Sonntag, 8. Oktober 2017

Weltkunst am Fuße der Alb - Die Nenninger Pietà des Franz Ignaz Günther

© Gabriele von Trauchburg, Oktober 2017

In der Pietà-Kapelle von Lauterstein-Nenningen befindet sich seit dem 8. Dezember 1774 ein international bedeutendes Kunstwerk - die Nenninger Pietà von Franz Ignaz Günther. Ihre berührende Geschichte und ihre weitreichende Bedeutung als Grenzpunkt einer ganzen Kunstepoche stehen im Mittelpunkt dieses Posts.

Vorgeschichte - Entstehung nach großer Hungersnot    

Zwischen 1769 und 1772 ereignete sich eine Naturkatastrophe - vermutlich auf Island brach ein Vulkan aus. Die Nachwirkungen dieses Ausbruchs - eine große Menge an vulkanischer Asche gelangte in die Atmosphäre und verursachte einen sogenannten vulkanischen Winter. In der Folge drangen kaum noch Sonnenstrahlen auf die Erdoberfläche vor. Die Durchschnittstemperatur sank beträchtlich; in ganz Mitteleuropa verzeichnete man Schneefälle bis in den Monat Juni; gleichzeitig band die verschmutzte Luft große Mengen an Wasser, was zu vermehrten Niederschlägen führte.
Die Menschen damals waren von ihren eigenen Ernten abhängig, doch Kälte und Niederschlag sorgten für Ernteausfälle. Das führte dann zu einer über ganz Europa verbreiteten Hungersnot. Die Zahl der Todesfälle stieg 1771 stark an, blieb auch noch 1772 auf hohem Niveau und erreichte erst 1773 wieder durchschnittliche Werte. In jenem Jahr wurde die erste durchschnittliche Ernte wieder eingefahren und die gesamte wirtschaftliche Situation verbesserte sich allmählich.

Die Kapelle und ihre Bedeutung

Nachdem die Hungersnot überstanden war, beschlossen die Nenninger Dorfherrschaft und Kirchengemeinde, die alte Kapelle von 1582 abzureißen und durch eine neue zu ersetzen. Diese Kapelle lag außerhalb des Ortes in direkter Nähe zum Wasserfall der Lauter am Weg zu den Feldern und zu den Wiesen. Möglicherweise war sie durch Überschwemmungen beschädigt worden.
Sie war der schmerzhaften Jungfrau Maria und den Heiligen Florian und Wendelin gewidmet gewesen. Die beiden Heiligen Florian und Wendelin sind für die ländliche Bevölkerung von großer Bedeutung, wie weiter unten noch erklärt wird. 

Die Kapelle - ein Gemeinschaftswerk von Dorfherr und Dorfbewohnern

Die Kapelle ist ein großartiges Gemeinschaftswerk von Dorfherr und Dorfbewohnern. Den Grundstein zur neuen Kapelle legte 1774 der damalige Dekan von Geislingen und Donzdorfer Pfarrer A. G. Schroz. Den Entwurf für den Bau lieferte der damals hochangesehene Baumeister Johann Michael Keller aus Schwäbisch Gmünd. Die notwendigen Baumaterialien - Holz, Dachziegel und Kalk - spendete der Nenninger Dorfherr Maximilian Emanuel von Rechberg. Die Steine stammten wohl noch von der alten Kapelle. Die Bauarbeiten übernahmen die Dorfbewohner, teils im Hand- und Spanndienst, teils als persönliche Spende. Schon am 12. Juni 1774 weihten der Donzdorfer Pfarrer und Dekan Schroz sowie der Nenninger Pfarrer Kübler die Kapelle.

Die Pietà-Kapelle von 1774 am Ortsausgang von Lauterstein-Nenningen - © GvT

Die Patrozinien und ihre Bedeutung

Allein die Verehrung der beiden Heiligen Florian und Wendelin weist deutlich darauf hin, vor welchen Schicksalsschlägen die Bewohner Nenningens sich am meisten fürchteten und wofür sie beteten.
Der Heilige Florian, allen bekannt als Beschützer vor Feuer, steht den Menschen auch bei Unwetter, unfruchtbarem Boden und Trockenheit bei - Phänomene, die man am Rande der Schwäbischen Alb sehr wohl kennt.
Der Heilige Wendelin ergänzt auf ideale Weise die Wirkung von Florian. Wendelin ist der Patron der Hirten, Bauern und Schäfer, zudem des Viehs. Er hilft gegen Viehseuchen und sorgt für gutes Wetter und gute Ernte. 

