtmann und den Vierern des Ortes nahelegte, die
mit höchster Bescheidenheit und zubeschlossenen (= zugeschlossenen)
Türen die entsprechenden Objekte und Ornate aus der Kirche zu entfernen und zu verkaufen.
Vielleicht war es der zeitliche Abstand zur Einführung der Reformation in Ulm 1531 oder eine hohe Verbundenheit der Kirchengemeinde zur bestehenden Kirchenausstattung, die die Beauftragten davon absehen ließen, den monumentalen Ölberg an der nördlichen Außenseite der Kirche, den 1507 gefertigten Zeitblom-Altar oder die vorhandenen Fresken zu beseitigen.
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Ölberg-Szene auf der Nordseite der Ulrichs-Kirche von Süßen - © GvT |
Augsburger Interim (1547) und Augsburger Religionsfriede (1555)
Nach dem Schmalkaldische Krieg, der für die Protestanten in einer deutlichen Niederlage gegen Kaiser Karl V. endete, wurde 1547 im Augsburger Interim festgelegt, dass alle aufgehobenen Klöster an ihre Orden zurückgegeben werden mussten und die evangelischen Pfarrer ihre Gemeinden verlassen mussten. So gelangte die Süßener Pfarrei wieder an der Kloster Adelberg, das wiederum einen katholischen Geistlichen einsetzte.
Auf dem Augsburger Reichstag 1555 wurde die Religionsfrage endgültig geklärt. Dem reichsunabhängigen Herrschaftsinhaber wurde die Festlegung der Religion in seiner Herrschaft nach dem Motto
cuius regio - eius religio zugesprochen. Dies bedeutete nun für Süßen ein völlig neue Situation: Die Reichsstadt Ulm legte nun das Kirchenregiment fest. Der Rat der Stadt wandte sich daher zunächst an das Kloster Adelberg mit der Bitte um einen evangelischen Prädikanten. Doch Adelberg wies das Ansinnen ab. Aus diesem Grunde wandte die Ulmer sich nun an den württembergischen Herzog mit derselben Bitte.
Der Herzog schickte nun einen Mann nach Süßen, der im Ort kein Unbekannter war. Balthasar Fraid hatte bereits 1539-40 hier amtiert. Nun erhielt der die Gelegenheit für eine weitere Amtszeit. Mit seiner Amtseinführung ist der Reformationsprozess in Großsüßen abgeschlossen
Quellen und Literatur
- Urkunde von 1267, s. Online-Ausgabe des Württembergischen Urkundenbuches: https://www.wubonline.de/?wub=18
- Stadtarchiv Ulm, Archivalien zur Reformation
- Stadtarchiv Ulm, Visitationsberichte
- Ziegler, Walter, Von Siezun bis Süßen. Ein Streifzug durch 900 Jahre, Süßen 1971
- Die Grafen von Helfenstein. Stationen ihrer Geschichte, Begleitheft zur Weihnachtsausstellung 1994, Geislingen/Steige 1994
- https://de.wikipedia.org/wiki/Erhard_Schnepf