Donnerstag, 5. Oktober 2017

Geschichte(n) der Stadt Lauterstein - Teil 3: Weißenstein - eine der ältesten Städte im Landkreis Göppingen

Gabriele von Trauchburg, © Oktober 2017

Ich habe mir vor einiger Zeit erzählen lassen, dass es zwei Datumsvarianten zur Stadterhebung gibt, die Jahre 1384 und 1391. Das Weißensteiner Stadtfest wurde, um sich an dieses wichtige Ereignis zu erinnern, im Jahre 1991 erstmals gefeiert, d.h. man bezog sich dabei auf eine Urkunde aus dem Jahre 1391.
Welche Jahreszahl ist also die richtige für künftige Jubiläumsfeiern? Bevor man weiter in die Materie einsteigt, kann bereits folgender Hinweis gegeben werden: 1384 ist der älteste Hinweis auf die bereits bestehende Stadt Weißenstein, aber nicht das Jahr der Erhebung zur Stadt!

Die ältesten Städte im Landkreis Göppingen

Um weiteres Licht ins Dunkel zu bringen, darf man zunächst folgende Tatsachen festhalten. Weißenstein ist einer von vier Orten im gesamten Landkreis, die schon im Mittelalter zur Stadt erhoben wurden. An der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert gab es nur die folgenden Städte im heutigen Landkreis:
  • Göppingen - wohl in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden
  • Geislingen - zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden  
  • Wiesensteig - seit 1356 als Stadt bezeichnet
  • Weißenstein - vor 1384, eventuell 1360 zur Stadt erhoben.
Alle anderen Städte im Landkreis erhielten ihr Stadtrecht erst im Laufe des 20. Jahrhunderts.

Weißensteins älteste Bezeichnung als ‘Stadt’

Die älteste Erwähnung von Weißenstein als Stadt findet sich in einer Urkunde aus dem Jahre 1384. Darin bezeichnet Wilhelm von Rechberg-Weißenstein den Ort klar und deutlich als opid. mei Wissenstein. Aus dieser Beschreibung muss man messerscharf schließen: Im Jahre 1384 war Weißenstein bereits Stadt!
Und nun beginnt das große Fragen: Wer war berechtigt, eine Siedlung zu einer Stadt zu erheben und die dafür notwendigen Urkunden mit ihren Privilegien zu erlassen? Was hat den Ortsbesitzer dazu veranlasst, eine Siedlung in eine Stadt umzuwandeln? Und vor allem wann??

Der deutsche König und das Recht auf Stadterhebungen

Die ganz alten deutschen Städte wie beispielsweise Kempten im Allgäu oder Augsburg gehen oft auf die Römerzeit zurück. Aufgrund ihrer Größe und ihrer Bedeutung als Verwaltungs- und Handelszentren wurden sie irgendwann als Städte betrachtet. Eine Stadtrechtsurkunde gibt es für diese Städte nicht.

Die deutschen Städte des Mittelalters wurden aufgrund von Stadtrechtsurkunden, die der deutsche König ausstellte, zu Städten erhoben. In den überwiegenden Fällen ging dabei die Initiative vom Herrschaftsinhaber aus. War der Inhaber des Ortes mit dem König identisch, so entstand eine Reichsstadt. War der Inhaber ein anderer Herrschaftsinhaber, so entstand eine Stadt innerhalb eines adeligen oder geistlichen Territoriums.

Jeder Initiator einer Stadterhebung verband mit diesem Vorgehen einen bestimmten Zweck. Die Stauferkönige gründeten eine ganze Reihe von Städten, so beispielsweise Göppingen im Filstal und entlang der Donau zwischen Ulm und Donauwörth. Ihr Ziel bestand darin, durch Städtegründungen den Handel und damit letztlich die Wirtschaft einer Region zu stärken. Die norditalienischen Städte dienten ihnen dabei als Vorbilder.

Fakten rund um die Stadterhebung von Weißenstein

Im Falle von Weißenstein lassen sich folgende Fakten festhalten: der Ort geht nicht auf die Römerzeit zurück, sondern entstand als planmässige Siedlung im Mittelalter. Weißenstein war immer der Hauptort der gleichnamigen Adelsherrschaft. Die Lage des Ortes an einem der niedrigsten Übergänge über die Alb war von überregionaler strategischer Bedeutung.
Die Urkunde mit der Erhebung zur Stadt existiert nicht mehr. So kann man nur noch darüber spekulieren, wer der Initiator bei der Erhebung des Ortes Weißenstein zur Stadt gewesen sein könnte. Am wahrscheinlichsten trifft dies auf Wilhelm von Rechberg-Hohenrechberg-Weißenstein zu. Aus diesem Grund soll nun ein genauerer Blick auf seine Biographie geworfen werden.