Der Weg der Pieta nach Lauterstein-Nenningen  

Nach dem Neubau benötigte die Kapelle eine eigene Ausstattung. Dazu verhalf der tiefgläubige Dorf- und Patronatsherr Maximilian Emanuel von Rechberg. Seine Vorfahren und er selbst hatten hochrangige Stellen am kurfürstlichen Hof in München inne. Es gehörte unter anderem zu ihren Aufgaben, über sämtliche Facetten künstlerischer Entwicklungen und über die angesagtesten Künstler stets bestens informiert zu sein.
Die Entscheidung von Maximilian Emanuel von Rechberg, den Auftrag an den Münchner Hofbildhauer Franz Ignaz Günther zu vergeben, verwundert daher nicht. Zudem lag Günthers Werkstatt nur gute 200 Meter vom Rechberg-Palais entfernt.

Der Bildhauer erhielt 125 Gulden für seine Arbeit, die der Auftraggeber nicht aus den laufenden Betriebskosten seiner Herrschaften, sondern aus seinem Privatvermögen beglich. Am 8. Dezember 1774 kam der Transport mit der Figurengruppe im Dorf an.

Die Nenninger Pietà von Franz Ignaz Günther, 1774 - © GvT

Der Künstler

Franz Ignaz Günther  (1725-1775) sammelte seine ersten kunsthandwerklichen Erfahrungen in der väterlichen Schreinerei im Markt Altmannstein (Lkr. Eichstätt). Dieser Ort war der Fürstin Portia, einer Tante von Maximilian Emanuels Ehefrau Walburga, im Jahre 1731 vom damaligen Kurfürsten Karl Albrecht geschenkt worden. Als sich die herausragenden Talente des 19jährigen jungen Mannes zeigten, vermittelte sie oder ihr Mann, Fürst Portia, die Kontakte zum in jener Zeit führenden Münchner Bildhauer, Johann Baptist Straub.
Ab 1744 lernte Günther bei Straub. Anschließend begab er sich ab 1750 auf Wandschaft – zunächst nach Salzburg, dann nach Olmütz (Mähren, 1752) und schließlich zur weiteren theoretischen Ausbildung in die Bildhauerklasse der Akademie in Wien (1753), die er mit 'Premium' abschloss. Nach München kehrte er im Jahre 1754 zurück, ließ sich vom Zunftzwang befreien und gründete seine eigene Werkstatt.
Ab dieser Zeit war er hauptsächlich für kirchliche Auftraggeber tätig, schmückte mit seinen lebensgroßen Figuren aber auch die Münchner Adelspalais aus. Durch die familiären Verbindungen des Maximilian Emanuel von Rechberg mit den bayerischen Adelsfamilien Törring, Preysing und LaRosée muss er schon früh auf den noch sehr jungen Franz Ignaz Günther aufmerksam geworden sein. Zudem kannten die Rechberg die Künstlerfamilie Straub, die aus der bayerischen Exklave Wiesensteig - von der Familie Rechberg zwischen 1667 und 1803 verwaltet - stammte.

Die Nenninger Pietà als Höhe- und Endpunkt des Rokoko

Schriftliche Unterlagen zur Entstehung des Kunstwerks von Seiten des Auftraggebers oder des Bildhauers gibt es keine mehr. Es gab aber sicherlich intensive Gespräche zwischen beiden Männern, in deren Verlauf der Künstler dem Mäzen zwei Modelle der Pietà präsentierte. Diese werden heute im Bayerischen Nationalmuseum in München und im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart gezeigt.
Die Nenninger Pietà besitzt eine außergewöhnliche Ausdrucksstärke. Sie entstand durch die exakten anatomischen Details, die Günther herauszuarbeiten verstand und durch die bewußt gestaltete Farbgebung.
Das Gesicht der Maria zeigt deren unendlichen Schmerz beim Verlust ihres Sohnes. Bei der Gestaltung der Muttergottes konnte der Künstler wohl auch den Tod der eigenen, während der Hungersnot verstorbenen sieben Kinder verarbeiten. 
Die vielschichtige Gestaltung Christi lässt sich erst in Verbindung mit der von Günther vorgegebenen Farbgebung entschlüsseln. Im Gegensatz zum roséfarbenen und damit Lebendigkeit signalisierenden Gesicht der Muttergottes ist der Leib Christi in eine bläulich-weiße Farbe gehüllt, die den kurz zuvor eingetretenen Tod Christis markiert.

