Montag, 28. Januar 2019

Der Donzdorfer Kapellenweg - Teil 6.5: Unterweckerstell - Die Kapelle als Investitionsbank für Kirchengebäude

© Gabriele von Trauchburg


In Teil 10.4. zu den Erläuterungen des Donzdorfer Kapellenwegs wird detailliert untersucht, wie sich eine Kapelle im Lautertal zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert finanzierte. Das Ergebnis sei hier kurz vorweggenommen: Geistliche Institutionen erhielten das Recht zum Geldverleih. Grund hierfür war, dass die Geldwirtschaft immer stärker um sich griff und auch das Land erreichte. Doch während in den großen Städten die Banken so berühmter Familien wie der Fugger und Welser in Augsburg oder der Besserer und Ehinger in Ulm agierten, gab es auf dem Lande ... niemand!!!
Wer also sollte ein derartiges Geschäftsmodell eröffnen, betreiben, keine Wucherzinsen verlangen, aber dennoch diesem neuen Wirtschaftsmodell zum Durchbruch verhelfen? Es kam nur eine Institution in Frage: die Kirche. Zudem war die Kirche diejenige Institution, die verwaltungstechnisch am weitesten entwickelt war und als überregionale Institution dafür sorgen konnte, dass keine individuellen Zinssätze, sondern ein einheitlicher Zinssatz flächendeckend durchgesetzt werden konnte.
In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde deshalb innerhalb der Kirche erlaubt, Kredite zu vergeben und im Gegenzug einen festgeschriebenen Prozentsatz von 5 % an Zinsen zu verlangen. Diese Chance nutzten die Kapelle von Grünbach und die Kapelle von Unterweckerstell für sich, Unterweckerstell ab der Heiligenrechnung von 1589-91. Darin findet sich erstmals die Rubrik Ausgaben: Gelt - Hauptgut, damit man Zins erkhauffet.Der Titel der Rubrik ist äußerst aufschlussreich - man legt übergibt jemandem eine Geldsumme und kauft damit für sich selbst Zinseinnahmen.

Die Zahl der Kreditnehmer, vor allem Bauern und Handwerker aus der engeren Umgebung, lag anfangs bei zwei (1589-91) und stieg langsam auf vier (1595) und bis zur Jahrhundertwende auf sieben. Doch im Laufe der Zeit vermehrte sich die Zahl der von den Kapellenverwaltungen ausgegebenen Kredite bis 1679 auf 50 Kreditnehmer. Auffallend viele Kredite wurden zwischen 1769 und 1771 aufgenommen. Diese Entwicklung geht jedoch auf ein besonderes Ereignis zurück. Der damalige Herrschaftsinhaber von Donzdorf,  der junge Maximilian Emanuel von Rechberg, wagte ein wirtschaftliches Experiment. Er eröffnete seinen Untertanen die Möglichkeit, traditionelle Lehen - Häuser, Grundstücke - abzulösen und als Eigentum zu erwerben. Zahlreiche Donzdorfer wollten diese Gelegenheit nutzen, und nahmen deshalb Kredite in Unterweckerstell - und auch in Grünbach - auf.   
Mit diesem bisher in der Forschung wenig beachteten Material kann man also ziemlich genau die Entwicklung der Ökonomie auf dem Land beobachten (Teil 10.4, Label: Grünbach).

