Dienstag, 9. Mai 2017

Reformation im mittleren Filstal - Teil 3: Der Verlauf der Reformation in Geislingen an der Steige

© Gabriele von Trauchburg, Mai 2017


Mit dem Verkauf der sogenannten ‘Unteren Herrschaft’ der Grafschaft Helfenstein im Jahre 1396 fiel Geislingen und das mittlere Filstal bis Süßen an die Reichsstadt Ulm. Zur dörflichen Herrschaft gehörte in den überwiegenden Fällen auch das Patronatsrecht. Dieses letzte Recht, die Bestimmung des Pfarrers und die Aufsicht über die Kirche, war entscheidend für die erfolgreiche Einführung der Reformation in einem Ort.  

Geislingen und das Patronatsrecht

Im Fall von Geislingen lag das Patronatsrecht bei der Reichsstadt Ulm. Damit war die rechtliche Voraussetzung für die Einführung der Reformation in der Stadt gegeben. 

Erste evangelische Predigten in Geislingen ab 1527

In einer Bittschrift an den Ulmer Rat forderten 39 Geislinger Bürger und 7 Kuchener im Dezember 1525 die Zuweisung eines evangelischen Predigers, der ‘sie in der heiligen, göttlichen Schrift unterweise’, nachdem ‘Gottes heiliges, glorwürdiges, ewiges und unzerstörbares Wort wunderbar an den Tag gebracht worden’ war. Diese Forderung wurde also ein Jahr nach der Besetzung von Konrad Sam in Ulm und am Ende des Bauernkriegs für Geislingen erhoben. Den letzten Worten des Schreibens ist außerdem zu entnehmen, dass auch im Geislinger Raum bereits deutsche Bibel-Übersetzungen vorhanden und benutzt wurden.
Nach anfänglichem Zögern wurde im Dezember 1527 der Prädikant Paulus Beck aus Munderkingen für Geislingen bestellt. Dieser predigte in der Spitalkirche, die beim heutigen Wilhelmsplatz gestanden hatte.
Es kam zu einem mit allen Mitteln geführten Konkurrenzkampf zwischen dem altgläubigen Geislinger Pfarrer Dr. Georg Oswald und dem Prediger Paulus Beck. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern zeigt wiederum, dass in unserer Region das Ringen um den rechten Glauben damals bereits in vollem Gange war und sich nicht mehr nur auf gelehrte Disputationen beschränkte. Die Reformation begann sich zu einer breiten Bewegung zu entwickeln.

Die Vorbereitungen zu den Probepredigten an Pfingsten 1531

Nach der Ankunft der drei Reformatoren Butzer, Blarer und Ökolampad am 20. Mai 1531 in Ulm begannen dort die Überlegungen um das praktische Vorgehen bei der Einführung der Reformation in Ulm und in dessen Territorium. Bürgermeister Besser bestimmte, dass zuerst die Stadt und dann das Ulmer Land reformiert werden sollten.
Ab dem Pfingstsonntag sollten die Reformatoren in zentralen Orten predigen und mit diesen Predigten die Menschen endgültig von der Reformation überzeugen. Das Ulmer Territorium wurde hierfür folgendermaßen aufgegliedert:

  • Ambrosius Blarer sollte in der Stadt Ulm predigen
  • Konrad Sam - bisher Prediger in Ulm - übernahm Leipheim und Umgebung
  • Johannes Ökolampadius wirkte in Laupheim
  • Martin Butzer predigte in Geislingen

Am Pfingstsamstag erhielt der Geislinger Vogt den Befehl, sämtliche Amtsleute in seinem Bezirk darüber zu informieren, dass sie noch heut dieses tags - ohn alles verziehen - alle ihre Amtsverwandten zusamenbeläuten und denselben in eines Ers(amen) Rats Namen zum höchsten sagen, verkünden und gebietn lassen, dass sie (Amtsverwandte) mitsamt ihren Weibern, Kindern und Ehalten (Dienstboten), was Jugend, Alters oder Krankheit haben abkommen und soviel man in einem jeden Flecken zur Verwahrung desselben vor Brunst oder andern Unfällen immer entbehren möge, am morgigen Sonntag, dem heiligen Pfingsttag, früh zur siebten Stunde vormittags ... in der Pfarrkirche je mit ihren Pfarrern und Priestern ohn alles Ausbleiben ankommen und erscheinen... den Grund hierfür erfahren sie mündlich vor Ort  - Datum: in onmenschlicher Eil Samstags den Pfingstaubent (-abend). Diese Einladung erging an die Stadt Geislingen und umliegende Gemeinden wie Türkheim, Aufhausen, Stubersheim und noch einige mehr.