© GvT

Was Günther mit dem Hilfsmittel Farbe gelang - die Darstellung vom Hinübergleiten vom Leben in den Tod - das setzte er auch in der Gestaltung des Körpers um. Christus gleitet aus dem Schoß seiner Mutter zum Boden hinab. Nur noch das Knie der Muttergottes, auf dem noch die Achselhöhle von Christus ruht, hält den Körper davon ab, vollständig auf die Erde zu gleiten. Auch das frei schwebende Bein Christi verstärkt diesen Eindruck.
Bei genauer Betrachtung erkennt man deutlich, dass im Körper von Christus ein Moment der Bewegung festgehalten ist. Christus entgleitet sowohl im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne seiner Mutter. Mit seiner Darstellung überwand Franz Ignaz Günther die bis dahin statische Darstellung von Skulpturen zugunsten von scheinbar erstarrten Bewegungen seiner Figuren.

Was Maximilian Emanuel von Rechberg damals, als er den Auftrag an Franz Ignaz Günther erteilte, noch nicht ahnen konnte, war die Tatsache, daß er die dritte und letzte Pietà-Darstellung des renommierten Künstlers erwarb. Ein halbes Jahr nach ihrer Fertigstellung starb der Künstler.
Unter Spezialisten gilt dieses Werk als das eindrucksvollste und damit bedeutungsvollste von Günther und seinen Zeitgenossen überhaupt. Mit Günthers Tod endet die Epoche des süddeutschen Rokokos und die Nenninger Pieta wird zum Höhe- und Endpunkt einer ganzen Kunstepoche.

Früher auf großen Ausstellungen - heute nur noch vor Ort

Wegen ihrer außerordentlichen Ausdrucksstärke fasziniert die Figurengruppe ihre Betrachter bis heute. Um diese Wirkung einem breiten Publikum erfahrbar zu machen, wurde sie im Laufe der Zeit bei großen nationalen und internationalen Ausstellungen der Öffentlichkeit vorgestellt:
  • 1951 auf der großen Ausstellung ’Franz Ignaz Günther’ in München
  • 1951 im Landesmuseum in Stuttgart
  • 1954 in der National-Gallery in London
  • 1954 im Louvre in Paris
  • 1958 auf der Weltausstellung im päpstlichen Pavillon in Brüssel 
  • 1981 bei der Ausstellung ‘Barock in Baden-Württemberg’ im Schloß Bruchsal und 
  • von Okt. 2004 - Mai 2005 bei der Ausstellung ‘Große Kunst im Kleinformat’ im Landesmuseum Stuttgart (Altes Schloss).
Eine Anfrage für eine Ausstellung in New York im Jahre 1960 wurde aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Doch aufgrund jüngster denkmalpflegerischer Begutachtung darf dieses Kunstwerk nicht mehr von seinem Platz bewegt werden. Nur wer nach Lauterstein-Nenningen kommt, kann diese Weltkunst am Fuße der Alb aus direkter Nähe betrachten.


Donnerstag, 5. Oktober 2017

Geschichte(n) der Stadt Lauterstein - Teil 3: Weißenstein - eine der ältesten Städte im Landkreis Göppingen

Gabriele von Trauchburg, © Oktober 2017

Ich habe mir vor einiger Zeit erzählen lassen, dass es zwei Datumsvarianten zur Stadterhebung gibt, die Jahre 1384 und 1391. Das Weißensteiner Stadtfest wurde, um sich an dieses wichtige Ereignis zu erinnern, im Jahre 1991 erstmals gefeiert, d.h. man bezog sich dabei auf eine Urkunde aus dem Jahre 1391.
Welche Jahreszahl ist also die richtige für künftige Jubiläumsfeiern? Bevor man weiter in die Materie einsteigt, kann bereits folgender Hinweis gegeben werden: 1384 ist der älteste Hinweis auf die bereits bestehende Stadt Weißenstein, aber nicht das Jahr der Erhebung zur Stadt!

