Sonntag, 21. Mai 2017

Reformation im mittleren Filstal - Teil 6: Ein Erbstreit und seine Folgen für Salach

© Gabriele von Trauchburg, Mai 2017


Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts gehörte die Dorfherrschaft wie auch das Patronat im Ort Salach den Herren von Rechberg-Staufeneck. Da die Familie Rechberg-Staufeneck kein Anhänger der Reformation gewesen war, kam es zunächst auch nicht zur Einführung der Reformation im Dorf.  Salach ist also eines derjenigen Dörfern im mittleren Filstal, die erst spät mit der Reformation in Berührung kamen. 

Der Erbstreit um Salach 

Im Jahre 1599 starb das letzte männliche Familienmitglied der Rechberg-Staufeneck, der siebenjährige Albrecht Hermann. Da die Herrschaft Staufeneck kein Bestandteil des unveräußerlichen Rechbergschen Familiengutes war, waren bei der anstehenden Erbteilung nun die weiblichen Mitglieder der Familie erbberechtigt. Und damit kommt es zu einer spannenden und folgenreichen Erbauseinandersetzung unter den Hinterbliebenen.
Die Tante von Albrecht Hermann, Maria Magdalena von Rechberg-Staufeneck (gestorben vor 1605), hatte sich mit ihrer Familie aufgrund einer in den Augen ihrer Eltern unstandesgemäßen Heirat 1558 mit Michael von Welden überworfen. Jetzt, nach dem Tod von Albrecht Hermann beanspruchte sie die Hälfte an der väterlichen Herrschaft.
Weil sie sich aber nur wenige Chancen auf die Durchsetzung ihrer Ansprüche versprach, suchte sie sich einen starken Verbündeten - den protestantischen Herzog Friedrich I. von Württemberg (1557-1608). Der Herzog seinerseits erkaufte sich die Rechte der Maria Magdalena nur zu gern, lag die Herrschaft Staufeneck mit dem Hauptort Salach doch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Landesgrenze bei Göppingen.

Württembergs Vordringen in Salach

Herzog Friedrich I. von Württemberg nutzte die gebotene Chance, seinen Machtbereich im mittleren Filstal weiter in Richtung Albaufstieg und Ulm auszuweiten. Vergeblich versuchte er dann auch noch sowohl Hohenrechberg als auch Staufeneck unter seine Herrschaft zu bringen, konnte in der Erbauseinandersetzung dann allerdings nur eine Hälfte des Dorfes Salach für sich gewinnen - die Mutter von Albrecht Hermann und Witwe von Konrad II. von Rechberg-Staufeneck, Gertrud Schutzbar von Burg-Milchling, konnte die zweite Hälfte für sich behaupten. 
Mit der Dorfherrschaft war auch das Patronatsrecht verbunden gewesen - mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Pfarrei. Die Witwe war nicht in der Lage, bei diesem Recht ihren gleichberechtigten Anspruch durchzusetzen und musste mitansehen, wie am 23. Juli 1603 der damalige Priester Keller von Württemberg aus seinem Amt entfernt und ein halbes Jahr später David Börtlin als evangelischer Pfarrer in sein Amt eingeführt wurde. Trotzdem verblieb der Priester Keller noch weitere 32 Jahre lang in Salach.

Der Kampf um die Pfarrei Salach - politisch vereint, konfessionell getrennt

Im Jahre 1608 kaufte Georg von Freyberg zu Justingen und Öpfingen von Herzog Friedrich dessen Anteil an Salach. Dabei verpflichtete er sich, seinen Anteil an Salach bei der evangelischen Religion nach dem Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) zu belassen und ständig einen evangelischen Pfarrer im Dorf amtieren zu lassen. Herzog Friedrich gestand seinem Käufer damit nicht die im Augsburger Interim festgelegte Regelung zu, wonach der Dorfherr die Religion festlegte (cuius regio - eius religio).
Die spätromanische Margaretenkirche mit der Grablege der Herren von Rechberg-Staufeneck, Salach - © GvT

Georg von Freyberg erwarb zudem den 2. Salacher Dorfteil von der Rechberg-Witwe. Das bedeutet: Das Dorf Salach wurde politisch wieder zu einer Einheit, aber der Ort blieb von nun an konfessionell getrennt!!! 

Salach unter der Familie von Freyberg

Im Jahre 1631 erbte Anna Margaretha von Freyberg die Herrschaft Staufeneck mit samt Salach von ihrem Vater. Die weiteren Ereignisse in Salach standen dann in engem Zusammenhang mit denen des Herzogtums Württemberg.

Die Schlacht von Nördlingen 1634 und die Jesuiten im Württembergischen Amt Göppingen 

In der Schlacht von Nördlingen am 6. September 1634 unterlagen die protestantischen Heere unter der Führung der Schweden den kaiserlichen Armeen und wurden zurückgeworfen. Dies hatte zur Folge, dass auch der damalige württembergische Herzog Eberhard III. nach Straßburg floh. Das entstandene Machtvakuum im Land wurde durch einen kaiserlichen Administrator, den Grafen Karl Ludwig Ernst von Sulz (1595-1648), ausgefüllt. Zu seinen Aufgaben gehörte die Durchsetzung des von Kaiser Ferdinand erlassenen Restitutionsediktes. Dieses 1629 erlassene Gesetz beinhaltete, dass der geistliche Besitz auf dem Stand von 1552 zurückgegeben werden musste. Einzelne Stiftskirchen wurden dabei dem Jesuitenorden überlassen, zu ihnen zählte auch das Göppinger Oberhofenstift.