Wahrscheinlich 1360 kam es zur Stadterhebung Weißensteins

Wie man aus der Urkunde von 1384 entnehmen kann, war in jenem Jahr der Ort Weißenstein bereits zur Stadt erhoben worden. Nun stellt sich die Frage, wer die Initiative zur Stadterhebung ergriffen haben und welche Motive der Initiator gehabt haben könnte.
Am ehesten kommt wohl Wilhelm von Rechberg in Frage. Wilhelm von Rechberg aus der Hauptlinie Hohenrechberg war der einzige Sohn von Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg und seiner Frau Agnes von Hohenlohe-Brauneck-Haltenbergstetten, einer reichen Erbin. Wilhelms Vater investierte vorausschauend eine große Geldsumme zur Stützung des neuen Königs Karl IV. (Suche in diesem Blog, Stichwort: Karl IV.)
Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg starb nach 1348. Sein einziger Sohn und Erbe Wilhelm ließ sich am 6. Januar 1351 alle kaiserlichen Urkunden, die sein Vater bezüglich des Kredits erhalten hatte, bestätigen. Und am 11. November des gleichen Jahres bestätigte Wilhelm in einer Quittung den Empfang der 100 Pfund Heller von der Stadt Ulm. Dieses Verfahren sollte nach Willen des Kaisers auch künftig angewandt werden.  
Die Nähe des Wilhelm von Rechberg zu Kaiser Karl IV. hielt bis zum Ende von dessen Regierung 1378 an. Im Jahre 1359 war Wilhelm Zeuge in einem Diplom des Kaisers, das im Kloster Denkendorf (Landkreis Esslingen) ausgestellt worden war. Ein Jahr später hielt sich Wilhelm am kaiserlichen Hof in Prag auf, wo er erneut als Zeuge in einer Urkunde vom 2. November auftrat. Zuletzt genehmigte Kaiser Karl IV. am 14. März 1378, dass Wilhelm die Einnahmen aus dem Ulmer Ammanamt selbst als Kredit vergeben konnte.
Diese Zusammenstellung mehrerer Urkunden zeigt erstmals auf, dass Albrecht I. und sein Sohn Wilhelm von Rechberg-Hohenrechberg im Verlauf der gesamten Regierungsjahre von Kaiser Karl IV. zwischen 1346 und 1378 eine enge Verbindung zu ihm pflegten. Eine ähnliche Beziehung zu Karls IV. Nachfolger, seinem Sohn Wenzel IV., ist nicht überliefert.
Es besteht also die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Stadtrechtsprivileg für Weißenstein wohl in der Zeit zwischen 1351 und 1378 von Kaiser Karl IV. erteilt worden war, am ehesten wohl 1360 beim Aufenthalt von Wilhelm von Rechberg-Hohenrechberg-Weißenstein am kaiserlichen Hof in Prag, der üblicherweise derart wichtige Urkunden wie bei einer Stadterhebung ausstellte.
Die Stiftung der St. Georgs-Kaplanei 1384 durch Wilhelm von Rechberg kann man in diesem Zusammenhang als Ausbau von Weißenstein zur Stadt betrachten. Dazu später mehr. 

Die Pest - Auslöser für die Gründung der Stadt Weißenstein?

Der Zeitraum, in dem die Stadtgründung von Weißenstein erfolgte, konnte nun mit den neu zusammengestellten Daten und Ereignisse auf die Zeit um 1360 eingeschränkt werden. Die Jahre zwischen 1351 - dem sicheren Herrschaftsbeginn von Wilhelm von Rechberg - und 1360 - dem Jahr seines Aufenthaltes am kaiserlichen Hof in Prag - war von schrecklichen Umständen geprägt.
Im Jahre 1349 erreichte der ‘Schwarze Tod’, eine Umschreibung für die Pest, den mitteleuropäischen Raum und wütete hier bis 1353. In diesem Zeitraum starben nach Schätzungen rund 30 % der hier lebenden Menschen. Dieser ersten Epidemiewelle folgten in den nachfolgenden Jahren weitere, davon die schlimmste im Jahre 1400.
Auch in den Rechberg-Herrschaften lassen sich vereinzelt die Folgen dieser Epidemie nachweisen, beispielsweise anhand der Höfe zwischen Ottenbach und Rechberg-Hinterweiler, wo die Ackerflächen eines Hofes einem anderen zur Bewirtschaftung zugewiesen wurden.
Zudem könnte der Tod von Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg mit der Pest in Verbindung stehen. Wie oben ausgeführt gewährte er 1347 noch einen Kredit für den neuen deutschen König Karl. Danach gibt es keine weiteren Nachrichten mehr von ihm. Und dann lässt sein Sohn bei König Karl die Gültigkeit der mit dem Kredit vergebenen Urkunden für sich bestätigen. Gerade der Wunsch nach Bestätigung von vorhandenen Urkunden ist ein immer wiederkehrendes Indiz für den Tod eines vorangegangenen Herrschaftsinhabers.
Der spürbare Rückgang der Bevölkerung aufgrund der Pest-Epidemie hatte beträchtliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft und auf das Handwerk. Unrentable und ungünstig gelegene Ackerflächen wurden aufgegeben. Zahlreiche Landbewohner wanderten in die Städte ab, wo höhere Löhne gezahlt wurden. Dennoch sorgte der Mangel an Arbeitskräften für einen beachtlichen Mechanisierungsschub bei den Handwerkern.
Dieser wirtschaftlichen Entwicklung galt es auch in den Rechberg-Herrschaften entgegen zu steuern. Die Gründung einer Stadt stellte dabei ein durchaus interessantes Mittel dar, wie man es bereits durch die Beispiele aus der Zeit der Staufer kannte. Auf diese Weise konnte man den regionalen Handel vor Ort konzentrieren und aufbauen, das Handwerk fördern und die Landflucht verhindern.

Quellen und Literatur

GRFAD - Urkunde von 1384
GRFAD - Rink-Chronik II
Ferdinand Seibt, Karl IV. - ein Kaiser in Europa 1346-1378, München 1994
Gabriele v. Trauchburg, Die Aushöfe der Herrschaft und der Gemeinde Rechberg, in: Rechberg - Ein Heimatbuch, hrsg. v. Ortschaftsverwaltung Rechberg und Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Gmünd 2004, S. 366-383






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