Mittwoch, 28. Februar 2018

Die barocke Wallfahrt auf dem Bernhardus - Teil 3: Aufbau und Organisation einer Wallfahrt 


© Gabriele von Trauchburg


Man fragt sich unwillkürlich, weshalb der damalige Inhaber der Herrschaft Weißenstein, Graf Gaudenz von Rechberg, sich so sehr für die am Bernhardus geschehenen Wunder interessierte, dass er die Bereitschaft und das Engagement für die Errichtung einer Wallfahrt entwickelte. 

Die Herrschaft Weißenstein und die Anfänge der Wallfahrt

Machen wir jetzt einen Zeitsprung in das Jahr 1720. Der Spanische Erbfolgekrieg war seit fünf Jahren beendet. Die Bayern hatten zwar keine nennenswerten territoriale Verluste erlitten, doch die lange Kriegsführung hatte ihre wirtschaftlichen Spuren hinterlassen.
Warum erwähne ich Bayern - ganz einfach: die Mitglieder der Familie Rechberg gehörten als Hofbeamte in den höchsten Rängen zur Elite am Münchner Hof. Und hier tritt besonders Graf Gaudenz von Rechberg-Weißenstein (1664-1735) hervor. Gemäß den Familiengesetzen hatte er als Senior der Familie 1719 die rechbergischen Herrschaften Weißenstein und Kellmünz geerbt.
Graf Gaudenz von Rechberg-Weißenstein (1664-1735) war ein beeindruckender Herrschaftsinhaber gewesen. Am Ende seines Lebens konnte er auf eine steile Karriere zurückblicken. Er hatte seine Laufbahn als kurkölnischer und bayerischer Kammerherr begonnen, wurde dann in Bayern Geheimer Rath, Obersthofmarschall, Hofkriegsratspräsident (= Verteidigungsminister), General-Feldmarschall-Leutenant (= höchster ausführender Militärbefehlshaber), Kommandant sämtlicher kurbayerischen Truppen, Kommandant der Hauptstadt München und Pfleger (= Verwaltungschef) der Hofmarken Weilheim, Mattighofen und Wöhrt (b. Erding).
Verheiratet war er mit der 4 Jahre jüngeren Gräfin Maria Adelheid Ludovica (1668-1748). Sie stammte aus der hochadeligen, einflussreichen und begüterten Familie der Grafen von Toerring-Seefeld. Sie war die Tante der beiden wichtigsten bayerischen Minister in der Zeit des Kurfürsten Maximilian Emanuel. Das Paar hatte 9 Kinder.

Das Interesse des Grafen Gaudenz von Rechberg an den Wundern 

Sie haben gerade eben gelesen, welch beachtliche berufliche Karriere Graf Gaudenz am bayerischen Hof in München machen konnte. Auf die meisten seiner Zeitgenossen musste er wie ein beneidenswerter Mann wirken.
Und dennoch hatte ihn das Schicksal schwer getroffen. Er war der Vater von 9 Kindern. Sieben von ihnen starben im Zeitraum zwischen 1692 und 1708 jeweils im Alter zwischen 2 Monaten und 10 Jahren. Sein ältester Sohn starb 1715 vermutlich an einer Typhus- oder Cholerainfektion während seiner Kavalierstour in Paris. Seine jüngste Tochter starb 1721 im Alter von 21 Jahren im Kindbett. Alle Todesfälle hatten eines gemeinsam: Die  Kunst der Ärzte war damals noch nicht soweit entwickelt, dass sie hätte helfen können. Hilfe aus dem Glauben war die einzige Hoffnung - und der Heilige Bernhard bot nun genau diese Hilfe in der eigenen Herrschaft.

Wie organisiert man eine Wallfahrt - die Infrastruktur, der Einzugsbereich

Es ist also nicht verwunderlich, dass sich Graf Gaudenz nach dem Bekanntwerden der Wundertätigkeit an der Kapelle auf dem Spitzkopf an das Bistum Konstanz mit der Bitte um die Genehmigung für das Abhalten von Gottesdiensten bei der Kapelle wandte.
Das Jahre 1727 gilt als der Beginn der Bernhardus-Wallfahrt. Die Genehmigung für Gottesdienste wurde am 24. Juli 1728 erteilt. Ab diesem Zeitpunkt konnten nun mit Zustimmung des Konstanzer Weihbischofs Sirgenstein Heilige Messen in der Kapelle an einem tragbaren Altar gefeiert werden. Doch damit gab sich der Herrschaftsinhaber noch nicht zufrieden. Graf Gaudenz konnte beobachten, wie immer mehr Menschen auf den Bernhardus zu den Gottesdiensten kamen - sogar im Winter!! - und von immer neuen Wundern berichtet wurde. So beschloss der Graf, eine Wallfahrtskirche auf dem Spitzkopf zu errichten. Doch dafür mussten zuerst mehrere Voraussetzungen gegeben sein. 