Salach und die Jesuiten

Der Ehemann von Anna Margaretha von Freyberg, der Erbin der Herrschaft Staufeneck, war der kaiserlich-königliche Generalwachtmeister Wilhelm von Guyn (1603-1661). Als kaiserlicher Offizier wurde von ihm erwartet, dass er auch in seinen eigenen Herrschaften die kaiserliche Politik durchsetzte. Die Seelsorge der gesamten Salacher Bevölkerung übernahmen nun die aus Göppingen geholten Jesuiten. 

Der Jesuitenorden und einige seiner Erfolge in der Umgebung

Der Jesuitenorden verfolgte das Ziel, Protestanten wieder zur katholischen Religion zurückzubringen. Bei diesem Vorhaben konnte er durchaus auf spektakuläre Erfolge verweisen: Petrus Canisius erreichte in Augsburg, dass nach und nach alle protestantisch gewordenen Mitglieder der berühmten Fuggerfamilie wieder zum katholischen Glauben zurückfanden.
Auch im Filstal war Canisius erfolgreich. Nach mehreren Sitzungen mit dem Jesuitenpater kehrte der 1555 protestantisch gewordene Graf Ulrich XVII. von Helfenstein am 25. April 1567 wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurück.
Der mit 1555 einhergehende Bruch in der Ausstattung der Kirchen des oberen Filstales lässt sich bis heute sehr deutlich erkennen. Graf Ulrich von Helfenstein hatte gemäß den protestantischen Vorstellungen seine Patronatskirchen und Kapellen säubern und damit alle alten Altäre und Heiligenfiguren entfernen lassen. Daher finden sich äußerst selten Altäre oder Skulpturen aus vorreformatorischer Zeit in den Kirchen des oberen Filstales. Nach seiner Rückkehr zum katholischen Glauben mussten die nunmehr wieder katholischen Kirchen neu ausgestattet werden.

Das Salacher Simultaneum

Im Westfälischen Frieden von 1648 war die Wiederherstellung Württembergs festgeschrieben worden und so konnte sein Herzog Eberhard III. wieder nach Stuttgart zurückkehren. In den kommenden Jahren suchte dieser nun die während des Krieges vorgenommenen Veränderungen wieder auf die Basis vor seiner Vertreibung zurückzuführen.
Deshalb kam es in Salach ab 1650 zu einigen Auseinandersetzungen, denn Wilhelm von Guyn war noch immer der Salacher Dorfherr und hatte kein Interesse daran, dass Württemberg sich erneut in seine Dorfangelegenheiten einmischte. Er verbot seinen evangelisch gebliebenen Untertanen den Besuch benachbarter protestantischer Gottesdienste und ersetzte nach dem Weggang der Jesuiten in Göppingen die Pfarrei in Salach durch einen Kapuziner. Den von Württemberg verordneten evangelischen Pfarrer Deckinger aus Ulm ließ er nicht ins Dorf. In der Folge kamen württembergische Beamten von Göppingen am 8. September 1650 mit bewaffneter Mannschaft nach Salach, öffneten die Kirche und führten Deckinger in sein Amt ein. Aber kaum waren sie abgezogen, so ließ Guyn Pfarrer Deckinger durch 'einige starke ledige Gesellen' über die Markung hinausführen. Am 15. Oktober wurde Deckinger in Salach erneut in sein Amt eingesetzt, aber schon am andern Tage wieder mit Gewalt aus dem Territorium hinaus geschleppt. Deshalb wurde zu seinem Schutz am 19. Oktober ein Kommando von 20 Musketieren nach Salach verlegt, das erst aufgrund der Versicherung von Guyn, den evangelischen Gottesdienst künftig zu gestatten, am 29. November 1650 wieder abgezogen wurde.Am 29. August 1655 kam es schließlich zu einem Vergleich zwischen Württemberg und Guyn. Aufgrund dessen wurde  im Ort das Simultaneum, d.h. das gleichberechtigte Nebeneinander beider Religionen, eingeführt. Laut diesem Vertrag wurde die katholische Pfarrei nicht wieder besetzt. Statt dessen wurden die Einwohner in die Pfarrei in Klein-Süßen eingegliedert. Dort verblieben sie mit  Ausnahme zwischen 1772—1775 bis zum 13. Oktober 1798, als erstmals die katholische Pfarrei Salach wieder besetzt wurde. Die evangelische Pfarrei im Ort hingegen wurde wiederbesetzt. Anfangs lebte der Pfarrer im Dorf und dann außerhalb des Ortes auf der Burg Staufeneck. Zur Versorgung der beiden Pfarrer diente der traditionelle Zehnt. Davon erhielt der evangelische die Hälfte des großen, den gesamten kleinen und lebenden Zehnt der evangelischen Bewohner, der katholische Geistliche erhielt die andere Hälfte von den katholischen Dorfeinwohnern.
Während des Simultaneums, also bis zur Einweihung der katholischen Kirche St. Margarete anfangs des 20. Jahrhunderts, nutzten beide Konfessionen die alte gotische Margarethen-Kirche.