Neben der ländlichen Bevölkerung gibt es noch eine weitere Gruppe von Kreditnehmern. Es handelt sich dabei um kirchliche Verwaltungen. Blättert man die Heiligenrechnungen der Kirchen und Kapellen aus den Rechbergschen Herrschaften durch, so findet man eine ganze Reihe kirchlicher Verwaltungen mit Finanzbedarf: die Pfarrei St. Martinus Donzdorf, St. Laurentius in Hürbelsbach, die Wallfahrtskapelle zur Schönen Maria auf dem Hohenrechberg, die Pfarrkirche Ottenbach usw.
Die an die bedürftigen Institutionen ausgegebenen Krediten reichten von 20 bis 1291 Gulden, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen.
  • 1613: St. Laurentius Hürbelsbach - 65 Gulden für das Gebäude  
  • 1690: St. Martinus Donzdorf - 200 Gulden, ursprünglich für eine neue Orgel, doch dann für eine neue, leider nicht näher bezeichnete Seitenkapelle
  • 1690: Kapelle Hohenrechberg - 333 Gulden für den Neubau der Kapelle
  • 1696: Kapelle Hohenrechberg - 533 Gulden für die Kapelle (Einbau der Orgel)  
  • 1701: St. Martinus Donzdorf - 200 Gulden für eine neue Orgel und 50 fl für weitere Arbeiten
  • 1703: St. Martinus Donzdorf - 1291 Gulden für den Neubau des Donzdorfer Pfarrhauses Hohenrechberg hat im gleichen Jahr die 533 fl von 1696 zurückgezahlt
  • 1729: St. Martinus Donzdorf - 48 Gulden für ein neues Kirchenpflaster
  • 1729: St. Peter Reichenbach - 20 Gulden ohne Verwendungsangabe 
  • 1739: St. Barbara Donzdorf - 401 Gulden für den Kapellenbau
  • 1741: St. Barbara Donzdorf - 20 Gulden zum Bau der Eremitage bei der Kapelle
  • 1741: St. Martinus Donzdorf - 25 Gulden für Bau- und Reparaturmaßnahmen am Pfarrhof
  • 1773: St. Martinus Donzdorf - 641Gulden für den Umbau von St. Martinus. Dies ist die erste Rate für den Beitrag. In der Folgezeit übernimmt St. Georg weitere Rechnungen und später fällige Zinsen, wie sich in den Heiligenrechnungen bis 1809 feststellen lässt.  
Das außergewöhnliche bei diesen Krediten ist, dass die geistlichen Kreditnehmer zwar zur Rückzahlung der Kredite verpflichtet waren, nicht jedoch zur Zahlung von Zinsen. Dies hatte zur Folge, dass Kredite über einen langen Zeitraum in Anspruch genommen werden konnten, wie das Beispiel von Hohenrechberg zeigt:
  • Hohenrechberg: Vom Kredit in Höhe von 333 Gulden (1690) standen 1733 noch 80 Gulden aus. 
  • St. Martinus: Vom Kredit in Höhe von 200 Gulden (1701) standen 1773 noch 200 Gulden aus. 
  • St. Martinus: Vom Kredit in Höhe von 1291 Gulden (1703) standen 1773 noch 706 Gulden aus. 
  • St. Martinus: weitere Kredite in Höhe von insgesamt 280 Gulden (ab 1741)
  • St. Barbara: Vom Kredit in Höhe von 401 Gulden (1739) standen 1773 noch 401 Gulden aus. 
Die Kreditvergabe an geistliche Kreditnehmer war räumlich beschränkt auf die Rechbergschen Herrschaften. Das bedeutet, dass sich diese Institutionen gegenseitig bei ihren Bauten unterstützten. Zudem zeigt die Heiligenrechnung von St. Georg in Unterweckerstell, dass sich ziemlich schnell die zinslosen Kredite zu großen Summen entwickeln konnten. Im Jahre 1773 hatte St. Georg deshalb Ausstände in Höhe von 1593 Gulden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Pfarreiverwaltung St. Martinus die Filiale St. Georg als das eigene Schatzkästchen betrachtete. Für St. Georg bedeutete dies, dass die Kapellenverwaltung auf eine üppige Barockausstattung in der eigenen Kapelle verzichtete. 
Mit Hilfe der Vergabe von Krediten gelang es den Kapellenverwaltungen vom 16. bis 18. Jahrhundert, ihre Gebäude auf hohem künstlerischem Niveau auszustatten. Nur so war es möglich, dass sich in den ehemaligen Rechbergschen Herrschaften eine ganz eigene, von Bayern beeinflusste Kunstlandschaft kurz vor den Toren von Stuttgart entwickelte. Diese Bayerische Kunstexklave wird später in diesem Blog näher untersucht werden.

Quellen und Literatur

GRFAD - Heiligenrechnungen von St. Georg in Unterweckerstell




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