1. Die notwendigen Nachweise für die Wundertätigkeit
Die Diözese Konstanz verlangte schriftliche und bestätigte Nachweise für die auf dem Spitzkopf geschehenen Wunder. Diese waren mehreren Personen aus der katholischen Reichsstadt Schwäbisch Gmünd widerfahren. Diese sollten nun im Zuge des Genehmigungsverfahrens befragt und die schriftlichen Ergebnisse nach Konstanz übermittelt werden.
Von vier Personen sind die Wunder im Detail überliefert. Ein junger Mann aus Schwäbisch Gmünd litt an einer schmerzhaften Entzündung in seinen stark angeschwollenen Genitalien. Bewusst pilgerte er auf den Bernhardus, um zu beten. Als dabei seine Schmerzen unerträglich geworden waren, konnte er nicht mehr widerstehen und kratzte sich an der Entzündung. Die Haut platzte auf, der Eiter floss ab und die Hautlappen konnten später Ärzten entfernt werden. Alle Zeitgenossen führten die Heilung der Entzündung auf die Hilfe des Heiligen Bernhard zurück. 
Ein weiterer Geheilter war ein Soldat, der zuvor in Ungarn gekämpft hatte. Die Verletzung, die er sich zugezogen hatte, stammte allerdings nicht aus einem heldenhaften Kampf, sondern er hat sie sich beim Stehlen von Kirschen zugezogen. Er war auf einen Baum geklettert, hatte einen besonders ertragreichen Ast mit dem Säbel abgeschlagen und beim Herunterklettern fiel dieser Mann vom Baum. Doch hatte er sich bei dieser Aktion nicht etwa einen Knochenbruch zugezogen, nein - er verlor seine Stimme. Er war fortan nicht mehr in der Lage zu sprechen. Er wurde aus dem Dienst entlassen und nach Hause geschickt. Über seine in der Region lebende Schwester hörte der Soldat von den Wundern auf dem Bernhardus, pilgerte hierher, betete und war fortan wieder in der Lage zu sprechen.
Der wohl prominenteste Geheilte war der Prälat des Klosters Kaisheim. Er musste starke Schmerzen in seinem Bein ertragen und stand Todesängste aus. In seiner Not gelobte er eine Wallfahrt zum Bernhardus für den Fall seiner Genesung. Und es ging dem Prälaten schlagartig besser. Die Schmerzen verschwanden fast vollständig. Als man sein krankes Bein mit einem Bildnis, das zuvor mit der Bernhardus-Figur in Berührung gekommen war, berührte, verschwanden die Schmerzen vollständig. Anfang April 1729 löste der Prälat sein Gelübde ein, kam auf den Bernhardus und machte eine großzügige Spende im Umfang von rund 250 Gulden.
Die genannten Fälle genügten zunächst jedoch noch nicht für die Begründung einer Wallfahrt. Aus diesem Grunde sollten weitere geheilte Personen befragt werden. Sie wohnten ebenfalls in der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd. Man wandte sich an den Magistrat der Stadt, doch der machte dem Vorhaben zunächst einen Strich durch die Rechnung. Seine Mitglieder wollten die Angelegenheit einfach aussitzen, gehörte man doch nicht zur Diözese Konstanz (Bernhardusberg), sondern zu Augsburg.
Als am Ende des Jahre 1729 noch immer keine schriftlich fixierten Nachweise vorlagen, wandte sich Graf Gaudenz zu Beginn des Jahres 1730 an den Augsburger Generalvikar Freiherr von Vöhlin mit der Bitte um Amtshilfe . Dieser beauftragte eigens einen Geistlichen, der die Befragung vornahm und bis Mitte Januar 1730 abschloss. Nun lag der bischöflichen Genehmigung nichts mehr im Wege.