Quellen und Literatur

- Hauptstaatsarchiv Stuttgart, B 90 Bü 1994 - Streit Georg Ludwigs von Freyberg mit Gertrud Gräfin zu Löwenstein, Witwe Konrads VI.. von Rechberg-Staufeneck und Geborener Schutzbar von Burgmilchling über den Besitz der Burg Staufeneck und den halben Teil des Dorfes Salach, 1604-1610
- Oberamtsbeschreibung Göppingen, S. 276-282 - https://de.wikisource.org/wiki/Beschreibung_des_Oberamts_G%C3%B6ppingen/Kapitel_B_29
- Die Kirchen in Salach, hrsg. v. der evangelischen Kirchengemeinde Salach und der katholischen Kirchengemeinde Salach, Salach 2006
- Christina Riese, ... jedoch daneben die Catholische Religion nach und nach fruchtbarlich eingefiert würde. Kriegserfahrung, landesfürstliche Politik und Religiositätals Eckpunkte kommunalen Lebens in Göppingen zwischen 1634 und 1648, in: Hohenstaufen/Helfenstein 17, 2007, S. 83-118

Freitag, 12. Mai 2017

Von Kirchenstühlen und Kirchenbänken

© Gabriele von Trauchburg, Mai 2017


Blickt man heute in eine Kirche - egal welcher Konfession -, so erblickt man fein säuberlich hintereinander aufgestellte Bankreihen. Kommt man als Fremder dann zum Gottesdienst, wird man mit kritischen Augen gemustert und die Fragen der Einheimischen stehen ihnen dabei regelrecht ins Gesicht geschrieben. Wer ist das und warum denn bloß sitzt die ausgerechnet hier? Diese Reaktionen haben ihren Ursprung in der Geschichte der Kirchenbänke an sich.

Ursprünglich nur Stühle für Gebrechliche

Betritt man heute die großen französischen Kathedralen, so sind sie im Innern nahezu leer, höchstens vorne in der Nähe des Hauptaltares stehen einige Reihen mit einzelnen, geflochtenen Stühlen. Diese Stühle sind in erster Linie für gebrechliche Menschen gedacht. Die gesunden brauchen nicht unbedingt eine Sitzgelegenheit, sie können problemlos den Gottesdienst im Stehen verfolgen.


Zuerst Stühle, später Bänke

In deutschen Kirchen bevorzugte man schon früh Sitzgelegenheiten für die Gläubigen. Zuerst waren es ebenfalls nur einfache Stühle, die meistens der örtliche Schreiner herstellte. Diese Stühle bezahlte der jeweilige Gottesdienstbesucher. Jeder hatte seinen eigenen Stuhl.
Das Durcheinander mit den Stühlen wurde wohl mit der Zeit zu groß. Die langsam aber stetig wachsende Bevölkerung sorgte für immer mehr Gottesdienstbesucher, der Platz wurde knapp. Und die Kälte in den Kirchen während der Winterzeit machte den Kirchgängern zu schaffen.
Diesen Umständen trugen die Patronatsherren dadurch Rechnung, dass sie in den Kirchen Bänke errichten ließen. Die Kirchenbänke wurden immer auf einem auf dem Steinboden aufgelegten Holzbretterboden aufgestellt. Die Bänke erfüllten zwei Funktionen. Auf diese Weise waren sie im Kirchenraum fixiert und konnten die Rituale während des Gottesdienstes nicht behindern, andererseits schützte das Holz die Füße der Besucher vor der winterlichen Kälte.
Barocke Wange einer Kirchenbank in der Wallfahrtskirche St. Maria auf dem Hohenrechberg. Sie ist detailliert ausgearbeitet: auf der Spitze die Marienmuschel - nicht Jakobsmuschel!!!, eine Groteske - die das Böse von den Andächtigen in der Bank fernhalten soll, eine Rose - ein zweites Mariensymbol in der Marienkirche - Künstler: Prospero Brenno, 1688-1689 - © GvT

Wie zuvor bei den Stühlen, bezahlten die Gemeindemitglieder ihren Anteil an den Kirchenbänken. Mit dem Anteilskauf wurde auch gleichzeitig festgelegt, wo der jeweilige Gläubige seinen künftigen Platz in der Kirche haben sollte.

Liste mit den Sitzplätzen

Damit es zu keinen Auseinandersetzungen vor dem Gottesdienst zwischen einzelnen Gläubigen kommen sollte, führten die Kirchengemeinden Listen über die einzelnen Sitzplätze und den Personen, die das Recht auf deren Nutzung hatten. In vielen Kirchengemeinden kann man heute noch Pläne mit der Verteilung der Sitzplätze in deren Archiven finden. Manche dieser Pläne offenbaren sogar Sitzplatzvergabe aufgrund der sozialen Rangfolge des einzelnen im Dorf. So saßen die Funktionsträger und ihre Frauen ganz vorne, während eine Bauernmagd ganz hinten Platz nehmen musste. 
Auf diese Weise entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Bewusstsein dafür, wo die Bank bzw. der einzelne Sitzplatz eines jeden war. Man kannte seine Nachbarn genau. Mit Argusaugen verfolgten deshalb die Gottesdienstbesucher, wohin sich die anderen setzten. Dies hatte zur Folge, dass niemand es wagte, sich an beispielsweise weiter nach vorne zu setzen, denn das hätte eine Herausforderung böser Kommentare für den Rest der Woche nach sich gezogen: ‘Habt ihrs gesehen, er hat sich selbst nach vorne gedrängt. Glaubt er, er sei was besseres?’ ‘Sie weiß wohl nicht mehr, wo ihr Platz ist!’ 
nummerierte Sitzbank in St. Mariä Himmelfahrt, Süßen - © GvT


Die Sitzplatzlisten verzeichnen meist nur die Plätze von Ehepaaren. Also stellt sich die Frage, wo denn die Kinder und die noch unverheirateten Gemeindemitglieder ihren Platz fanden. In der evangelischen Kirche von Gingen saßen die Kinder vorne beim Altar und direkt unter der Kanzel. Das verraten die Visitationsprotokolle des Ulmer Rates. In den besonders ausführlichen Protokollen von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts heißt es, dass an dieser Stelle der Kirche die Kinder saßen und dort von speziell beauftragten Erwachsenen während des Gottesdienstes überwacht und ermahnt wurden, wenn sie störend wahrgenommen wurden. Die jungen Frauen saßen oftmals im Anschluss an die Stuhlinhaber, während die jungen Männer auf der Empore ihren Platz fanden. 