Die ältesten Städte im Landkreis Göppingen

Um weiteres Licht ins Dunkel zu bringen, darf man zunächst folgende Tatsachen festhalten. Weißenstein ist einer von vier Orten im gesamten Landkreis, die schon im Mittelalter zur Stadt erhoben wurden. An der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert gab es nur die folgenden Städte im heutigen Landkreis:
  • Göppingen - wohl in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden
  • Geislingen - zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden  
  • Wiesensteig - seit 1356 als Stadt bezeichnet
  • Weißenstein - vor 1384, eventuell 1360 zur Stadt erhoben.
Alle anderen Städte im Landkreis erhielten ihr Stadtrecht erst im Laufe des 20. Jahrhunderts.

Weißensteins älteste Bezeichnung als ‘Stadt’

Die älteste Erwähnung von Weißenstein als Stadt findet sich in einer Urkunde aus dem Jahre 1384. Darin bezeichnet Wilhelm von Rechberg-Weißenstein den Ort klar und deutlich als opid. mei Wissenstein. Aus dieser Beschreibung muss man messerscharf schließen: Im Jahre 1384 war Weißenstein bereits Stadt!
Und nun beginnt das große Fragen: Wer war berechtigt, eine Siedlung zu einer Stadt zu erheben und die dafür notwendigen Urkunden mit ihren Privilegien zu erlassen? Was hat den Ortsbesitzer dazu veranlasst, eine Siedlung in eine Stadt umzuwandeln? Und vor allem wann??

Der deutsche König und das Recht auf Stadterhebungen

Die ganz alten deutschen Städte wie beispielsweise Kempten im Allgäu oder Augsburg gehen oft auf die Römerzeit zurück. Aufgrund ihrer Größe und ihrer Bedeutung als Verwaltungs- und Handelszentren wurden sie irgendwann als Städte betrachtet. Eine Stadtrechtsurkunde gibt es für diese Städte nicht.

Die deutschen Städte des Mittelalters wurden aufgrund von Stadtrechtsurkunden, die der deutsche König ausstellte, zu Städten erhoben. In den überwiegenden Fällen ging dabei die Initiative vom Herrschaftsinhaber aus. War der Inhaber des Ortes mit dem König identisch, so entstand eine Reichsstadt. War der Inhaber ein anderer Herrschaftsinhaber, so entstand eine Stadt innerhalb eines adeligen oder geistlichen Territoriums.

Jeder Initiator einer Stadterhebung verband mit diesem Vorgehen einen bestimmten Zweck. Die Stauferkönige gründeten eine ganze Reihe von Städten, so beispielsweise Göppingen im Filstal und entlang der Donau zwischen Ulm und Donauwörth. Ihr Ziel bestand darin, durch Städtegründungen den Handel und damit letztlich die Wirtschaft einer Region zu stärken. Die norditalienischen Städte dienten ihnen dabei als Vorbilder.

Fakten rund um die Stadterhebung von Weißenstein

Im Falle von Weißenstein lassen sich folgende Fakten festhalten: der Ort geht nicht auf die Römerzeit zurück, sondern entstand als planmässige Siedlung im Mittelalter. Weißenstein war immer der Hauptort der gleichnamigen Adelsherrschaft. Die Lage des Ortes an einem der niedrigsten Übergänge über die Alb war von überregionaler strategischer Bedeutung.
Die Urkunde mit der Erhebung zur Stadt existiert nicht mehr. So kann man nur noch darüber spekulieren, wer der Initiator bei der Erhebung des Ortes Weißenstein zur Stadt gewesen sein könnte. Am wahrscheinlichsten trifft dies auf Wilhelm von Rechberg-Hohenrechberg-Weißenstein zu. Aus diesem Grund soll nun ein genauerer Blick auf seine Biographie geworfen werden.