2. Der Fundations- oder Stiftungsbrief
Der Stiftungsbrief für die Wallfahrt auf dem Bernhardus ist in lateinischer Sprache verfasst. Darin sind Graf Gaudenz und seine Frau Adelheid als Stifter der Wallfahrt auf den Bernhardus genannt.
Sie begnügten sich nicht nur, als Stifter genannt zu werden, sondern finanzierten zum überwiegenden Teil das neue Kirchengebäude sowie einen Benefiziaten, der dort den Pilgern zur Verfügung stand.  

3. Die Finanzierung des Kirchenbaus 
Die Wunder vom Bernhardus hatten sich schnell in der Region herumgesprochen. Dehalb strömten die Menschen von allen Seiten auf den Berg, in der Hoffnung auf ein Wunder auch für sich. Sie opferten hohe Summen, die allesamt für den Kirchbau verwendet werden sollten - und die Einnahmen flossen in beachtlicher Höhe.
In den Jahren 1729 bis 1733 kamen insgesamt ca. 1500 Gulden an Spenden zusammen. Den Rest - ca. 6500 Gulden übernahmen Graf Gaudenz und Gräfin Maria Adelheid aus eigenen Mitteln.


Quellen und Literatur 

GRFAD - einschlägige Archivalien zur Wallfahrt auf den Bernhardus

 

Dienstag, 27. Februar 2018

Geschichte(n) der Stadt Donzdorf

© Dr. Gabriele von Trauchburg



Teil 4: Älteste Hinweise auf das Christentum in Donzdorf - Die Stiftung einer  Kirche und das Patronatsrecht 


Der Beschützer der Kirche - der Patronatsherr

Je stärker die Christianisierung nach der Machtübernahme durch die Franken im 6. Jahrhundert voranschritt, desto größer wurde die Notwendigkeit einer Organisation in Form einer Pfarrei mit eigener Kirche. Doch wer sollte und konnte einen derartigen Vorgang organisieren?
Archäologische und schriftliche Quellen geben Einblick in diese Materie. Die Organisatoren gehörten der Führungsschicht an. So kam ein Adeliger und seine Familie für diese Aufgabe ebenso in Frage, wie ein Abt oder ein Bischof.

Stiftung einer Kirche

Beabsichtigte ein Adeliger eine Kirche zu stiften, so oblag ihm auch die Baupflicht. Er wählte einen angemessenen Baugrund aus seinem persönlichen Eigentum aus und stellte dieses Gelände zur Verfügung. Mit seinen eigenen finanziellen Mitteln sorgte er für einen angemessenen Kirchenbau - oftmals zuerst aus Holz, später aus Stein - und dessen weiteren Unterhalt. Vielfach ließ sich eine Gründerfamilie in der Folgezeit in ihrer eigenen Kirche begraben.
Weil derartige Stiftungen aus persönlichem Eigentum erfolgten, befanden sich in der Frühzeit der Christianisierung viele Kirchen im persönlichen Eigentum von Adeligen - es entstand das sogenannte Eigenkirchenwesen.  
Der Stifter und seine Familie besaßen aufgrund ihrer Stiftung das Recht, einen Geistlichen in sein Amt einzusetzen und ihn auch wieder davon zu entbinden. Deshalb war es Aufgabe des Kirchenstifters, dass er die Versorgung seines Geistlichen absicherte. Im Gegenzug war es Aufgabe des Geistlichen, den Stifter und seine Familie in sein regelmäßiges Gebet einzuschließen sowie die Seelsorge für die Menschen vor Ort zu übernehmen.
Damit eine Pfarrei lebensfähig war, schenkten Stifter Güter an ihre Kirche, aus deren Erträge der Pfarrer seinen Unterhalt bestreiten konnte. Die einfachen Menschen entrichteten dafür den sogenannten Zehnt.

Der Schutz von Kirchen, Pfarreien und Geistlichen bei den Alamannen

Die Kirche als Institution unterstand von Anfang an dem besonderen Schutz von König und Herzögen. Diese Beobachtung trifft auch im Stammesherzogtum der Alamannen zu. Hier galten die Regelungen des Stammesgesetzes, der Lex Alamannorum.
Dieses ging ursprünglich aus dem zu Beginn des 7. Jahrhunderts entstandenen Pactus Alamannorum hervor. In dieser älteren Gesetzessammlung gibt es noch keine Regelungen zu möglichen Verbrechen an Kircheneigentum oder an der Geistlichkeit. Diese erscheinen erst in der wohl um 720 schriftlich fixierten Lex Alamannorum. Die die Kirche betreffenden Bestimmungen stehen an prominenter Stelle - nämlich gleich zu Beginn des Stammesgesetzes. Sie umfassen rund ein Drittel aller Gesetze und beschäftigen sich mit dem Status der Kirche und ihrem Schutz. Da sämtliche Vorschriften durch den Konsens zwischen dem schwäbischen Herzog Lantfried und dem Adel in seinem Herzogtum entstanden sind, darf man davon ausgehen, dass diese Gesetze allgemein gültig waren. Dies würde bedeuten, dass zu Beginn des 8. Jahrhundert das Christentum bereits weit verbreitet war.  