Martin Butzer (* 1491 im elsässischen Schlettstadt - † 1551 in Cambridge)

Martin Butzer, der Reformator Straßburgs und des Elsass, zählt zu den bedeutenden Theologen der Reformation. Im Alter von 15 Jahren trat er dem Dominikanerorden bei und immatrikulierte sich 1517 an der Universität Heidelberg. Hier kam es bei der Heidelberger Disputation 1518 - wie bei Johannes Brenz - zu einer folgenreichen Begegnung mit Martin Luther. Der damals 27jährige Butzer wandte sich der protestantischen Theologie zu. In der Folgezeit ließ Butzer sich von Erasmus von Rotterdam, Martin Luther, Ulrich Zwingli, Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger beeinflussen. 

1521 wurde er aus dem Dominikanerorden entlassen und von Pfalzgraf Friedrich II. als Hofkaplan eingestellt. 1522 heiratete er eine ehemalige Nonne und zog mit ihr nach Weißenburg im Elsass. Dort unterstützte er den dortigen Pfarrer Heinrich Moterer bei der Einführung der Reformation und wurde deswegen vom Speyrer Bischof exkommuniziert. 1523 bannte ihn Papst Hadrian VI. Als Vogelfreier suchte er erfolgreich Asyl in der toleranten Reichsstadt Straßburg. Hier wurde er ordiniert und 1524 zum Pfarrer gewählt.

In den folgenden Jahren versuchte Butzer zwischen den verschiedenen protestantischen Parteien -  Lutheranern, Reformierten, Spiritualisten, Täufern - zu vermitteln. Sein besonderes Augenmerk galt dem zwischen Zwingli und Luther ausgetragenen Abendmahlsstreit. Den Unterschied zwischen Luther und Zwingli betrachtet Butzer als einen "Streit mehr in Worten, als in der Sache". Von daher ist es verständlich, wenn sowohl Lutheraner als auch Reformierte und Anglikaner ihn in die Reihe ihrer Kirchenlehrer einordnen.Tatsächlich erzielte er 1536 nach zähem Ringen einen Konsens mit Martin Luther im Streit um das Abendmahl, der in der Wittenberger Konkordie seinen Niederschlag fand.
Martin Butzer war außerdem einer der Verfasser der sogenannten Confessio Tetrapolitana, in der die vier oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, Memmingen, Konstanz und Lindau ihr Glaubensverständnis für den Augsburger Reichstag von 1530 zusammengefassten.

Martin Butzer trat zudem als Organisator auf. So entwarf er 1531 eine Kirchenordnung für die Stadt Ulm, beriet 1534 den württembergischen Herzog Ulrich bei der Einführung der Reformation in Württemberg und verfasste 1539 im Auftrag des hessischen Landgrafen Philipps I. die sogenannte Ziegenhainer Zuchtordnung, die die Basis für das reformatorische Kirchenwesen in Hessen wurde.  1542/1543 lebte Butzer ein Jahr lang in Bonn, um im Auftrag des Erzbischofs von Köln, Hermann V. von Wied, die Reformation des Erzbistums Köln vorzubereiten.

Danach kehrte Butzer nach Straßburg zurück, doch 1549 musste er die Stadt verlassen. Nun  emigrierte Butzer nach England und starb dort am 1. März 1551 in Cambridge.

Vor allem Butzers praktisch-theologische Schriften sind es, die die Kirchen der Reformation nachhaltig beeinflusst haben. Besonders zu erwähnen ist hier die Konfirmation, deren Entstehung auf ihn zurück geht. Jedoch erst in der Zeit des Pietismus im 18. Jahrhundert wurde sie von den evangelischen Landeskirchen flächendeckend eingeführt.

Geislingens streitbarer Stadtpfarrer Dr. Georg Oswald

Über die Vorgänge an Pfingsten in der Stadtkirche ist man wohl unterrichtet, denn Martin Butzer berichtete über sein Geislinger Fiasko an den Ulmer Bürgermeister Besserer. Butzer hatte in der neuen Form von der Geislinger Stadtkanzel gepredigt. Nachdem er die Kanzel verlassen hatte, war Dr. Georg Oswald postwendend hinaufgestiegen und hatte Butzer und seine Thesen angegriffen.
Martin Butzer musste also damit rechnen, dass auch bei jeder künftigen Predigt Pfarrer Oswald aufstehen und seine Sicht der Dinge darlegen würde. Eine völlige Überzeugung der Gläubigen war auf diese Weise nicht zu erreichen. Eine heikle Situation war entstanden.