Streitigkeiten um den Sitzplatz

Wenn der ursprüngliche Platzinhaber verstarb, stand sein Platz einem seiner Nachkommen zu. Falls der ehemalige Inhaber vergessen hatte, eine Verfügung zugunsten eines zukünftigen Besitzer seines Platzes zu treffen, kam es oftmals zu einem erbitterten Streit unter den Nachkommen. Der musste dann vom Pfarrer und dem Kirchengemeinderat geschlichtet werden, wie eine ganze Reihe von Archivalien in den Kirchengemeinden verraten.


Das Wissen um die Tradition der Kirchenbänke

Das Wissen um die Tradition der Kirchenbänke ist heute noch bei den älteren Gemeindemitgliedern vorhanden. Meine Großmutter hat mir diese Kenntnis über diese Tradition mitgegeben, als ich nach meiner Konfirmation erstmals als Gemeindemitglied in den Gottesdienst ging. Sie erklärte mir, dass wenn ich mich in der Kirche einen Platz suchen würde, ich mich in ‘unsere Bank’ setzen sollte. Auf meine Frage, wo denn diese wäre, erklärte sie mir genau, wo sie sich befand. Seither setze ich mich immer dorthin. Und wenn jemand dort sitzt, fühlt sich das irgendwie seltsam für mich an.
Das Wissen um den eigenen Platz in der Kirche führt dann dazu, dass der nicht eingeweihte Besucher sich wundert, warum die Gottesdienstbesucher über den gesamten Kirchenraum verstreut sitzen, statt einer neben dem anderen in wenigen Bänken. Nun - die Antwort liegt eben in der Tradition der Kirchenbänke.



Barocke Sitzbankwange, Heilig-Kreuz-Münster Schwäbisch Gmünd, um 1688 - © GvT



Spätbarocke Sitzbankwange, St. Martinus Donzdorf, um 1779 - © GvT




Neogotische Sitzbänke, um 1880- © GvT



Sitzbankwange aus der Zeit des Art Deco, St. Mariä Himmelfahrt Süssen - © GvT

Der Barockmaler Joseph Wannenmacher im Lautertal

© Gabriele von Trauchburg, Mai 2017


Am 18. September 1722 wurde der Maler und Freskant Joseph Wannenmacher in Tomerdingen bei Ulm, einer katholische Enklave der Reichsabtei Elchingen, geboren. Sein Vater Johann Georg arbeitete als örtlicher Hafner, seine Mutter war Barbara Wannenmacher, geborene Schmid. Der Junge muss begabt gewesen sein, denn nach seinen ersten Schuljahren in Tomerdingen, ging er auf die Elchinger Klosterschule, wo er unter anderem Unterricht in Latein erhielt - und dieses in seinem späteren Leben auch immer wieder nutzte.
Seine ersten Kenntnisse in Sachen Kunst vermittelte ihm möglicherweise der im nahegelegenen Günzburg arbeitende Anton Enderle (1700–1761). Der Elchinger Abt Amadeus Schindele förderte Wannenmachers weitere Ausbildung in Rom zwischen 1741 und 1744, weshalb der Künstler unter anderem als ‘Accademico Romano pittore’ signierte. 1741, mit 19 Jahren, malte Wannenmacher das erste von ihm bekannte signierte Gemälde, die Verzückung der heiligen Teresa. Falls er damals schon in Rom zur Ausbildung war, diente ihm möglicherweise die Figurengruppe von Gianlorenzo Bernini in der Kirche Sant Andrea al Quirinal als Vorbild . Die Fachwelt betrachtet dieses Gemälde als sein Gesellenstück.

Die Werke Wannenmachers

Im Laufe der Zeit entwickelte Wannenmacher einen ganz eigenen Stil. Seine mit bauschigen Gewändern bekleideten Gestalten bewegen grazil ihre Arme und Beine. Seine Bilder besitzen nicht die üblichen heiteren Farben der süddeutschen Rokokomaler, sondern Wannenmacher bevorzugt eine dunklere Farbgestaltung. Er malte bevorzugt mit aschigen Erdfarben in Seccotechnik.
Die große Wertschätzung seiner Zeitgenossen erkennt man an den zahlreichen Orten, an denen er arbeitete, und an seinem breitgefächerten Nachlass. Hier einige seiner Stationen:


  • 1741             Verzückung der Heiligen Theresa.
  • 1747-1748    Straß, Pfarrkirche - Deckengemälde - gilt als der erste Auftrag
  • 1749             Oberelchingen, Klosterkirche - Arbeiten in der Kirche unter Abt Schindele, Ausführung  in Seccotechnik mit aschigen Erdfarben - sein erster bekannter Auftrag
  • um 1750/60  Tomerdingen, Pfarrkirche - Deckengemälde in der Taufkapelle
  • 1752             Schwäbisch Gmünd, St. Franziskus - Fresken im Chor, im Langhaus und an der Orgelempore
  • 1753             Schwäbisch Gmünd, Kapelle St. Katharina - Wand- und Deckenfresken
  • 1754             Deggingen, Ave Maria - Szenen zu Mariae Verkündigung, weitergeführt in folgenden Jahren
  • 1755             Rottweil, Predigerkirche - Ausmalung
  • 1758-1760    St. Gallen - Deckengemälde in der Stiftskirche
  • 1764-1766    St. Gallen - Deckengemälde in der Bibliothek, al secco in Kalkkasein, es entsteht einer der grössten Deckengemäldezyklen jener Zeit  
  • 1765              Suppingen, St. Brigitta - einige Gemälde
  • 1767              Scharenstetten, ev. Pfarrkirche - Leinwandbilder
  • um 1767        Eislingen, St. Markus - Deckengemälde im Langhaus, im 19. Jahrhundert abgebrochen
  • 1773              Mönchsdeggingen,
  • 1776              Schwäbisch Gmünd, Kapelle St. Leonhard - Fresken zur Leonhardslegende
  • 1777              Schwäbisch Gmünd, Kapelle St. Leonhard - Hochaltar mit Altarbild zu St. Leonhard
  • 1778-1779    Donzdorf, St. Martinus - Krönung Mariens im Chor und Szenen aus dem Leben von St.  Martin
  • 1780             Grünbach, St. Peter - Altarblatt