Archäologische Spuren in der Donzdorfer Kirche St. Martinus

Die gerade zusammengestellten allgemein gültigen Erkenntnisse über die Entwicklung der Kirche und des Patronatsrechts sollen nun anhand von Donzdorf überprüft werden.
Die Lage der Donzdorfer Kirche St. Martinus ist beeindruckend. Der Kirchenbau liegt am Rande einer Geländezunge, die ursprünglich von zwei Seiten her vom Simonsbach umflossen wurde. Auf diese Weise besaß die Donzdorfer Kirche auch aus militärischer Sicht eine bedeutende Position im Lautertal. Gemeinsam mit der üblichen Kirchhofmauer, die in Teilen noch heute existiert, bestand hier eine sogenannte Wehrkirchenanlage, die den Bewohnern des Dorfes sowie ihrem Vieh Schutz bot.

Ausschnitt aus dem Donzdorfer Katasterplan, um 1850 - der hellblau markierte Simonsbach umfließt den Kirchberg von Südosten her, formt ein markantes Knie beim Pfarrhaus und fließt weiter Richtung Südwest bis zur Mündung in die Lauter. © GvT
 
Postkarte von St. Martinus, Donzdorf, um 1900 - links das Pfarrhaus, im Vordergrund die Brücke über den Simonsbach, im Hintergrund die Treppe hinauf zum Kirchberg, rechts und links der Treppe sind Teile der alten Wehrmaueranlage erkennbar. © GvT



Die erste Donzdorfer Kirche wurde aus Holz errichtet. Diese Erkenntnis gewann man beim Einbau einer neuen Fußbodenheizung im Jahre 1987. Damals wurde im Langhaus beim Südportal in die Tiefe gegraben. Dabei eröffneten sich die zahlreichen archäologischen Schichten der Kirche.

Die unterschiedlichen archäologischen Schichten unter dem Fußboden der Donzdorfer Kirche St. Martinus - © GvT

Am Fuß der einzelnen Schichten stieß man auf eine kohlschwarze Schicht aus der Zeit des 8. Jahrhunderts. Diese markiert einen sogenannten Brandhorizont und führte zu der Erkenntnis, dass hier ursprünglich eine Holzkirche gestanden hatte. Nachdem diese erste Kirche einem Feuer zum Opfer gefallen war, wurde der zweite Bau bereits aus Stein gefertigt.   

Die Donzdorfer Patronatsherren im Laufe der Zeit

Die Namen der ersten Donzdorfer Patronatsherren wird man wohl nie erfahren. Die ersten konkreten Hinweise auf die Inhaber des Patronatsrechts findet man erst im 14. Jahrhundert. Im Jahre 1379 kauften die Herren von Rechberg den Grafen von Helfenstein die Herrschaft Scharfenberg samt Donzdorf und Unterweckerstell ab. Abgesehen von einem kurzen, 10jährigen Intervall (1735-1745) behielten die Rechberg bis 1806 sowohl die Dorfherrschaft wie auch das Patronatsrecht in ihrer Hand.
Danach verblieb den Grafen von Rechberg nur noch das Patronatsrecht, das jedoch im Laufe der letzten 200 Jahre eine ganze Reihe von Veränderungen, die jetzt hier nicht erörtert werden, erfuhr.  
Gerade die Tatsache, dass sowohl das Dorf- wie auch das Patronatsrecht über Jahrhunderte hinweg immer in ein- und derselben Hand verblieben, lässt die Vermutung aufkommen, dass dieser Zustand auch schon 1379 in dieser Konstellation bestanden hatte. Das würde bedeuten, dass unmittelbar vor den Herren von Rechberg bereits die Grafen von Helfenstein sowohl Dorfherrschaft und Patronatsrecht über die Herrschaft Scharfenberg innegehabt hatten.
Die Helfensteiner Grafen ihrerseits waren Erben der Grafen von Dillingen, die auf einer Länge zwischen Aalen und Ulm den Albtrauf beherrschten und in Weißenstein und Hürbelsbach definitiv als Herrschaftsträger nachgewiesen sind.