Wahrscheinlich 1360 kam es zur Stadterhebung Weißensteins

Wie man aus der Urkunde von 1384 entnehmen kann, war in jenem Jahr der Ort Weißenstein bereits zur Stadt erhoben worden. Nun stellt sich die Frage, wer die Initiative zur Stadterhebung ergriffen haben und welche Motive der Initiator gehabt haben könnte.
Am ehesten kommt wohl Wilhelm von Rechberg in Frage. Wilhelm von Rechberg aus der Hauptlinie Hohenrechberg war der einzige Sohn von Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg und seiner Frau Agnes von Hohenlohe-Brauneck-Haltenbergstetten, einer reichen Erbin. Wilhelms Vater investierte vorausschauend eine große Geldsumme zur Stützung des neuen Königs Karl IV. (Suche in diesem Blog, Stichwort: Karl IV.)
Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg starb nach 1348. Sein einziger Sohn und Erbe Wilhelm ließ sich am 6. Januar 1351 alle kaiserlichen Urkunden, die sein Vater bezüglich des Kredits erhalten hatte, bestätigen. Und am 11. November des gleichen Jahres bestätigte Wilhelm in einer Quittung den Empfang der 100 Pfund Heller von der Stadt Ulm. Dieses Verfahren sollte nach Willen des Kaisers auch künftig angewandt werden.  
Die Nähe des Wilhelm von Rechberg zu Kaiser Karl IV. hielt bis zum Ende von dessen Regierung 1378 an. Im Jahre 1359 war Wilhelm Zeuge in einem Diplom des Kaisers, das im Kloster Denkendorf (Landkreis Esslingen) ausgestellt worden war. Ein Jahr später hielt sich Wilhelm am kaiserlichen Hof in Prag auf, wo er erneut als Zeuge in einer Urkunde vom 2. November auftrat. Zuletzt genehmigte Kaiser Karl IV. am 14. März 1378, dass Wilhelm die Einnahmen aus dem Ulmer Ammanamt selbst als Kredit vergeben konnte.
Diese Zusammenstellung mehrerer Urkunden zeigt erstmals auf, dass Albrecht I. und sein Sohn Wilhelm von Rechberg-Hohenrechberg im Verlauf der gesamten Regierungsjahre von Kaiser Karl IV. zwischen 1346 und 1378 eine enge Verbindung zu ihm pflegten. Eine ähnliche Beziehung zu Karls IV. Nachfolger, seinem Sohn Wenzel IV., ist nicht überliefert.
Es besteht also die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Stadtrechtsprivileg für Weißenstein wohl in der Zeit zwischen 1351 und 1378 von Kaiser Karl IV. erteilt worden war, am ehesten wohl 1360 beim Aufenthalt von Wilhelm von Rechberg-Hohenrechberg-Weißenstein am kaiserlichen Hof in Prag, der üblicherweise derart wichtige Urkunden wie bei einer Stadterhebung ausstellte.
Die Stiftung der St. Georgs-Kaplanei 1384 durch Wilhelm von Rechberg kann man in diesem Zusammenhang als Ausbau von Weißenstein zur Stadt betrachten. Dazu später mehr. 

Die Pest - Auslöser für die Gründung der Stadt Weißenstein?

Der Zeitraum, in dem die Stadtgründung von Weißenstein erfolgte, konnte nun mit den neu zusammengestellten Daten und Ereignisse auf die Zeit um 1360 eingeschränkt werden. Die Jahre zwischen 1351 - dem sicheren Herrschaftsbeginn von Wilhelm von Rechberg - und 1360 - dem Jahr seines Aufenthaltes am kaiserlichen Hof in Prag - war von schrecklichen Umständen geprägt.
Im Jahre 1349 erreichte der ‘Schwarze Tod’, eine Umschreibung für die Pest, den mitteleuropäischen Raum und wütete hier bis 1353. In diesem Zeitraum starben nach Schätzungen rund 30 % der hier lebenden Menschen. Dieser ersten Epidemiewelle folgten in den nachfolgenden Jahren weitere, davon die schlimmste im Jahre 1400.
Auch in den Rechberg-Herrschaften lassen sich vereinzelt die Folgen dieser Epidemie nachweisen, beispielsweise anhand der Höfe zwischen Ottenbach und Rechberg-Hinterweiler, wo die Ackerflächen eines Hofes einem anderen zur Bewirtschaftung zugewiesen wurden.
Zudem könnte der Tod von Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg mit der Pest in Verbindung stehen. Wie oben ausgeführt gewährte er 1347 noch einen Kredit für den neuen deutschen König Karl. Danach gibt es keine weiteren Nachrichten mehr von ihm. Und dann lässt sein Sohn bei König Karl die Gültigkeit der mit dem Kredit vergebenen Urkunden für sich bestätigen. Gerade der Wunsch nach Bestätigung von vorhandenen Urkunden ist ein immer wiederkehrendes Indiz für den Tod eines vorangegangenen Herrschaftsinhabers.
Der spürbare Rückgang der Bevölkerung aufgrund der Pest-Epidemie hatte beträchtliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft und auf das Handwerk. Unrentable und ungünstig gelegene Ackerflächen wurden aufgegeben. Zahlreiche Landbewohner wanderten in die Städte ab, wo höhere Löhne gezahlt wurden. Dennoch sorgte der Mangel an Arbeitskräften für einen beachtlichen Mechanisierungsschub bei den Handwerkern.
Dieser wirtschaftlichen Entwicklung galt es auch in den Rechberg-Herrschaften entgegen zu steuern. Die Gründung einer Stadt stellte dabei ein durchaus interessantes Mittel dar, wie man es bereits durch die Beispiele aus der Zeit der Staufer kannte. Auf diese Weise konnte man den regionalen Handel vor Ort konzentrieren und aufbauen, das Handwerk fördern und die Landflucht verhindern.