Wannenmacher hat in zahlreichen weiteren Kirchen und Klöstern im südwestdeutschen Raum und der Schweiz gearbeitet. Sein Werk umfasst 14 größere Deckengemäldezyklen. Er schuf unter anderem das Kardinalszimmer im Kloster Marchtal und die Deckengemälde der Kirche in Zollikon. Im Kloster Elchingen, zu dem der Geburtsort Wannenmachers Tomerdingen gehörte, sind mehrere Objekte seines Schaffens erhalten geblieben, so drei Zunftkerzen, eine große Handwerkerfahne (1775) und Leinwandbilder und Fresken in der Sakristei. Von den rund 100 Tafelbildern, die Wannenmacher im Laufe seines Lebens geschaffen hatte, finden sich heute Exemplare im Ulmer Stadtmuseum und im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart.

Wannenmachers Donzdorfer Deckenbilder

Joseph Wannenmacher (1722-1780) war für den Donzdorfer Patronatsherren Maximilian Emanuel von Rechberg (1735-1819) sicherlich kein unbekannter Künstler gewesen. Zum einen war Rechberg der Administrator der bayerischen Herrschaft Wiesensteig, in der die Degginger Wallfahrtskirche Ave Maria liegt, zum andern kannte man sich im Hause Rechberg sehr wohl in der Schwäbisch Gmünder Kunstszene aus.
Offenbar gleich im Anschluss an die Arbeiten in Schwäbisch Gmünd übernahm Wannenmacher den Auftrag für zwei Deckengemälde in der Donzdorfer Pfarrkirche St. Martinus. Maximilian Emanuel von Rechberg hatte sich zum Ziel gesetzt, die ursprünglich gotische Kirche in eine frühklassizistische umzuwandeln. An der Decke sollten zwei Gemälde entstehen - im Chor die Krönung Mariens und im Langhaus  signifikante Szenen aus dem Leben des Kirchenpatrons.
St. Martinus, Donzdorf - © GvT

Am 12. Oktober 1778 war Wannenmacher in Donzdorf, um das Tor beim Schloss zu vergolden.
Im gleichen Jahr schuf Wannenmacher auch noch das Deckengemälde ‘Krönung Mariens’ im Chor. 

Joseph Wannenmacher, Krönung Mariens - Deckengemälde im Chor von St. Martinus, Donzdorf - © GvT

Signatur des Josef Wannenmachers im Deckengemälde im Chor, datiert 1778 - © GvT

Damals wurde wahrscheinlich auch schon über die Gestaltung für die Deckengemälde gesprochen, denn im Frühjahr 1779 übersandte Wannenmacher seinen Entwurf an Maximilian Emanuel von Rechberg nach München. Doch Rechberg war mit dem Entwurf des Gemäldes für das Langhaus nicht einverstanden, weil darauf seiner Meinung nach zu viele Figuren zu dicht gedrängt vorgesehen waren. Wegen seines Unbehagens hatte Rechberg den Entwurf mehreren führenden Münchner Kunstexperten gezeigt, die alle seine Ansicht bestätigten. Deshalb beauftragte Maximilian Emanuel von Rechberg den kurfürstlichen Hofmaler Augustin Demel, einen zweiten Entwurf anzufertigen. Dieser gefiel nun Rechberg.
Daraufhin bat Rechberg seinen Donzdorfer Pfarrer, den Dekan Schroz, dem Maler Wannenmacher folgenden Vorschlag zu unterbreiten: Maximilian Emanuel war bereit, das zuvor ausgehandelte Honorar in Höhe von 400 Gulden vollständig zu übernehmen, selbst wenn der Maler durch den neuen Entwurf weniger Material und weniger Zeit für seine Arbeit benötigen sollte.
Die Reaktion von Joseph Wannenmacher ist nicht überliefert. Sicherlich hatte ihn die Tatsache, dass man es wagte, ihm - dem akademisch gebildeten Künstler - den Entwurf zu korrigieren, schwer gekränkt. Aber Wannenmacher war auf seinen Verdienst angewiesen, was nichts anderes bedeutete, als das Angebot des Auftraggebers anzunehmen. Wannenmacher fertigte also das Deckengemälde mit signifikanten Szenen aus dem Leben des Heiligen Martin nach dem Entwurf des Münchner Hofmalers Augustin Demel (1724-1789). Demel war ein in München anerkannter Künstler, der vor allem die hohen Ansprüchen des Bildhauers Franz Ignaz Günther erfüllte, wenn er dessen Skulpturen in Farbe fasste.
Joseph Wannenmacher nach dem Entwurf von Augustin Demel, Szenen aus dem Leben des Heiligen Martin von Tours, 1779 - © GvT
Signatur des Joseph Wannenmacher im Deckengemälde des Langhauses von St. Martinus, Donzdorf - © GvT

Dieses Wissen aus dem Umfeld zur Entstehung des Deckengemäldes im Langhaus erklärt nun den offensichtlichen Unterschied zwischen dem farbenfrohen in sich geschlossenen Deckengemälde im Chor und dem Deckengemälde im Langhaus, das spontan den Eindruck von etwas Unfertigen beim Betrachter erweckt. Zwar entspricht die Farbgestaltung durchaus dem frühen Wannenmacher mit seiner ‘aschigen’ und erdfarbenen Gestaltung, jedoch liegt der Schwerpunkt des Bildes nicht im Zentrum, sondern unmotiviert auf die linke Seite verschoben.