Quellen und Literatur

- Claus-Dieter Schott, Lex Alamannorum. Text - Übersetzung - Kommentar zum Faksimile aus das Wandelgarius-Handschrift Codex Sangallensis 731, Augsburg 1993
- Pankraz Fried u. Wolf-Dieter Sick (Hrsg.), Die historische Landschaft zwischen Lech und Vogesen. Forschungen und Fragen zur gesamtalemannischen Geschichte, Augsburg 1988
- Immo Eberl, Wolfgang Hartung u. Joachim Jahn (Hrsg.), Früh- und hochmittelalterlicher Adel in Schwaben und Bayern, Sigmaringendorf 1988

Mittwoch, 7. Februar 2018

Geschichte(n) der Stadt Donzdorf

© Dr. Gabriele von Trauchburg



Teil 3: Älteste Hinweise auf das Christentum in Donzdorf - Das Kirchenpatrozinium


Es sind nicht immer nur die schriftlichen Überlieferungen, die Erkenntnisse über die frühe, mittelalterliche Geschichte liefern. Gerade in diesem Zeitraum sind ganz andere Möglichkeiten gefragt. Mal sehen, was sie zutage fördern:

Das Patrozinium einer Kirche

Im Frühmittelalter, also in der Zeit, als unsere Region christianisiert wurde, stifteten viele Adelige eine Kirche und sorgten für ihren Unterhalt. Deshalb besaßen sie auch das Recht, den Kirchenpatron auszuwählen. Zu bestimmten Zeiten gab es besonders bevorzugte Heilige. Diese Beobachtung hilft dabei, so manche Kirchenstiftung historisch einzuordnen. Dies gilt beispielsweise für den heiligen Martin von Tours.

Der Heilige Martin von Tours  

Der Heilige Martin stammt aus Ungarn, wo er wohl um 316 n. Chr. als Sohn eines politischen Amtsträgers, eines Tribuns, im heutigen Szombathely in Ungarn geboren wurde. Seine Erziehung erhielt er in der Heimatstadt des Vaters, im etwa 30 Kilometer südlich von Mailand gelegenen Pavia. Im Alter von 15 Jahren schickte ihn sein Vater zu einer Reiterkompanie nach Gallien. Im französischen Poitiers taufte ihn der dortige Bischof Hilarius drei Jahre später.
Das Wunder, das den heiligen Martin so berühmt machte, geschah vor dem Jahr 356 am Stadttor von Amiens. Der Reiterhauptmann teilte seinen großen Mantel in zwei Teile und überließ eine Hälfte einem Bettler.
Als im Jahre 356 ein neuer Feldzug gegen die Germanen von Worms ausgehend geplant wurde, verließ der Heilige Martin das Militär und kehrte statt dessen zum Bischof von Poitiers zurück. Dieser schickte ihn zunächst als Missionar nach Ungarn, wo er sich jedoch nicht gegen den dort verbreiteten Arianismus durchsetzen konnte. Der heilige Martin kehrte deshalb nach Poitiers zurück.
371/72 wurde Martin auf Drängen des Volkes zum Bischof von Tours gewählt. In dieser Funktion erwies er sich als gerechter und treusorgender Kirchenmann. Er gründete das unweit von Tours gelegene Kloster Marmoutier, das sich zu einem bedeutenden religiösen Zentrum entwickelte. In seinem Bistum gründete er zudem zahlreiche Pfarreien und organisierte den Pfarreiklerus. Aufgrund seiner asketischen Lebensweise beeindruckte er zahlreiche Zeitgenossen, die ihrerseits seine Lebensweise übernahmen und religiöse Zentren gründeten. Der Heilige Martin starb wohl am 8. November 397 im heutigen Candes-Saint-Martin bei Tours in Frankreich.