Quellen und Literatur

GRFAD - Urkunde von 1384
GRFAD - Rink-Chronik II
Ferdinand Seibt, Karl IV. - ein Kaiser in Europa 1346-1378, München 1994
Gabriele v. Trauchburg, Die Aushöfe der Herrschaft und der Gemeinde Rechberg, in: Rechberg - Ein Heimatbuch, hrsg. v. Ortschaftsverwaltung Rechberg und Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Gmünd 2004, S. 366-383






Mittwoch, 4. Oktober 2017

Geschichte(n) der Stadt Lauterstein - Teil 2: Der Kredit des Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg für Kaiser Karl IV.

Gabriele von Trauchburg, © Oktober 2017


Wie man aus einer Urkunde von 1384 entnehmen kann, war in jenem Jahr der Ort Weißenstein bereits zur Stadt erhoben gewesen. Nun stellt sich die Frage, wer die Initiative zur Stadterhebung ergriffen haben und welche Motive der Initiator gehabt haben könnte.
Die Erhebung eines Ortes zur Stadt konnte nur der deutsche König vornehmen, denn ihm allein stand dieses Recht zu. Das bedeutet nun, dass die beiden Weißensteiner Dorfherren, Albrecht I. und sein Sohn Wilhelm, während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts über eine besondere Beziehung zum Kaiserhaus verfügt haben mussten. Diese gilt es nun zu entdecken.  

