Blickt man heute in eine Kirche - egal welcher Konfession -, so erblickt man fein säuberlich hintereinander aufgestellte Bankreihen. Kommt man als Fremder dann zum Gottesdienst, wird man mit kritischen Augen gemustert und die Fragen der Einheimischen stehen ihnen dabei regelrecht ins Gesicht geschrieben. Wer ist das und warum denn bloß sitzt die ausgerechnet hier? Diese Reaktionen haben ihren Ursprung in der Geschichte der Kirchenbänke an sich.
Ursprünglich nur Stühle für Gebrechliche
Betritt man heute die großen französischen Kathedralen, so sind sie im Innern nahezu leer, höchstens vorne in der Nähe des Hauptaltares stehen einige Reihen mit einzelnen, geflochtenen Stühlen. Diese Stühle sind in erster Linie für gebrechliche Menschen gedacht. Die gesunden brauchen nicht unbedingt eine Sitzgelegenheit, sie können problemlos den Gottesdienst im Stehen verfolgen.Zuerst Stühle, später Bänke
In deutschen Kirchen bevorzugte man schon früh Sitzgelegenheiten für die Gläubigen. Zuerst waren es ebenfalls nur einfache Stühle, die meistens der örtliche Schreiner herstellte. Diese Stühle bezahlte der jeweilige Gottesdienstbesucher. Jeder hatte seinen eigenen Stuhl.Das Durcheinander mit den Stühlen wurde wohl mit der Zeit zu groß. Die langsam aber stetig wachsende Bevölkerung sorgte für immer mehr Gottesdienstbesucher, der Platz wurde knapp. Und die Kälte in den Kirchen während der Winterzeit machte den Kirchgängern zu schaffen.
Diesen Umständen trugen die Patronatsherren dadurch Rechnung, dass sie in den Kirchen Bänke errichten ließen. Die Kirchenbänke wurden immer auf einem auf dem Steinboden aufgelegten Holzbretterboden aufgestellt. Die Bänke erfüllten zwei Funktionen. Auf diese Weise waren sie im Kirchenraum fixiert und konnten die Rituale während des Gottesdienstes nicht behindern, andererseits schützte das Holz die Füße der Besucher vor der winterlichen Kälte.
Wie zuvor bei den Stühlen, bezahlten die Gemeindemitglieder ihren Anteil an den Kirchenbänken. Mit dem Anteilskauf wurde auch gleichzeitig festgelegt, wo der jeweilige Gläubige seinen künftigen Platz in der Kirche haben sollte.
Liste mit den Sitzplätzen
Damit es zu keinen Auseinandersetzungen vor dem Gottesdienst zwischen einzelnen Gläubigen kommen sollte, führten die Kirchengemeinden Listen über die einzelnen Sitzplätze und den Personen, die das Recht auf deren Nutzung hatten. In vielen Kirchengemeinden kann man heute noch Pläne mit der Verteilung der Sitzplätze in deren Archiven finden. Manche dieser Pläne offenbaren sogar Sitzplatzvergabe aufgrund der sozialen Rangfolge des einzelnen im Dorf. So saßen die Funktionsträger und ihre Frauen ganz vorne, während eine Bauernmagd ganz hinten Platz nehmen musste.Auf diese Weise entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Bewusstsein dafür, wo die Bank bzw. der einzelne Sitzplatz eines jeden war. Man kannte seine Nachbarn genau. Mit Argusaugen verfolgten deshalb die Gottesdienstbesucher, wohin sich die anderen setzten. Dies hatte zur Folge, dass niemand es wagte, sich an beispielsweise weiter nach vorne zu setzen, denn das hätte eine Herausforderung böser Kommentare für den Rest der Woche nach sich gezogen: ‘Habt ihrs gesehen, er hat sich selbst nach vorne gedrängt. Glaubt er, er sei was besseres?’ ‘Sie weiß wohl nicht mehr, wo ihr Platz ist!’
nummerierte Sitzbank in St. Mariä Himmelfahrt, Süßen - © GvT |
Die Sitzplatzlisten verzeichnen meist nur die Plätze von Ehepaaren. Also stellt sich die Frage, wo denn die Kinder und die noch unverheirateten Gemeindemitglieder ihren Platz fanden. In der evangelischen Kirche von Gingen saßen die Kinder vorne beim Altar und direkt unter der Kanzel. Das verraten die Visitationsprotokolle des Ulmer Rates. In den besonders ausführlichen Protokollen von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts heißt es, dass an dieser Stelle der Kirche die Kinder saßen und dort von speziell beauftragten Erwachsenen während des Gottesdienstes überwacht und ermahnt wurden, wenn sie störend wahrgenommen wurden. Die jungen Frauen saßen oftmals im Anschluss an die Stuhlinhaber, während die jungen Männer auf der Empore ihren Platz fanden.
Streitigkeiten um den Sitzplatz
Wenn der ursprüngliche Platzinhaber verstarb, stand sein Platz einem seiner Nachkommen zu. Falls der ehemalige Inhaber vergessen hatte, eine Verfügung zugunsten eines zukünftigen Besitzer seines Platzes zu treffen, kam es oftmals zu einem erbitterten Streit unter den Nachkommen. Der musste dann vom Pfarrer und dem Kirchengemeinderat geschlichtet werden, wie eine ganze Reihe von Archivalien in den Kirchengemeinden verraten.Das Wissen um die Tradition der Kirchenbänke
Das Wissen um die Tradition der Kirchenbänke ist heute noch bei den älteren Gemeindemitgliedern vorhanden. Meine Großmutter hat mir diese Kenntnis über diese Tradition mitgegeben, als ich nach meiner Konfirmation erstmals als Gemeindemitglied in den Gottesdienst ging. Sie erklärte mir, dass wenn ich mich in der Kirche einen Platz suchen würde, ich mich in ‘unsere Bank’ setzen sollte. Auf meine Frage, wo denn diese wäre, erklärte sie mir genau, wo sie sich befand. Seither setze ich mich immer dorthin. Und wenn jemand dort sitzt, fühlt sich das irgendwie seltsam für mich an.Das Wissen um den eigenen Platz in der Kirche führt dann dazu, dass der nicht eingeweihte Besucher sich wundert, warum die Gottesdienstbesucher über den gesamten Kirchenraum verstreut sitzen, statt einer neben dem anderen in wenigen Bänken. Nun - die Antwort liegt eben in der Tradition der Kirchenbänke.
Barocke Sitzbankwange, Heilig-Kreuz-Münster Schwäbisch Gmünd, um 1688 - © GvT |
Spätbarocke Sitzbankwange, St. Martinus Donzdorf, um 1779 - © GvT |
Neogotische Sitzbänke, um 1880- © GvT |
Sitzbankwange aus der Zeit des Art Deco, St. Mariä Himmelfahrt Süssen - © GvT |
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