Die Bedeutung des Donzdorfer Deckengemäldes vom Heiligen Martin

Dennoch besitzt das Deckengemälde im Langhaus der Donzdorfer Pfarrkirche St. Martinus eine besondere Bedeutung: Ein schwäbische Altmeister der Barockmalerei führte hier den Entwurf eines bayerischen Kollegen aus, der für den Übergang vom Rokoko zum Klassizismus steht.

Neu entdeckt: Hinweis auf ein bislang unbekanntes Altargemälde Wannenmachers

Bei der systematischen Durchsicht der Heiligenrechnungen von St. Peter in Grünbach (Stadt Donzdorf, Lkr. Göppingen) konnte ich etwas bisher vollkommen unbekanntes entdecken: In der Heiligenrechnung von 1780 ist unter den Baukosten zur Kapelle St. Peter  vermerkt, dass Joseph Wannenmacher ein Altarblatt für die zur Donzdorfer Pfarrei gehörende Grünbacher Kapelle geschaffen hatte.
Kapelle St. Peter in Donzdorf-Grünbach - © GvT


Und unter den Beilagen zur Heiligenrechnung befindet sich auch noch die vom Künstler eigenhändig geschriebene Quittung. Darin bestätigt Wannenmacher ein ‘Altarblättlein’ für die Kapelle St. Peter in Grünbach angefertigt zu haben und vom Heiligenpfleger Georg Mühleisen dafür 12 Gulden und 12 Kreuzer erhalten zu haben. Datiert ist die Quittung auf den 17. September 1779. Unterzeichnet ist sie mit Joseph Wannenmacher - Accad. Rom. und Kunstmahler mpria (= manus propria - eigenhändig).

Unterschrift des Barockmalers Joseph Wannenmacher - © GvT

Weder aus dem Text der Quittung noch aus dem Vermerk in der Heiligenrechnung geht hervor, welches Thema Wannenmacher für das Grünbacher Altarblatt gewählt hatte. Vermutlich war darauf der Kirchenpatron, der Heilige Petrus, dargestellt. Unbekannt ist auch, wann und wo dieses Altarblatt aus der Kirche gebracht wurde und ob es eventuell doch noch erhalten ist.

Am 6. Dezember 1780 verstarb Joseph Wannenmacher im Alter von 58 Jahren in seinem Heimatort Tomerdingen.

Quellen und Literatur

- Heiligenrechnungen von St. Martinus, Donzdorf und Heiligenrechnungen St. Peter, Grünbach
- Reistle, Michel und Joseph (Ill.) Wannenmacher, Joseph Wannenmacher - ein schwäbischer Kirchenmaler des 18. Jahrhunderts und sein Verhältnis zum Bildhauer Wenzinger, St. Ottilien 1990
- Hummel, Heribert, Wandmalereien im Kreis Göppingen, Weißenhorn 1978, S. 90
- http://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Meister/s-z/Wannenmacher.html
- https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Wannenmacher
- https://www.deutsche-biographie.de/sfz128321.html




Dienstag, 9. Mai 2017

Reformation im mittleren Filstal - Teil 3: Der Verlauf der Reformation in Geislingen an der Steige

© Gabriele von Trauchburg, Mai 2017


Mit dem Verkauf der sogenannten ‘Unteren Herrschaft’ der Grafschaft Helfenstein im Jahre 1396 fiel Geislingen und das mittlere Filstal bis Süßen an die Reichsstadt Ulm. Zur dörflichen Herrschaft gehörte in den überwiegenden Fällen auch das Patronatsrecht. Dieses letzte Recht, die Bestimmung des Pfarrers und die Aufsicht über die Kirche, war entscheidend für die erfolgreiche Einführung der Reformation in einem Ort.  

Geislingen und das Patronatsrecht

Im Fall von Geislingen lag das Patronatsrecht bei der Reichsstadt Ulm. Damit war die rechtliche Voraussetzung für die Einführung der Reformation in der Stadt gegeben. 

Erste evangelische Predigten in Geislingen ab 1527

In einer Bittschrift an den Ulmer Rat forderten 39 Geislinger Bürger und 7 Kuchener im Dezember 1525 die Zuweisung eines evangelischen Predigers, der ‘sie in der heiligen, göttlichen Schrift unterweise’, nachdem ‘Gottes heiliges, glorwürdiges, ewiges und unzerstörbares Wort wunderbar an den Tag gebracht worden’ war. Diese Forderung wurde also ein Jahr nach der Besetzung von Konrad Sam in Ulm und am Ende des Bauernkriegs für Geislingen erhoben. Den letzten Worten des Schreibens ist außerdem zu entnehmen, dass auch im Geislinger Raum bereits deutsche Bibel-Übersetzungen vorhanden und benutzt wurden.
Nach anfänglichem Zögern wurde im Dezember 1527 der Prädikant Paulus Beck aus Munderkingen für Geislingen bestellt. Dieser predigte in der Spitalkirche, die beim heutigen Wilhelmsplatz gestanden hatte.
Es kam zu einem mit allen Mitteln geführten Konkurrenzkampf zwischen dem altgläubigen Geislinger Pfarrer Dr. Georg Oswald und dem Prediger Paulus Beck. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern zeigt wiederum, dass in unserer Region das Ringen um den rechten Glauben damals bereits in vollem Gange war und sich nicht mehr nur auf gelehrte Disputationen beschränkte. Die Reformation begann sich zu einer breiten Bewegung zu entwickeln.