St. Martin gibt dem Bettler seinen halben Mantel, Ausschnitt aus dem Deckengemälde von Joseph Wannenmacher in St. Martin Donzdorf - © GvT

* 316/317 (oder um 336) in Sabaria,
316/317 (oder um 336) in Sabaria, heute Szombathely in Ungarn
† 8. November 397 (?) in Candes, heute Candes-Saint-Martin bei Tours in Frankreich










Martin war der Sohn eines heidnischen römischen Tribuns. Er wurde in Pavia, der Heimatstadt des Vaters, christlich erzogen und im Alter von zehn Jahren in die Gruppe der Katechumenen - der Taufbewerber - aufgenommen. Mit 15 Jahren musste er auf Wunsch des Vaters in den Soldatendienst bei einer römischen Reiterabteilung in Gallien eintreten. Im Alter von 18 Jahren wurde er von Hilarius, dem späteren Bischof von Poitiers, getauft. 356 schied er nahe Worms vor einem neuen Feldzug gegen die Germanen aus dem Militär aus, weil Christsein und Militärdienst sich nicht vereinbaren lassen. Zuvor geschah nach der Legende, was Martin weltberühmt machte: Martin begegnete am Stadttor von Amiens als Soldat hoch zu Ross einem frierenden Bettler, ihm schenkte er die mit dem Schwert geteilte Hälfte seines Mantels 1; in der folgenden Nacht erschien ihm dann Christus mit dem Mantelstück bekleidet: er war es, der Martin als Bettler geprüft hatte.

Der Heilige Martin als Staatsheiliger der Franken

Ausgehend von seiner Wirkungsstätte in Tours entwickelte sich eine große Verehrung von Bischof Martin. Im 6. Jahrhundert gab es bereits Martins-Kirchen in Rom und Italien. Der Martins-Kult wurde besonders von Benediktinern gefördert und verbreitet.
Zwei Könige taten das ihre, um die Verehrung des Heiligen Martin in ihren Herrschaftsgebieten  voranzubringen. Der Suebenkönig Chararich (550–559) trat zum Katholizismus über und ließ eine Martins-Kirche in Braga im heutigen Portugal errichten.
Der Frankenkönig Chlodwig I. (466-511) konvertierte nach der Schlacht gegen die Alamannen bei Zülpich 496 zum Christentum und erklärte den Heiligen Martin zum Schutzpatron über die fränkischen Könige und ihrer Herrschaft. Dieser Vorgang beinhaltete auch die Missionierung der heidnischen Bevölkerung in ihrem Herrschaftsbereich und die Grundlage für die Entwicklung hin zu einem christlichen Königreich der Franken.
Diese Politik wurde auch Chlodwigs Nachfolgern weiter verfolgt. Unter dem Karolinger Pippin dem Mittleren (635-714) wurde die Verehrung des Heiligen Martin weiter nach Friesland und in den rechtsrheinischen Raum getragen.

Alamannen kommen unter die Vorherrschaft der Franken zwischen 496 und 537

Bei den beiden Schlachten von Zülpich 496 und 506 wurde die Expansionspolitik der Alamannen in nördlicher Richtung von den Franken gestoppt, die ihrerseits damit begonnen hatten, unter der Führung der Merowinger und später der Karolinger ihr eigenes Königreich aufzubauen, das sich bis zum 9. Jahrhundert über weite Teile von West-, Mittel- und Südeuropa ausdehnte.
Die Niederlage der Alamannen bei der Schlacht von Zülpich im Jahre 496/97 bedeutete das Ende der alamannischen Autonomie. Um Schutz flehend wandten sie sich an den Ostgotenkönig Theoderich d. Gr. und wurden in großen Teilen in das ostgotische-italische Rätien auf- und gegen die Franken in Schutz genommen.
Diese alamannisch-italische Verbindung wurde 537 durch die byzantinischen Angriffe in Süditalien zerstört. Damit Ostgotenkönig Witigis sich militärisch gegen die byzantinischen Einfälle wehren konnte, sicherte er zunächst seine nördliche Grenze durch Verhandlungen mit den Franken ab. Als Gegenleistung für die Neutralität der Franken in diesem Konflikt überließ König Witigis dem Enkel von Chlodwig I., König Theudebert I., unter anderem Churrätien und das Protektorat über die Alamannen und andere benachbarte Stämme.
Das alamannische Gebiet umfasste damals neben Churrätien das gesamte Schweizer Alpenvorland bis zum Verlauf der Aare. Weiter verlief die Grenze nach der Aaremündung den Rhein hinab bis zum Rheinknie bei Basel, weiter zum Vogesenhauptkamm und an diesem entlang, dann durch die Rheinebene hindurch in Richtung des heutigen Heilbronn bis hinüber zum nördlichen Riesrand, von dort zur Donau und dann den Lech hinauf. Aufgrund des ostgotisch-fränkischen Vertrags von 537 kam das alamannische Gebiet bereits in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts kampflos unter fränkischer Herrschaft. 