Ein Kredit und dessen Bedeutung

Von Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg († 1348), verheiratet mit Agnes von Hohenlohe-Brauneck-Haltenbergstetten - einer reichen Erbin, weiß man abgesehen von einem Kredit kaum etwas. Im Jahre 1347 gewährte Albrecht von Rechberg offenbar eine große Geldsumme. Diese war nicht für irgend jemanden bestimmt, sondern für den jungen König Karl IV.  
Die brisante Bedeutung dieses Kredites zeigt sich erst bei näherer Betrachtung. Im Jahre 1346 wurde Karl IV. aus dem Hause Luxemburg als Gegenkönig zu Kaiser Ludwig dem Bayern gewählt. Aufgrund dieses Vorgangs mussten die damaligen Zeitgenossen mit einem beginnenden  Machtkampf rechnen, der dann jedoch aufgrund des Todes von Ludwig d. Bayern im Oktober 1147 ausblieb.
Mit dem Tod des Kaisers entstand eine vollkommen neue Situation im Deutschen Reich. Jeder einzelne Herrschaftsträger musste nun für sich die Entscheidung treffen, welcher neuen Partei er künftig angehören wollte - im vorliegenden Fall dem bereits gewählten Gegenkönig oder dem von der wittelsbachischen Partei aufgestellten Gegner Günther von Schwarzburg.
Den Rechberg fiel diese Entscheidung offenbar leicht, denn Karl IV. erbte 1347 von seinem Vater zusätzlich noch die böhmische Königskrone. Er besaß damit einen stärkeren politischen Rückhalt, als sein politischer Gegner Günther von Schwarzburg. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Schwarzburg gegen Karl IV. durchsetzen konnte, war gering. Es war daher nur folgerichtig, sich dem letzteren zuzuwenden.  
Trotz seines politischen Rückhalts in Böhmen benötigte der junge König Karl IV. enorme Geldmengen, um seine Herrschaft endgültig durchzusetzen. Die Reichsstädte und einige Kurfürsten stellten große Geldmengen gegen den Erhalt von wichtigen und einträglichen Privilegien bereit. Zusätzlich konnte Karl IV. auch von weiteren Adeligen mit finanzieller Unterstützung rechnen.
Zu diesen zählte schon früh Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg, als er bereits 1347 die  bedeutende Geldsumme von 1000 Mark Silber dem jungen König zur Verfügung zu stellen. Die mittelalterliche Mark ist traditionell ein halbes Pfund und wurde üblicherweise in 8 Unzen oder 16 Lot eingeteilt.
Albrecht von Rechberg stellte also 500 Pfund Silber dem neuen König zur Verfügung. Im Gegenzug versetzte König Karl IV. seinem Kreditgeber Albrecht von Rechberg und dessen Erben die dem Reich zustehenden Einnahmen der Reichsstadt Ulm aus dem Ammanamt, die Steuer, Abgaben der Juden, das Umgeld, Zölle und noch etliches mehr.
Auf diese Weise flossen ab 1348 jährlich 100 Pfund Heller in die Kasse auf dem Hohenrechberg. Im schwäbischen Bereich entsprach der Heller ursprünglich dem Pfennig, so dass 240 Heller ein Pfund ergaben.
Albrecht I. von Rechberg-Hohenrechberg starb nach 1348. Sein einziger Sohn Wilhelm ließ sich am 6. Januar 1351 alle Urkunden des Kaisers Karl IV., die sein Vater bezüglich des Kredits erhalten hatte, bestätigen. Und am 11. November des gleichen Jahres bestätigte Wilhelm in einer Quittung den Empfang der 100 Pfund von der Stadt Ulm. Dieses Verfahren sollte nach Willen des Kaisers auch künftig angewandt werden und wurde zuletzt 1398 bestätigt. 

Wilhelm von Rechberg und Kaiser Karl IV.

Die Nähe des Wilhelm von Rechberg zu Kaiser Karl IV. hielt bis zum Ende von dessen Regierung 1378 an. Im Jahre 1359 war Wilhelm Zeuge in einem Diplom des Kaisers, das in Kloster Denkendorf (Landkreis Esslingen) ausgestellt worden war. Ein Jahr später hielt sich Wilhelm am kaiserlichen Hof in Prag auf, wo er erneut als Zeuge in einer Urkunde vom 2. November auftrat. Zuletzt genehmigte Kaiser Karl IV. am 14. März 1378, dass Wilhelm die Einnahmen aus dem Ulmer Ammanamt selbst als Kredit vergeben konnte.

Schlussfolgerungen für die Stadterhebung von Weißenstein

Diese Zusammenstellung mehrerer Urkunden zeigt erstmals auf, dass Albrecht I. und sein Sohn Wilhelm von Rechberg-Hohenrechberg zwischen 1346 und 1378 eine enge Verbindung zu Kaiser Karl IV. pflegten. Eine ähnliche Beziehung zu Karls IV. Nachfolger, seinem Sohn Wenzel IV., ist nicht überliefert.
Mit dieser Beobachtung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Stadtrechtsprivileg für Weißenstein wohl in der Zeit zwischen 1351 und 1378 von Kaiser Karl IV. erteilt worden war. Am ehesten kommt wohl die Zeit um 1360 in Frage, als Wilhelm von Rechberg sich beim Kaiser in Prag aufhielt. Die Stiftung der Kaplanei St. Georg 1384 darf man dann als allmählichen Ausbau von Weißenstein zur Stadt verstehen.

Quellen und Literatur

GRFAD - Urkunde von 13 84 - mit dem 1. Hinweis auf Weißensteins Status als Stadt
Ulmer Urkundenbuch 2, S. 307, Nr. 305 - http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00072452/images/index.html?id=00072452&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=323
GRFAD - Rink-Chronik II
Seibt, Ferdinand, Karl IV. - ein Kaiser in Europa 1346-1378, München 1994

Geschichte(n) von Gingen/Fils - Teil 1.3: Die erste bekannte Gingener Dorfherrschaft: Königin Kunigunde

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