Die Vorbereitungen zu den Probepredigten an Pfingsten 1531

Nach der Ankunft der drei Reformatoren Butzer, Blarer und Ökolampad am 20. Mai 1531 in Ulm begannen dort die Überlegungen um das praktische Vorgehen bei der Einführung der Reformation in Ulm und in dessen Territorium. Bürgermeister Besser bestimmte, dass zuerst die Stadt und dann das Ulmer Land reformiert werden sollten.
Ab dem Pfingstsonntag sollten die Reformatoren in zentralen Orten predigen und mit diesen Predigten die Menschen endgültig von der Reformation überzeugen. Das Ulmer Territorium wurde hierfür folgendermaßen aufgegliedert:

  • Ambrosius Blarer sollte in der Stadt Ulm predigen
  • Konrad Sam - bisher Prediger in Ulm - übernahm Leipheim und Umgebung
  • Johannes Ökolampadius wirkte in Laupheim
  • Martin Butzer predigte in Geislingen

Am Pfingstsamstag erhielt der Geislinger Vogt den Befehl, sämtliche Amtsleute in seinem Bezirk darüber zu informieren, dass sie noch heut dieses tags - ohn alles verziehen - alle ihre Amtsverwandten zusamenbeläuten und denselben in eines Ers(amen) Rats Namen zum höchsten sagen, verkünden und gebietn lassen, dass sie (Amtsverwandte) mitsamt ihren Weibern, Kindern und Ehalten (Dienstboten), was Jugend, Alters oder Krankheit haben abkommen und soviel man in einem jeden Flecken zur Verwahrung desselben vor Brunst oder andern Unfällen immer entbehren möge, am morgigen Sonntag, dem heiligen Pfingsttag, früh zur siebten Stunde vormittags ... in der Pfarrkirche je mit ihren Pfarrern und Priestern ohn alles Ausbleiben ankommen und erscheinen... den Grund hierfür erfahren sie mündlich vor Ort  - Datum: in onmenschlicher Eil Samstags den Pfingstaubent (-abend). Diese Einladung erging an die Stadt Geislingen und umliegende Gemeinden wie Türkheim, Aufhausen, Stubersheim und noch einige mehr.

Martin Butzer (* 1491 im elsässischen Schlettstadt - † 1551 in Cambridge)

Martin Butzer, der Reformator Straßburgs und des Elsass, zählt zu den bedeutenden Theologen der Reformation. Im Alter von 15 Jahren trat er dem Dominikanerorden bei und immatrikulierte sich 1517 an der Universität Heidelberg. Hier kam es bei der Heidelberger Disputation 1518 - wie bei Johannes Brenz - zu einer folgenreichen Begegnung mit Martin Luther. Der damals 27jährige Butzer wandte sich der protestantischen Theologie zu. In der Folgezeit ließ Butzer sich von Erasmus von Rotterdam, Martin Luther, Ulrich Zwingli, Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger beeinflussen. 

1521 wurde er aus dem Dominikanerorden entlassen und von Pfalzgraf Friedrich II. als Hofkaplan eingestellt. 1522 heiratete er eine ehemalige Nonne und zog mit ihr nach Weißenburg im Elsass. Dort unterstützte er den dortigen Pfarrer Heinrich Moterer bei der Einführung der Reformation und wurde deswegen vom Speyrer Bischof exkommuniziert. 1523 bannte ihn Papst Hadrian VI. Als Vogelfreier suchte er erfolgreich Asyl in der toleranten Reichsstadt Straßburg. Hier wurde er ordiniert und 1524 zum Pfarrer gewählt.

In den folgenden Jahren versuchte Butzer zwischen den verschiedenen protestantischen Parteien -  Lutheranern, Reformierten, Spiritualisten, Täufern - zu vermitteln. Sein besonderes Augenmerk galt dem zwischen Zwingli und Luther ausgetragenen Abendmahlsstreit. Den Unterschied zwischen Luther und Zwingli betrachtet Butzer als einen "Streit mehr in Worten, als in der Sache". Von daher ist es verständlich, wenn sowohl Lutheraner als auch Reformierte und Anglikaner ihn in die Reihe ihrer Kirchenlehrer einordnen.Tatsächlich erzielte er 1536 nach zähem Ringen einen Konsens mit Martin Luther im Streit um das Abendmahl, der in der Wittenberger Konkordie seinen Niederschlag fand.
Martin Butzer war außerdem einer der Verfasser der sogenannten Confessio Tetrapolitana, in der die vier oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, Memmingen, Konstanz und Lindau ihr Glaubensverständnis für den Augsburger Reichstag von 1530 zusammengefassten.

Martin Butzer trat zudem als Organisator auf. So entwarf er 1531 eine Kirchenordnung für die Stadt Ulm, beriet 1534 den württembergischen Herzog Ulrich bei der Einführung der Reformation in Württemberg und verfasste 1539 im Auftrag des hessischen Landgrafen Philipps I. die sogenannte Ziegenhainer Zuchtordnung, die die Basis für das reformatorische Kirchenwesen in Hessen wurde.  1542/1543 lebte Butzer ein Jahr lang in Bonn, um im Auftrag des Erzbischofs von Köln, Hermann V. von Wied, die Reformation des Erzbistums Köln vorzubereiten.