Die Bedeutung des Heiligen Martin von Tours für die Geschichtsschreibung


Der Wechsel aus dem Schutz der Ostgoten unter die Herrschaft der Franken hatte für die Alamannen weitreichende Folgen. Sie verloren ihre Souveränität, denn die Franken begannen damit, die neuen Gebiete in ihrem Sinne durchzuorganisieren.
Der bekannteste und bis heute offensichtlichste Weg der Franken, ihre neu gewonnenen Gebiete herrschaftlich zu durchdringen, war die Gründung einer Vielzahl von neuen Dörfern. Sie alle endeten auf die Silbe -heim. Diese Orte wurden nicht selten zu fränkischen Verwaltungszentren ausgebaut. Auch für den Landkreis Göppingen lässt sich diese fränkische Neuroganisation bis heute beobachten. Im Landkreis finden sich die beiden Orte Holz-heim und Türk-heim und in näherer Umgebung des Landkreises Kirchheim/Teck, Weilheim/Teck, Westerheim, Steinheim und Heidenheim.
Zusätzlich siedelten die Franken Angehörige anderer Völker des Frankenreichs im alamannischen Gebiet an, was sich bis heute in Ortsnamen wie beispielsweise Türkheim, Sachsenheim oder Frankenthal niederschlägt. Die ersten Bewohner von Geislingen-Türkheim stammten allerdings nicht aus der Türkei - die gab es damals noch gar nicht -, sondern aus Thüringen. Doch genügten diese wenigen Orte wirklich, um die Beherrschung eines neuen Gebietes zu sichern?
Es gab da noch eine weitere Methode zur Herrschaftssicherung. Man siedelte fränkische Familien im neuen Herrschaftsgebiet an. Das bekannteste, aber nicht einzige Beispiel für dieses Vorgehen sind die Welfen. Man darf deshalb durchaus die Vermutung äußern, dass auf dem in der Archäologie bekannten Herrschaftssitz auf dem Donzdorfer Waldenbühl eine Familie gesessen hatte, die Verbindungen zu den Franken besaß oder zumindest von diesen geduldet wurde.   
Und dann war da noch der Staatsheilige Martin von Tours. Mit dem Wechsel zum Christentum hatten sich die Frankenkönig verpflichtet, die Verbreitung des Christentums voranzutreiben. Als Zeichen ihrer Macht sorgten sie dabei für die Einführung des Christentums unter ihrem Kirchenpatron. Martins-Patrozinien gibt es im Landkreis Göppingen bis heute in Lauterstein-Nenningen, Donzdorf und Geislingen-Altenstadt, ursprünglich gab es noch ein St. Martin-Patrozinium bei der Göppinger Oberhofenkirche. Interessant ist dabei, dass alle vier Orte von strategisch wichtiger Bedeutung sind. 
Fasst man die hier gewonnenen Ergebnisse zusammen, so zeigt sich deutlich, dass sich die Übernahme der Herrschaft durch die Franken anhand von zwei Kriterien deutlich nachweisen lassen, zum einen anhand der beiden Ortsneugründungen, vor allem aber durch die vier Martins-Patrozinien in den bereits bestehenden alamannischen Orten Göppingen, Geislingen-Altenstadt, Nenningen und Donzdorf.
Mindestens in diesem Orten des Landkreises Göppingen wurde also nach 537 das Christentum eingeführt. Und diese Erkenntnis wird noch weiter durch die Donzdorfer Gürtelzungen mit Kreuzzeichen von der Mitte oder dem Ende des 7. Jahrhunderts gestützt (s. Geschichte(n) der Stadt Donzdorf - Teil 2). 

Quellen und Literatur

https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Martin_von_Tours.htm
Pankraz Fried u. Wolf-Dieter Sick (Hrsg.), Die historische Landschaft zwischen Lech und Vogesen. Forschungen und Fragen zur gesamtalemannischen Geschichte, Augsburg 1988





Geschichte(n) von Gingen/Fils - Teil 1.3: Die erste bekannte Gingener Dorfherrschaft: Königin Kunigunde

© Gabriele von Trauchburg Als zweite Frau möchte ich Ihnen die deutsche Königin Kunigunde vorstellen. Sie ist diejenige Königin, die ih...