Kurzentschlossen wurde nach einer Alternative gesucht, wo mit offener Opposition nicht gerechnet werden musste - und man fand sie in Gingen/Fils. Ursprünglich hatte Gingen zu denjenigen umliegenden Dörfern gezählt, die nach Geislingen kommen sollten. Doch nun besann man sich eines anderen. Man lud 7 Dörfer in die dortige Kirche für eine der Probepredigten ein (s. dort)

Die Einführung der Reformation

Ungeachtet der Opposition von Dr. Georg Oswald wurde die Reformation im Sommer 1531 in Geislingen eingeführt und der Stadtpfarrer aus Geislingen verwiesen. Sein Einfluss auf die Gläubigen sollte auf diese Weise unterbunden werden.
Zu jenem Zeitpunkt war ein weiterer der vier Ulmer Reformatoren, Ambrosius Blarer, in Geislingen. Er war am 20. Juli nach Geislingen gekommen, um die dort hartnäckig am alten Glauben Festhaltenden vom neuen Glauben zu überzeugen.
Im nächsten Schritt wurde ab dem 21. August 1531 gemäß den Vorstellungen von Ambrosius Blarer überflüssige Ausstattungsgegenstände aus den Kirchen entfernt. Stifter wurden aufgefordert, ihre Altäre, Heiligenbilder und -skulpturen aus den Kirchen abzuholen. Was nicht abgeholt wurde, entfernte dann die Kirchenverwaltung und zerstörte es. Blarer überwachte persönlich die Entfernung der vielen Bildnisse aus den Geislinger Kirchen - ärgerte sich aber in hohem Maße darüber, dass die Besitzer ihre ‘Götzen’ mit nach Hause nahmen und sie dann dort verehrten, wie er den Ulmer Rat in einem Brief wissen ließ.

Die Reichenbarer Pietà

Heute befindet sich eine Pietà in der Pfarrkirche St. Pantaleon von Reichenbach im Täle, die möglicherweise eine Verbindung zur Räumung der Geislinger Stadtkirche im Zusammenhang mit der Reformation besitzt.
Michel Erhart, Pietà, um 1485-1490 - © GvT

Die Reichenbacher Pietà wird in die Zeit um 1485-1490 datiert und stammt aus der Werkstatt von Michel Erhart, dem führenden Bildhauer seiner Zeit in Ulm. Bekannt ist, dass die Figurengruppe 1847 der Reichenbacher Kirche gestiftet wurde. Eine mündliche Tradition besagt, dass diese Gruppe ursprünglich in der Geislinger Stadtkirche ihren Platz gehabt hatte, dann jedoch  bei der Einführung der Reformation dort entfernt worden war.

Der Abschluss der Reformation

Trotz der prominenten Unterstützung durch Ambrosius Blarer konnte sich die Reformation in Geislingen 1531 noch nicht vollständig durchsetzen. Obwohl Dr. Oswald nicht mehr in der Stadt war, hielt er mit Hilfe von Briefen weiterhin Kontakt zu seinen Anhängern. Deshalb gab es bis zum Ende des 16. Jahrhunderts eine starke katholische Gemeinde in der Stadt.





Quellen und Literatur

- Stadtarchiv Ulm,Diverse Archivalien zur Reformation in der Stadt und im Umland
- Georg Burkhard, Geschichte der Stadt Geislingen an der Steige, Bd.1, Konstanz 1963
- Karlfriedrich Gruber, 'Türkisch, viehisch und teuflisch'. Die Einführung der Reformation in Geislingen, in: 'in oppido giselingen...' 1108-2008. Acht Vorträge zum 900jährigen Jubiläum von Geislingen, hrsg.v. Kunst- und Altertumsverein Geislingen an der Steige, Geislingen 2009, S. 175-206 
- Gabriele v. Trauchburg,  Leid - Trost - Hoffnung. Marienklagen im Wandel der Zeit, Donzdorf 2014
- Gabriele v. Trauchburg, 915-2015. 1100 Jahre Gingen an der Fils, Gingen 2015

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