Danach kehrte Butzer nach Straßburg zurück, doch 1549 musste er die Stadt verlassen. Nun  emigrierte Butzer nach England und starb dort am 1. März 1551 in Cambridge.

Vor allem Butzers praktisch-theologische Schriften sind es, die die Kirchen der Reformation nachhaltig beeinflusst haben. Besonders zu erwähnen ist hier die Konfirmation, deren Entstehung auf ihn zurück geht. Jedoch erst in der Zeit des Pietismus im 18. Jahrhundert wurde sie von den evangelischen Landeskirchen flächendeckend eingeführt.

Geislingens streitbarer Stadtpfarrer Dr. Georg Oswald

Über die Vorgänge an Pfingsten in der Stadtkirche ist man wohl unterrichtet, denn Martin Butzer berichtete über sein Geislinger Fiasko an den Ulmer Bürgermeister Besserer. Butzer hatte in der neuen Form von der Geislinger Stadtkanzel gepredigt. Nachdem er die Kanzel verlassen hatte, war Dr. Georg Oswald postwendend hinaufgestiegen und hatte Butzer und seine Thesen angegriffen.
Martin Butzer musste also damit rechnen, dass auch bei jeder künftigen Predigt Pfarrer Oswald aufstehen und seine Sicht der Dinge darlegen würde. Eine völlige Überzeugung der Gläubigen war auf diese Weise nicht zu erreichen. Eine heikle Situation war entstanden.

Kurzentschlossen wurde nach einer Alternative gesucht, wo mit offener Opposition nicht gerechnet werden musste - und man fand sie in Gingen/Fils. Ursprünglich hatte Gingen zu denjenigen umliegenden Dörfern gezählt, die nach Geislingen kommen sollten. Doch nun besann man sich eines anderen. Man lud 7 Dörfer in die dortige Kirche für eine der Probepredigten ein (s. dort)

Die Einführung der Reformation

Ungeachtet der Opposition von Dr. Georg Oswald wurde die Reformation im Sommer 1531 in Geislingen eingeführt und der Stadtpfarrer aus Geislingen verwiesen. Sein Einfluss auf die Gläubigen sollte auf diese Weise unterbunden werden.
Zu jenem Zeitpunkt war ein weiterer der vier Ulmer Reformatoren, Ambrosius Blarer, in Geislingen. Er war am 20. Juli nach Geislingen gekommen, um die dort hartnäckig am alten Glauben Festhaltenden vom neuen Glauben zu überzeugen.
Im nächsten Schritt wurde ab dem 21. August 1531 gemäß den Vorstellungen von Ambrosius Blarer überflüssige Ausstattungsgegenstände aus den Kirchen entfernt. Stifter wurden aufgefordert, ihre Altäre, Heiligenbilder und -skulpturen aus den Kirchen abzuholen. Was nicht abgeholt wurde, entfernte dann die Kirchenverwaltung und zerstörte es. Blarer überwachte persönlich die Entfernung der vielen Bildnisse aus den Geislinger Kirchen - ärgerte sich aber in hohem Maße darüber, dass die Besitzer ihre ‘Götzen’ mit nach Hause nahmen und sie dann dort verehrten, wie er den Ulmer Rat in einem Brief wissen ließ.

Die Reichenbarer Pietà

Heute befindet sich eine Pietà in der Pfarrkirche St. Pantaleon von Reichenbach im Täle, die möglicherweise eine Verbindung zur Räumung der Geislinger Stadtkirche im Zusammenhang mit der Reformation besitzt.
Michel Erhart, Pietà, um 1485-1490 - © GvT

Die Reichenbacher Pietà wird in die Zeit um 1485-1490 datiert und stammt aus der Werkstatt von Michel Erhart, dem führenden Bildhauer seiner Zeit in Ulm. Bekannt ist, dass die Figurengruppe 1847 der Reichenbacher Kirche gestiftet wurde. Eine mündliche Tradition besagt, dass diese Gruppe ursprünglich in der Geislinger Stadtkirche ihren Platz gehabt hatte, dann jedoch  bei der Einführung der Reformation dort entfernt worden war.

Der Abschluss der Reformation

Trotz der prominenten Unterstützung durch Ambrosius Blarer konnte sich die Reformation in Geislingen 1531 noch nicht vollständig durchsetzen. Obwohl Dr. Oswald nicht mehr in der Stadt war, hielt er mit Hilfe von Briefen weiterhin Kontakt zu seinen Anhängern. Deshalb gab es bis zum Ende des 16. Jahrhunderts eine starke katholische Gemeinde in der Stadt.





Quellen und Literatur

- Stadtarchiv Ulm,Diverse Archivalien zur Reformation in der Stadt und im Umland
- Georg Burkhard, Geschichte der Stadt Geislingen an der Steige, Bd.1, Konstanz 1963
- Karlfriedrich Gruber, 'Türkisch, viehisch und teuflisch'. Die Einführung der Reformation in Geislingen, in: 'in oppido giselingen...' 1108-2008. Acht Vorträge zum 900jährigen Jubiläum von Geislingen, hrsg.v. Kunst- und Altertumsverein Geislingen an der Steige, Geislingen 2009, S. 175-206 
- Gabriele v. Trauchburg,  Leid - Trost - Hoffnung. Marienklagen im Wandel der Zeit, Donzdorf 2014
- Gabriele v. Trauchburg, 915-2015. 1100 Jahre Gingen an der Fils, Gingen 2015

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